Völkerrechtler Professor Talmon beschäftigt sich mit kniffligen Staatsangelegenheiten

Bonn · Es ist eine Geschichte wie aus einem Agententhriller. Im Mittelpunkt: frischgedruckte libysche Pfund im Gegenwert von 1,2 Milliarden Euro, die der damalige Machthaber Muammar al-Gaddafi noch bei einer britischen Banknotendruckerei in Auftrag gegeben hatte.

 Stefan Talmon ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht an der Universität Bonn.

Stefan Talmon ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht an der Universität Bonn.

Foto: Andrea Künstle

BONN. Das Problem der britischen Regierung im Februar 2011: Wer vertritt tatsächlich das libysche Volk und ist damit rechtmäßiger Besitzer der Container voller Banknoten? Gaddafi oder die Rebellen, die bereits weite Teile des Landes kontrollierten? Ein Fall für Professor Stefan Talmon.

Der Direktor des Instituts für Völkerrecht der Universität Bonn war damals Professor of Public International Law an der Universität Oxford und Fellow des St. Anne's College in Oxford und berät Staaten und internationale Unternehmen in völkerrechtlichen Fragen. Seit anderthalb Jahren ist er in Bonn.

"Das war in der Tat keine einfache Sache damals", erinnert sich der 48-Jährige, der in Kleidung und Auftreten ganz englischer Gentleman ist - Talmon besitzt neben der deutschen die britische Staatsangehörigkeit. Die Container waren bereits auf Schiffe verladen und hatten Kurs auf Tripolis genommen, als sich die englische Regierung entschloss, die Ladung wieder zurückzubeordern.

Das Dilemma beruhte auf der Angst, von der Gaddafi-Regierung auf Milliarden Pfund Schadensersatz verklagt zu werden, sich bei den Rebellen unbeliebt zu machen und vor der UN als Deppen zu stehen. Denn auch die UN verhandelte zu jener Zeit über Sanktionen. Talmon: "Es begann ein Katz-und-Maus-Spiel."

Gegenüber der libyschen Regierung argumentierten die Briten, ihnen stünde derzeit kein Transportflugzeug zur Verfügung, woraufhin Tripolis eigene Flugzeuge schickte. Eine Landeerlaubnis in Nordengland wurde verwehrt mit der Begründung, es gebe Bauarbeiten. Als Ausweichflughafen wurde einer in Südengland genannt.

Nächstes vorgeschobenes Hindernis: Das Geld musste in 25 Sicherheitslastern transportiert werden. Das brauchte seine Zeit, um sie zu organisieren. Die Briten spielten verzweifelt auf Zeit, immer in Kontakt mit dem UN-Botschafter in New York. Um die Auslieferung weiter zu verzögern, ließ die Regierung sogar Baustellen auf der Strecke einrichten, damit die Laster Umwege fahren mussten.

In der sprichwörtlich allerletzten Minute kam die UN-Entscheidung, Sanktionen gegen das Gadaffi-Regime zu verhängen. Die Geldnoten blieben in London - und wurden später an die neue Regierung ausgeliefert. Jetzt verfolgt Talmon jede strategische Veränderung im syrischen Bürgerkrieg.

"Es ist letztlich eine klassische völkerrechtliche Frage: Wann hat eine Gruppe Regierungsqualität? Wann gilt eine Regierung als abgelöst, wann gilt ein Land tatsächlich als von den Oppositionellen oder Aufständischen kontrolliert?", so Talmon weiter. In der Regel gilt, wer die Hauptstadt in der Hand hat, hat auch die Macht.

Man muss schon große Gebiete "effektiv beherrschen", so Talmon. Ähnliches gilt etwa für die Verfügung über das Staatsvermögen im Ausland sowie die Kontrolle der Erdölförderung. Doch wie viel Land muss man tatsächlich mit seinen Truppen besetzen, um international anerkannt zu werden?

"In Syrien kommt erschwerend hinzu, dass es keine einheitliche Opposition gibt. Das heißt, man muss sehr genau schauen, wer gerade was sagt und tut und welche Bevölkerungsteile eine Gruppe hinter sich hat." Für die Politik zähle letztlich, wer die "legitimen Hoffnungen des Volkes" vertrete, so der Völkerrechtler.

Und das interessiert nicht nur ausländische Staaten, sondern besonders Banken und die Industrie. Wer darf tatsächlich den Staat vertreten? "Die Deutsche Bank etwa fürchtet nichts mehr, als dass sie zweimal zahlen muss", so Talmon. Es ging weiter ums Gadaffi-Regime, dem in Norddeutschland, aber insbesondere im Osten rund 1300 Tankstellen gehörten. Nach dem international verhängten Embargo wollte BP diese nicht mehr mit Benzin und Diesel beliefern.

Die Sache ging vor das Oberlandesgericht Hamburg. Und das entschied im Juni 2011, dass der BP-Konzern trotz des Embargos des UN-Sicherheitsrats und der EU die Tamoil-Tankstellen in Deutschland beliefern musste. Tamoil leite seine Gewinne aus den Tankstellen nicht nach Libyen weiter und müsste den Betrieb einstellen, wenn es nicht beliefert werde, so das Gericht.

"Völkerrecht ist eine spannende Sache", findet Talmon, der seit einem Jahr hilft, einen Krieg in Afrika zu verhindern. Es geht um Grenzstreitigkeiten. Die Staaten nennt er nicht - alles vertraulich. Die Sache ist so heikel, dass Talmon eine sichere Internetverbindung eingerichtet bekam, über die die Dokumente ausgetauscht werden.

"Es ist eine Detektivarbeit", erklärt Talmon, der im Deutschen Kolonialarchiv Berlin ein Bündel kleiner Karten entdeckt hat, was wohl entscheidend für die Konfliktlösung sein wird. Denn daraus geht hervor, mit welchen Vorlagen man im Außenministerium im 19. Jahrhundert gearbeitet hat. Als weiterer Schatz für die juristischen Wissenschaftler haben sich die vielen 100.000 Dokumente erwiesen, die die Enthüllungsplattform WikiLeaks ins Netz gestellt hat.

"Zum ersten Mal können wir über die vielen diplomatischen Cables am Beispiel des Kosovo nachvollziehen, wie der Anerkennungsprozess vonstatten ging", so Talmon. Mehr als 1000 Seiten Dokumente hat eine Mitarbeiterin ausgewertet. Talmon: "Es zeigt auch sehr schön, wie Staaten unter Druck gesetzt werden, wie Frankreich, Deutschland, die Briten und die USA Einfluss auf mehr als ein Dutzend Staaten ausüben. WikiLeaks hat uns geholfen, etwas mehr Licht in weltpolitische Zusammenhänge zu bringen."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort