Universitätsgeschichte Schrift betrachtet "Studieren in Bonn von 1818 bis zur Gegenwart"

BONN · Die Bonner Studentengeschichte ist weniger erforscht, als man erwarten könnte. Das stellt Universitätsarchivar Thomas Becker im Vorwort des Buches "Bonna Perl am grünen Rheine" fest. Und sie hat sich weniger im Stadtbild niedergeschlagen, als man vermuten könnte.

 In den 50ern gab es Tanztee.

In den 50ern gab es Tanztee.

Foto: Heinz Engels

Als an Heiligabend 2006 die Gaststätte "Im Hähnchen" am Münsterplatz ihren Schankbetrieb einstellte, sei der Stadt nicht nur ein Stück Kneipenkultur verloren gegangen, sondern auch eines der wenigen Monumente für Bonner Studenten im 19. Jahrhundert, schreibt Jens-Peter Müller in seinem Beitrag über Bonner Studenten im Vormärz.

Geblieben ist jedoch der Studentenbrunnen auf dem Schlosskirchenhof mit seinen Zeugnissen der studentischen Kultur des 19. Jahrhunderts. Die Reliefs zeigen - neben anderem - das Fechten und ausschweifendes Trinken in der Gastwirtschaft als prägende Elemente der Bonner Studentenkultur. Akademisch ausgedrückt: "Das Trinken besaß für die Ausführenden eine identitätsstiftende Wirkung", schreibt Müller, es "unterstrich die studentische Sonderstellung und schuf eine gewollte Abgrenzung zu anderen Bevölkerungsgruppen".

Mit dem Alkoholkonsum einher ging nächtliche Ruhestörung - zumal die Studenten per Universitätsgesetz gezwungen waren, die Kneipe um elf Uhr abends zu verlassen, was zu regelmäßigen Aufläufen vor allem am Obelisken auf dem Marktplatz führte, wo sich die Studenten nach der Sperrstunde trafen.

Karzerstrafen spiegeln diese Unsitten wider. Auch Karl Marx saß einst wegen Ruhestörenden Lärms im universitären Gefängnis ein. Der Verfasser des Kommunistischen Manifests studierte 1835 und '36 in Bonn Jura und war auch in anderer Hinsicht als Student keine Ausnahme: Er schloss sich einer studentischen Verbindung an, wohl wegen seiner Herkunft der Landsmannschaft der Treveraner (Trierer).

Die Burschenschaften und Landsmannschaften waren typisch für das bis zur Wende zum 20. Jahrhundert rein männliche Studentenleben. In den viereinhalb Jahrzehnten des Kaiserreichs sie die Zahl der Bonner Studentenverbindungen explodiert, schreibt Dominik Geppert. Seit den 1890er Jahren nahmen viele Verbindungen keine Juden mehr auf - deshalb entstanden eigene jüdische Korporationen, die wie die übrigen Duell und Mensur pflegten.

In den Jahren der Weimarer Republik habe sich im rheinisch-katholisch-liberalen Bonn eine republikfeindlich-nationalistische Gesinnung zunächst nicht durchsetzen können, schreibt Ralf Forsbach in seinem Artikel "Studieren in der NS-Zeit". Doch dies blieb nicht so. Es kam zu Boykott-Aufrufen gegen sozialdemokratische, linksliberale und der KPD nahestehende Dozenten, die Zahl der jüdischen Studenten sank. Die Universität, so Forsbach, "war alles andere als ein Hort des Widerstands".

Es habe nur einzelne Studenten gegeben, die Widerstand organisierten. Einer von ihnen war der 1918 in Euskirchen-Kuchenheim geborene Willi Graf, ein herausragender Vertreter der "Weißen Rose". Er studierte zeitweise in Bonn und später in München und versuchte, in Bonn eine Flugblattaktion zu organisieren - wovon ihm die dortigen Ansprechpartner wohl abrieten. Am 18. Februar 1943 wurde Willi Graf in München verhaftet, am 12. Oktober wurde er hingerichtet.

Am 8. und 9. März 1945 eroberten amerikanische Truppen Bonn. Schon kurz darauf begann die Universität mit ihrer Reorganisation. Um 1950 habe sich ein Wandel in der Studentenschaft vollzogen, schreibt Christian George. "Der Idealismus, der die erste Nachkriegsstudentengeneration noch beseelt hatte und der... im Hinblick auf die Neugestaltung studentischer Vereinigungen, die Geschlechterbeziehungen und das politische und universitäre Engagement der Studenten sichtbar wurde, konnte von der nachrückenden Studentengeneration... nicht aufrechterhalten werden."

Trotz Vorlesungsstörungen, einem "Anti-Dies" mit dem Redner Rudi Dutschke 1967, trotz einer Demonstration am 11. Mai 1968 gegen die Notstandsverfassung - "Bonn war sicherlich trotz seiner besonderen politischen Bedeutung als Hauptstadt kein Zentrum der Studentenrevolte in Westdeutschland Ende der 60er Jahre", fasst Christian Hillgruber zusammen. Sein Erklärungsansatz: Unter den Studenten waren die Rheinländer in der Mehrzahl, "und der Rheinländer ist von seinem Naturell bekanntlich nicht sonderlich revolutionsgeneigt".

Thomas Becker (Hg.): Bonna Perl am grünen Rheine. Studieren in Bonn von 1818 bis zur Gegenwart, Bonner Schriften zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 5, V&R unipress, Bonn 2013, 39,99 Euro

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