Stets ganzheitlich gedacht

Von der Bonner Antrittsvorlesung bis zur ersten Enzyklika ist Papst Benedikt XVI. auf gleicher Linie geblieben - wenn auch die Fakultät am Rhein es ihrem jungen Professor einst schwer machte

  Joseph Ratzinger  2006 als Hirte der Weltkirche in Rom.

Joseph Ratzinger 2006 als Hirte der Weltkirche in Rom.

Foto: dpa

Bonn. Wer jetzt über das "starke Stück" und "ganzheitliche Verständnis der Liebe" in der ersten Enzyklika von Papst Benedikt XVI. staunt, der kennt die Antrittsvorlesung noch nicht, die Joseph Ratzinger als junger Professor für Fundamentaltheologie am 24. Juni 1959 an der Bonner Universität gehalten hat.

Sie ist jetzt in zweiter Auflage in einem früher auf christliche Traktate spezialisierten Verlag erschienen. Herausgeber ist der dritte Nachfolger auf jenem Lehrstuhl für Fundamentaltheologie, Professor Heino Sonnemans, der ein sachkundiges Nachwort, auch über die Tradition dieses Lehrstuhls, geschrieben hat.

Schon damals ging es Ratzinger um den Kern und das Fundament des Glaubens, ohne dass er ein dogmatischer Fundamentalist gewesen wäre. Im Gegenteil, er äußert sich dogmenkritisch: "Religion, die nicht rationalisierbar ist, kann im Grunde auch nicht dogmatisch sein, wenn anders Dogma eine rationale Aussage über religiöse Gehalte sein soll."

Ratzinger spricht und schreibt schon damals aus dem Geist der Einheit der Wahrheit und der Frage nach der Einheit der menschlichen Vernunft. Auf sie sieht er Theologen und Philosophen gleichermaßen verpflichtet und weiß, dass beide letzlich nur Annäherungen leisten können. Auch dem Papst ist Gott ein Rätsel geblieben.

2006 zitiert er Augustinus: "Wenn du ihn verstehst, dann ist er nicht Gott." Diese intellektuelle Redlichkeit erhofft er auch von aufklärerischen Philosophen und Soziologen. Er hatte sie im Dialog mit Jürgen Habermas in der Münchener Katholischen Akademie erfahren. Auch deshalb, weil diesem Theologen die Vorstellung fremd ist, die Philosophie sei die Magd der Theologie.

Die Problemstellung von 1959, ob die Begegnung von Evangelium und griechischer Philosophie der Erkenntnis Gottes dient oder einen Abfall vom biblischen Gott bedeutet, ist in der Gegenwart besonders aktuell: In einer globalisierten Welt stellt sich immer stärker die Frage nach der Begegnung des biblischen Gottes mit zunächst fremden Kulturen und nichteuropäischen Denkstrukturen, wie Peter Weinmann auf der Internetseite des Stadtmuseums Bonn zutreffend anmerkt.

Als Kardinal hatte Ratzinger 2004 geschrieben: "Als ich den Text wieder las, wurde mir erst vollends bewusst, wie sehr die damals gestellten Fragen der Leitfaden meines Denkens geblieben sind...". Diese Antrittsvorlesung kann also ein Schlüssel für die Enzyklika "Deus caritas est" sein.

So stolz die Katholische Theologische Fakultät heute auf ihr früheres Mitglied (1959 bis 1963) ist, so wenig kann sie sich wegen ihres damaligen Verhaltens gegenüber Ratzinger brüsten. Vor allem der Alt-Testamentler Johannes Botterweck rühmte sich angesichts des Wegganges Ratzingers nach Münster, dass er ihn vergrault habe.

Bei der Kandidatur für das Dekans-Amt der Fakultät erhielt Ratzinger nur eine Stimme, Professor Johann Auer dagegen acht. Ratzingers Wunsch, dass orthodoxe Theologen aus den Ostkirchen an der Fakultät promoviert werden können, wurde ebenfalls nicht erfüllt. Andere Doktoranden Ratzingers wurden zurückgesetzt.

Sein Eintreten für den fortschrittlichen Moraltheologen und späteren Rektor der Universität, Franz Böckle aus der Schweiz, fand zunächst ebenfalls wenig Gegenliebe. Professor Heinz-Josef Fabry hat jetzt anhand der Akten der Fakultätssitzungen das Spannungsverhältnis des jungen Professors Ratzinger zur Bonner Fakultät rekonstruiert. Was nichts am schönen Bonn-Bild, wie es Ratzinger in seinem Erinnerungsbuch "Aus meinem Leben" gezeichnet hat, ändern kann. Erst recht nichts an der Aktualität seiner Antrittsvorlesung.

Die Erste Enzyklika von Papst Benedikt XVI. im Wortlaut als pdf-Datei

Joseph Ratzinger (Benedikt XVI.): Der Gott des Glaubens und der Gott der Philosophen. Herausgegeben von Heino Sonnemans. Johannes-Verlag Leutesdorf, 67 S., vier Euro.

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