Bonner Forschergruppe Strafverfolgung über die Grenzen hinweg

BONN · Grenzen spielen im Zeitalter der Globalisierung oftmals kaum noch eine Rolle. So sind denn auch Straftaten, die Bezüge zu mehreren Staaten haben, keine Seltenheit. Wissenschaftler aus Bonn und Zürich haben ein Modell entworfen, wie mit solchen Straftaten umgegangen werden kann.

 Eine Vereinfachung des Strafrechts für Fälle, die mehrere Länder berühren, haben die Bonner Juristen Professor Martin Böse und Anne Schneider erarbeitet.

Eine Vereinfachung des Strafrechts für Fälle, die mehrere Länder berühren, haben die Bonner Juristen Professor Martin Böse und Anne Schneider erarbeitet.

Foto: Barbara Frommann

Ein Beispiel: Während eines Urlaubs in Frankreich verschuldet ein deutscher Tourist einen Verkehrsunfall, bei dem ein spanischer Tourist verletzt wird. Für die Verfolgung der Körperverletzung kommen drei Staaten in Betracht: Frankreich (wegen des Tatorts), Spanien (wegen der Staatsangehörigkeit des Opfers) und Deutschland (wegen der Staatsangehörigkeit des Täters).

Da üblicherweise jeder Staat sein Strafrecht auf alle Fälle erstreckt, an deren Bestrafung er ein nach völkerrechtlichen Grundsätzen anerkanntes Interesse hat, könnten hier auf dieselbe Körperverletzung gleichzeitig spanisches, französisches und deutsches Strafrecht angewendet werden. "Alle drei Staaten könnten ein Strafverfahren betreiben, weil ein Staat immer dann ein Verfahren führen darf, wenn sein eigenes Strafrecht Anwendung findet", sagt Professor Martin Böse, Strafrechtler an der Universität Bonn und Leiter der Forschungsgruppe.

Innerhalb der Europäischen Union gelte das Verbot der doppelten Strafverfolgung zwar auch grenzüberschreitend, so dass letztlich nur eine rechtskraftfähige Entscheidung erfolgen darf. "In welchem Staat diese abschließende Entscheidung über Schuld oder Unschuld des Angeklagten und die gegebenenfalls zu verbüßende Strafe ergeht, hängt dabei allerdings im Ergebnis davon ab, welcher dieser Staaten am schnellsten ist", sagt Böse. Heißt: "Es gilt das Prinzip: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst."

Mit ihrem Modellentwurf möchte die Forschungsgruppe um Böse klarer regeln, welcher Staat in solchen Konfliktfällen für die Strafverfolgung zuständig ist und welches Strafrecht Anwendung findet. Eine wesentliche Neuerung des Modells besteht darin, dass es zwischen Verfolgungszuständigkeit und anwendbarem Strafrecht unterscheidet, also die bisher bestehende Verknüpfung beider Aspekte aufbricht.

Was bedeutet dies konkret? Nach dem Modellentwurf gilt im obigen Beispielsfall einzig das Strafrecht des Tatorts, also französisches Recht. Grundsätzlich ist der Tatortstaat auch für die Strafverfolgung zuständig. Allerdings kann der Beschuldigte die Abgabe des Verfahrens an seinen Wohnortstaat - hier: Deutschland - beantragen. Stellt der Beschuldigte einen solchen Antrag, dem bei weniger schweren Straftaten in der Regel stattgegeben werden soll, wird das Verfahren in Deutschland weitergeführt. Das französische Strafrecht bleibt jedoch für die strafrechtliche Bewertung insofern maßgeblich, als keine höhere Sanktion verhängt werden darf, als nach französischem Recht zulässig ist. "Der Vorteil dieser Lösung liegt für den Beschuldigten darin, dass er nicht für das Strafverfahren ins Ausland reisen oder an das Ausland ausgeliefert werden muss", erläutert Böse.

Das Modell berücksichtigt jedoch auch staatliche Interessen: Mitgliedstaaten können in bestimmten Fällen die Übertragung der Strafverfolgung beantragen. "Mit den Modellregeln können daher auch komplexere Fälle einer befriedigenden Lösung zugeführt werden", sagt der Leiter der Forschungsgruppe.

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