Caesar-Wissenschaftler Reise ins Innere der Moleküle

Bonn · "Ich habe in der Schule noch gelernt, dass man Atome nicht sehen kann", sagt Stephan Irsen, Leiter der Projektgruppe Elektronenmikroskopie und Analytik im Bonner Forschungszentrum Caesar. "Wir stoßen heute in ungeahnte Regionen vor."

 Projektleiter Stephan Irsen vom Forschungszentrum Caesar erklärt das Kryoelektronenmikroskop.

Projektleiter Stephan Irsen vom Forschungszentrum Caesar erklärt das Kryoelektronenmikroskop.

Foto: Roland Kohls

Kabel, Stecker und glänzendes Metall, wohin das Auge blickt. In einer Ecke steht ein großer Tank mit flüssigem Stickstoff. Im "Bunker", wie die Wissenschaftler ihr Labor im Keller nennen, summt das Belüftungssystem monoton vor sich hin. Das imposante Gerät, das den gesamten Raum ausfüllt, sieht aus wie das Innere eines Space-Shuttles.

Doch die Wissenschaftler fliegen nicht zu den Sternen. Das Universum, das sie erforschen, befindet sich tief im Inneren der Materie. Ihr Raumschiff ist eines von weltweit 35 existierenden "Kryo-Elektronenmikroskopen", genannt KRIOS.

Dampf steigt aus dem Behälter auf, den Stephan Irsen in das KRIOS einschiebt. Es ist der Dampf gefrorenen Stickstoffs. "Die Temperatur der Proben, die wir untersuchen, muss konstant in einem Bereich um minus 170 Grad Celsius gehalten werden", erklärt der Wissenschaftler. Warum aber muss ein Objekt erst tiefgefroren sein, damit man es sich im Mikroskop angucken kann?

Das KRIOS zählt zu den Transmissionselektonenmikroskopen (TEM). Um Vergrößerungen vom molekularen Aufbau des Proteins zu erzeugen, schießen diese im Vakuum Elektronen durch eine Probe hindurch, sie durchleuchten sie sozusagen. Elektronen wirken dabei als ein Ersatz für Licht: Sie machen Strukturen von wenigen Nanometern, also bis auf Ebene der Atome, sichtbar. "Im Gegensatz zum Beispiel zu Goldpartikeln, die aus einem steifen Netz von Atomen bestehen, ist es bei biologischen Proben notwendig, ihre Struktur zu fixieren", erklärt Irsen.

Die Fixierung geschieht bei der Kryoelektronenmikroskopie mit Hilfe von Eis - allerdings nicht mit normalem Eis, so wie wir es kennen, sondern mit sogenanntem amorphen Eis. Das entsteht nur bei extrem niedrigen Temperaturen jenseits von minus 135 Grad, bei denen Wasser nicht in Kristallen gefriert, sondern zu einer zähen Flüssigkeit wird. Auf diese Weise dehnt sich das Eis nicht aus, die natürlichen Strukturen werden nicht zerstört.

"Die Methode bietet beim Mikroskopieren entscheidende Vorteile", sagt Irsen. Für den Einsatz im Standard-Elektronenmikroskop musste eine Probe früher mit Kunststoff fixiert und mit einem Farbstoff behandelt werden. Ein zeitaufwendiger Prozess, der zudem Material verfälschte. Erst mit Hilfe der Kryo-Technik kann eine biologische Probe, etwa eine Zelle, im Naturzustand durchleuchtet werden - und dies vollautomatisch.

Zu der erfolgreichen Grundlagenforschung, die in den vergangenen Monaten im Caesar betrieben wurde, zählt die Analyse eines Proteins, das in der Netzhaut von Mäusen das Sehen ermöglicht. "Schon seit einigen Jahren wird der genaue Aufbau eines Proteins kontrovers diskutiert. Wir glauben, nun die Lösung gefunden zu haben", sagt Irsen. Verraten will er die allerdings noch nicht, da die Ergebnisse noch nicht offiziell veröffentlicht seien.

Dass das Interesse an der Forschung groß ist, konnten die Mitarbeiter zuletzt auf der 2. Internationalen Caesar-Konferenz feststellen. Rund 150 Wissenschaftler aus der ganzen Welt kamen im Mai in die Bonner Forschungseinrichtung, um sich über neue Entwicklungen in der Elektronenmikroskopie auszutauschen.

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