Pathologische Diagnostik in Bonn Spurensuche in Gewebe und Zellen

BONN · Professor Glen Kristiansen ruft abstrakte Strukturen in Pink und Lila auf seinen Computerbildschirm auf. Kunstwerke in Pastelltönen, wie von Meisterhand originell entworfen, ineinanderfließende Farben, kleine Inseln im Schelf eines unbekannten Kontinents. "Ich bin nach all den Jahren immer noch völlig fasziniert von diesen Bildern", sagt der Direktor des Instituts für Pathologie am Universitätsklinikum Bonn.

 Für die meisten sehr abstraktes Gebilde, für den Pathologen höchst aufschlussreich: Eine Tumorprobe unterm Mikroskop.

Für die meisten sehr abstraktes Gebilde, für den Pathologen höchst aufschlussreich: Eine Tumorprobe unterm Mikroskop.

Foto: Andrea Künstle

Es hat etwas von Dostojewskis Lebensweisheit, dass Schönheit und Schrecken oft nah beieinander liegen. "Schrecklich ist das, dass die Schönheit nicht nur etwas Furchtbares, sondern auch etwas Geheimnisvolles ist. Hier ringen Gott und Teufel...", heißt es in "Die Brüder Karamasoff".

Was der Pathologe dort unter dem Mikroskop betrachtet, sind hauchzarte Schnitte von Tumoren. Eingefärbt mit Hämatoxylin, in Paraffin gehärtet, sind die Scheibchen etwa zwei bis vier Mikrometer dünn - das heißt, auf einem Millimeter ließen sich bis zu 250 Schnitte machen. Die Immunhistochemie macht sich die Erkennung von Molekülen durch Antikörper zu Nutze: zum Beispiel bei Brustkrebs die Hormonrezeptoren. Kristiansen schiebt weitere Objektträger unters Mikroskop, zeigt auf auberginefarbene Flimmerhärchen an der Bronchusschleimhaut, auf pinke Riesenfresszellen, knallrote Lungenarterien.

Die pathologische Diagnostik ist entscheidend für die weitere Therapieplanung von Krebspatienten. "Mit CSI und Rechtsmedizin haben wir nichts zu tun. Das wird häufig verwechselt", so Kristiansen. "Wir sind vielmehr höchst spezialisierte Sucher nach Spuren und Mustern in Gewebe und Zellen." Pathologen suchen nach Belegen und Nachweisen von Krankheiten, nach Molekülen, die für vielfältige Krebstumoren verantwortlich sind. "Her2" beispielsweise spielt als Wachstumsfaktorrezeptor eine wichtige Rolle in der Behandlung und Diagnostik des Mammakarzinoms.

Je nach Ergebnis wäre etwa eine Therapie mit einem Antikörper möglich. Damit ließe sich der Hormonsignalweg blockieren und ein weiteres Wachstum des Tumors verhindern. "Was wir hier tun, ist auch prädiktive Medizin", sagt der 44-jährige Mediziner, der vor anderthalb Jahren nach Bonn wechselte. Davor war er Professor für Molekulare Tumorpathologie und einer der Leitenden Ärzte in der klinischen Pathologie am Universitätsspital Zürich. "Prädiktiv" - also vorhersagende Medizin. Danach können genetische "Webfehler" durch eine molekularbiologische Analyse erfasst und daraus eine Art genetischer Steckbrief angelegt werden.

Als Krebsforscher hat Kristiansen den onkologischen Schwerpunkt in Bonn verstärkt. Dabei liegt sein besonderes Augenmerk auf neuen Biomarkern für eine verbesserte Diagnostik und Prognose von Prostatakrebs. "Biomarker zur Risikoabschätzung, wie sie beispielsweise bei Brustkrebs längst die Regel sind, spielen beim Prostatakarzinom bislang keine Rolle", sagt Kristiansen. Die Suche nach solchen Biomarkern, die die Aggressivität eines Tumors einschätzen helfen oder das Ansprechen auf ein Medikament vorhersagen, ist ein wesentlicher Kern seiner Forschung.

"Jeder Patient soll die Therapie bekommen, die ihm wirklich hilft", beschreibt Professor Kristiansen eines seiner Ziele. So stellt sich beispielsweise die Frage, ob es bei einem älteren Patienten sinnvoll ist, ein sehr langsam wachsendes Prostatakarzinom, das dessen Lebenszeit vermutlich nicht verkürzt, operativ zu entfernen. "Es gibt Karzinome, mit denen können Sie gut 20 Jahre leben. Da könnten die Nachteile durch die Operation durchaus überwiegen. Doch diese Patienten sind schwierig zu erkennen", konstatiert Kristiansen.

Deswegen begrüßt er eine gerade gestartete bundesweite Großstudie Prefere zum Prostatakrebs, die Kristiansen maßgeblich mit vorbereitet hat. Prostatakrebs ist die häufigste Krebsart bei Männern in Deutschland. In Deutschland erkranken nach Schätzungen des Robert Koch-Instituts (RKI) jährlich etwa 67.600 Männer an einem bösartigen Tumor der Vorsteherdrüse. Mehr als 12.000 sterben jedes Jahr an einem Prostatakarzinom.

In der "Prefere-Studie" sollen erstmals die vier gängigen Therapien verglichen und bewertet werden: das operative Entfernen der Prostata, die Bestrahlung von außen, die aktive Überwachung mit regelmäßigen Kontrollen oder die Behandlung des Tumors durch dauerhaft in der Prostata platzierte Strahlenquellen, die sogenannte Brachytherapie. Bei dieser, auch interne Strahlentherapie genannten Behandlung werden reiskorngroße Seeds direkt in die Prostata eingebracht. An der Studie sind rund 1000 niedergelassene Urologen und Strahlentherapeuten sowie mehr als 100 Prüfzentren beteiligt. Die Kosten von rund 25 Millionen Euro teilen sich die Deutsche Krebshilfe sowie die gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen. Die Deutsche Krebshilfe und die Krankenkassen wollen in der Langzeituntersuchung, die bis 2030 laufen soll, insgesamt 7600 Männer mit einem Prostatakarzinom im Frühstadium erfassen.

Facharztausbildung zum Pathologen
Die Ausbildung junger Pathologen liegt dem Institutsleiter Professor Glen Kristiansen besonders am Herzen: "Unser Fach gilt leider als sehr theorielastig. Doch auch wenn wir nicht direkt am Krankenbett erscheinen, sind wir Pathologen zentral in die Behandlung von Tumorpatienten involviert und arbeiten eng mit unseren klinischen Kollegen zusammen." Eine Motivation erhofft er sich unter anderem durch den Einsatz moderner Lernmittel wie ein digitales virtuelles Mikroskop am Computer. "So können Studenten spielerisch die Morphologie des menschlichen Körpers erlernen und gleichzeitig wie ein Pathologe von morgen arbeiten."

Sechs Jahre dauert die Facharztausbildung zum Pathologen. Kein Wunder: Immerhin gilt es, die Gewebeeigenschaften aller Organe und aller Krankheiten kennenzulernen. Nach der Ausbildung wird der Pathologe mindestens 200 Obduktionen vorgenommen haben, einschließlich histologischer Aufarbeitung, Dokumentation und epikritischer Bewertung. Er wird 15.000 histopathologische Untersuchungen aus verschiedenen Fachgebieten, einschließlich der Dermatohistopathologie sowie molekularpathologischer Analysen, 500 intraoperative Schnellschnittuntersuchungen und 10 000 zytopathologische Untersuchungen aus verschiedenen Gebieten, einschließlich der gynäkologischen Zytologie, gemacht haben. "Das klingt dröge, ist es aber nicht." Kristiansen: "Pathologie ist Lernen durch Begreifen."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort