Poppelsdorfer Bücherschrank: Die Frauen geben, die Männer nehmen

Futterstelle für wandernde Leseratten: Forscher und Studenten der Uni Bonn untersuchen das Verhalten der Nutzer des Bücherschranks

Poppelsdorfer Bücherschrank: Die Frauen geben, die Männer nehmen
Foto: Volker Lannert

Bonn. Während eines Spaziergangs einfach ein Buch aussuchen, sich damit gemütlich auf eine Bank setzen oder es mit nach Hause nehmen oder auch alte Bücher, die man nicht mehr lesen will, an andere weitergeben.

Das Projekt "books outdoor", besser bekannt als Poppelsdorfer Bücherschrank, gibt es schon seit 2003 in Bonn und es hat sich längst als Versorgungssystem für Bücher aller Art etabliert. Auch in Beuel und Duisdorf gibt es mittlerweile ähnliche Schränke.

Grund genug, das Phänomen einmal wissenschaftlich unter die Lupe zu nehmen. Der Konsumökonom Professor Michael-Burkhard Piorkowsky von der Landwirtschaftlichen Fakultät hat sich mit seinen Studenten dem Objekt Bücherschrank gewidmet. Sie konnten dabei Bemerkenswertes über den Schrank und seine Nutzer in Erfahrung bringen. "Books outdoor" stelle in Bonn eine bemerkenswerte Alternative zum klassischen Buchhandel dar.

"Für diesen Schrank gibt es allerhand Namen", so Piorkowsky. Man könne den Bücherschrank als Heimstätte für ausgesetzte Bücher ansehen, oder als Futterstelle für wandernde Leseratten. "Aber wenn man sich als Ökonom diesem Mechanismus widmen möchte, passt eigentlich keines der üblichen wirtschaftlichen Modelle." So könne man den Bücherschrank keinesfalls einfach als einen Markt bezeichnen, denn es herrsche hier nicht das Prinzip von Angebot und Nachfrage.

Es handle sich auch nicht um eine Tauschbörse im klassischen Sinne, "denn die Leute bringen ja zum Teil auch Bücher mit, ohne etwas dafür im Tausch zu erhalten." Man könne schon eher von einer Transferökonomie sprechen, einer freiwilligen Übertragung. Das Solidaritätsprinzip spiele dabei eine wichtige Rolle. "Wenn alle bloß Bücher mitnehmen würden, ohne neue hineinzustellen, würde das System nicht funktionieren."

Diesem Ergebnis liegen Studien der Landwirtschaftlichen Fakultät zugrunde, die Piorkowsky mit Studenten mithilfe von Beobachtungen und Fragebögen durchgeführt hat. Das Ziel war, einen repräsentativen Querschnitt der Benutzer des Bücherschranks zu erhalten. "Man kann auf jeden Fall sagen, dass der Schrank von Männern und Frauen gleichermaßen stark frequentiert wird", erklärt Sandra Bichler, die am Projekt mitgewirkt hat.

Außerdem seien es vor allem Menschen mit mittlerem Einkommen, die sich am Bücherschrank bedienen und ihn "füttern" - die meisten von ihnen übrigens sehr regelmäßig. Weiterhin bemerkten die Studierenden, dass männliche Nutzer vor allem Bücher herausnahmen, während weibliche Nutzer eher ihre gelesenen Bücher in den Schrank hineinstellten. Für viele sei "books outdoor" tatsächlich zu einer Alternative zur öffentlichen Bibliothek geworden.

Viele Menschen, die den Schrank eigentlich nur durch Zufall im Vorbeigehen entdecken, kämen hier miteinander ins Gespräch. "Es entwickeln sich völlig neue Kommunikationsnetze, die es ohne den Bücherschrank nicht geben würde."

Interessanterweise, so die Studierenden, könne man immer wieder beobachten, wie Menschen den Bücherschrank gezielt zur Verbreitung politischer Ideologien und sonstiger Weltanschauungen nutzen. Immer wieder wurde das Kommunistische Manifest von Karl Marx oder auch der "Wachtturm" der Zeugen Jehovas deponiert.

"Es ist faszinierend, welche Eigendynamik solch ein System entwickelt, das eigentlich ja ganz ohne festgelegte Normen und Regeln funktioniert", fasst Olga Reger, ebenfalls Studentin an der Landwirtschaftlichen Fakultät, zusammen. Die Studierenden stellten fest, dass die Nutzer den Schrank in Eigeninitiative aufräumen und säubern. Benutzer, die zu viele Bücher gleichzeitig entnehmen, würden von anderen gemaßregelt.

"Das Projekt hat uns gezeigt, dass solche alternativen Systeme durchaus realistisch sind", sagt Piorkowsky. Viele der befragten Nutzer hätten zudem den Wunsch geäußert, ähnliche Versorgungssysteme für andere Waren einzurichten. "Man könnte sich etwa vorstellen, einen ähnlichen Schrank für Musik-CDs oder Kinderspielzeug einzurichten."

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