Lehrstuhl für Philosophie an der Universität Bonn Runter vom Sockel

BONN · Als Professor Markus Gabriel im Jahr 2009 einen Lehrstuhl für Philosophie an der Universität Bonn übernahm, war er dort der jüngste Professor. Jetzt legt der 33-Jährige eine erste Gesamtdarstellung seines Denkens vor: Sein Buch "Warum es die Welt nicht gibt" ist ein engagiertes Plädoyer für den Mut zur Sinnfrage und für mehr Vielfalt in der Wissenschaft.

Sonne, Wasser, Wellen - das alles ist nicht da? Wer an einem schönen Sommertag am Strand liegt, wird den Satz "Warum es die Welt nicht gibt" als bestenfalls überflüssig empfinden. Ganz bewusst gewählt hat diesen provozierenden Titel für sein neues Buch jedoch Markus Gabriel, Philosophie-Professor an der Universität Bonn und Inhaber des Lehrstuhls für Erkenntnistheorie, Philosophie der Neuzeit und Gegenwart. Weil ein Philosoph den genauen Inhalt der Worte kennen will, mit denen er arbeitet, hat Professor Gabriel sich gefragt, was wir mit "es gibt" und "Welt" eigentlich meinen. Er hat beobachtet, dass menschliches Denken die "Existenz" einer Sache damit gleichsetzt, dass sie in Raum und Zeit vorkomme. "Im Französischen heißt “es gibt„ wörtlich “es hat dort„. Im Chinesischen heißt es: “enthalten sein in„. Wir sagen, etwas “existiert„, und meinen: “Es kommt in der Raumzeit vor.„" So weit verbreitet dieser Gedanke, so sinnlos sei er aber auch. "Worin ist denn die Raumzeit enthalten? Und wenn es noch Größeres gibt als sie - worin befindet sich dieses Größere?" Professor Gabriel konstatiert eine ausweglose Endlosschleife - erst recht, wenn man statt des Universums die "Welt" untersucht. Die sei noch viel mehr als alle Atome, Planeten und Galaxien: "Sie enthält vieles, was niemals wirklich “im Universum dagewesen„ ist. Unsere Träume zum Beispiel, oder Charaktere wie Faust oder Macbeth."

Philosophische Folgerung: Der Begriff der "Existenz der Welt" ist denkerisch sinnlos. Es gäbe immer noch mehr als die Welt. Das mag wie praxisferne Sprachspielerei klingen. Ist es aber nicht. Für Professor Gabriel folgt daraus nämlich die entschiedene Absage an jene verbreitete Resignation, die er den "modernen Nihilismus" nennt. "Wir sehen diesen riesigen Kosmos und glauben, dass wir bedeutungslose Ameisen sind." Alle Ethik, alle Kunst, selbst das eigene Leben erscheinen dem Menschen dann als "sinnlos".

Gabriel will das denkerisch zurückweisen. "Wenn ich zeigen kann, dass es kein “großes Ganzes gibt„ - dann gibt es auch nicht dieses große Ganze, das uns erdrückt. Ich kann dann zeigen, dass Kunst, Ethik oder Religion keine Spielereien sind, sondern Aufschlüsse geben können, wie wir leben sollten. Wie Kreativität in der Kunst uns weiterbringt. Oder was die Religion meint, wenn sie sagt: Wir sind Teil des Unendlichen, und das Unendliche ist in uns."

Professor Gabriels zweite Folgerung ist, dass das naturwissenschaftliche Weltbild von dem Sockel heruntergehört, auf den es der sinnlose Begriff vom "Existieren" im Lauf der Jahrhunderte gestellt habe. Der Denker will damit "nicht sagen, dass die Menschheit keine Naturwissenschaft mehr betreiben soll. Wir sollten sie nur nicht als komplettes Weltbild betreiben." Unser Sinnbedürfnis werde damit beschnitten. Als Gegenentwurf beschreibt er die Vision einer ausdifferenzierten Denklandschaft. "Niemand kann und soll da alleine regieren."

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