Vampire lecken auch Öl von Fahrradketten

Der Bonner Historiker Peter Kreuter hat den Volksglauben des Balkan untersucht - Er berichtet: Noch heute werden in Südosteuropa bestimmte Verstorbene "vorsorglich" gepfählt

Vampire lecken auch Öl von Fahrradketten
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Bonn. Quietschend öffnet sich in einer Gruft der Sargdeckel. Ein bleicher Mann im schwarzen Umhang und mit spitzen Eckzähnen macht sich auf den Weg in die Nacht. Sein Ziel ist ein schmackhafter Hals - gerne der eines unschuldigen Menschen -, aus dem er das Blut aussaugen kann. Aufhalten lässt er sich nur von Spiegeln, Kreuzen und Knoblauch.

Soweit die landläufige Meinung über Vampire, die durch bekannte Klischees aus Film und Fernsehen zusätzlich unterstützt wird. Aber der Vampir im Volksglauben hat mit "Graf Dracula" nur wenig Gemeinsamkeiten aufzuweisen, hat der Bonner Historiker und Balkanologe Peter Kreuter herausgefunden: Der 33-Jährige hat seine Dissertation zum Thema "Der Vampirglaube in Südosteuropa" geschrieben.

Schon zu Beginn seines Rumänisch-Studiums 1991 entdeckte Kreuter die Faszination für die wissenschaftliche Seite des Vampirglaubens. Seine Nachforschungen führten Kreuter über Archive in Wien und über Transsilvanien bis in das Banat, eine historische Landschaft zwischen den Flüssen Theiß, Donau, Maros und den Südkarpaten.

Dort traf er beispielsweise auf eine alte Frau, die das Grab ihres Mannes eigenhändig pfählte, weil sie den Toten für einen Vampir hielt. Neben der Archivrecherche hat Kreuter seine Studien auf Interviews gestützt, die er selbst auf Rumänisch führte. "Anders geht das nicht. Viel von dem, was man in der Literatur findet, hat mit dem Vampir des Volksglaubens nichts gemein, sondern wurde ihm erst später angedichtet."

So taucht das angebliche Markenzeichen des Vampirs, nämlich der Biss in den Hals, in keiner historischen oder volkskundlichen Quelle auf. Andere Aspekte, wie das "Pfählen" des Vampirs (also, ihm einen spitzen Holzpflock ins Herz zu rammen) entstammen allerdings nicht der Phantasie des "Dracula"-Autors Bram Stoker.

Im Banat besuchte Kreuter eine Leichenwäscherin, die bei verdächtigen Leichen Pfählungen am Sterbebett vornimmt. "Und verdächtig", erklärt Kreuter weiter, "kann alles sein, was von der Norm abweicht. Ein Feuermal etwa, der besonders frühe Unfalltod eines Menschen oder auch sein Lebenswandel. Hier spielt die Vorstellung von Ordnung und Unordnung eine große Rolle. Die alte Dame stellt die Ordnung sozusagen wieder her."

So berichtet Kreuter, dass typischerweise Menschen mit einem "Steißbein-Fortsatz" von solchen Leichenwäscherinnen gepfählt werden. Dieses Phänomen ist "gar nicht so selten", so Kreuter. "Es sieht wie ein kleines Schwänzchen aus. Meines Wissens wird das bei uns gleich bei der Geburt wegoperiert."

Repressalien hat die alte Frau nicht zu befürchten. "Sie hat eine allgemein akzeptierte Aufgabe, die auf den rumänischen Dörfern auch heute noch weit verbreitet ist. Bei dem extrem langsamen Reformtempo in diesen Regionen wird sich das vermutlich auch nicht so schnell ändern", ist der Wissenschaftler sicher.

Die alte Dame hat neben der Aufgabe, die Leichen zu waschen, auch den Auftrag, den Toten davor zu bewahren, zum Vampir zu werden. So müssen beispielsweise Augen und Mund geschlossen sein. Es darf kein Tier über den Leichnam springen. Unverheiratet jung Verstorbene müssen in Brautkleid oder Anzug hergerichtet werden.

"Man muss die geistige Distanz zum Thema wahren und sich nicht von allem überraschen lassen. Auch wenn das nicht immer gelingt", erklärt Kreuter den Umgang mit den häufig für moderne Vorstellungen doch recht befremdlichen Entdeckungen. Er unterhielt sich in Transsilvanien mit einem Dorfsonderling, in dem die Dorfbewohner einen Werwolf vermuten. "Dieser 75-jährige Mann hat mich nach all den Jahren der Beschäftigung mit dem Thema immer noch überrascht", erzählt er. "Er war eine faszinierende Mischung aus Hinterweltlertum und scharfem Verstand. Er leitet ein Hunderudel mit Gesten und Blicken, dass es unheimlich war. Nach einer kurzen Zeit kommt dann allerdings wieder der Wissenschaftler in mir hoch und sagt mir, dass es für all das eine rationale Erklärung gibt."

Der angebliche Werwolf faszinierte Kreuter, gerade weil er nicht selbst eine Geschichte erzählte, sondern weil andere über ihn sprachen. "Man hat in diesem Dorf Respekt vor ihm, aber keine Angst. Die Leute wissen, dass er anders ist."

Das älteste Vampir-Dokument stammt aus dem Jahr 1382 und wurde in serbischer Sprache verfasst. Das älteste österreichische Dokument verfassten Militärärzte 1725. Noch heute hat in Österreich ein Erlass von Kaiser Josef II., dem Sohn Maria Theresias, aus dem 18. Jahrhundert Bestand: "Man kann sich vorsorglich einen Herzstich mit einem Stilett bestellen, um sicher zu gehen, dass man bei der Beerdigung auch tatsächlich tot ist."

Einen besonderen Schwerpunkt legte Kreuter in seiner Arbeit auf die Beantwortung der Frage, warum der Vampirglaube gerade in Südosteuropa so stark verwurzelt ist. Sein Erklärungsansatz zielt auf die Lücken im christlich-orthodoxen Weltbild, welches besonders dem Totenkult kaum Beachtung schenkt. "Diese Lücken füllten die Menschen mit Versatzstücken aus dem viel älteren Volksglauben, da sich die orthodoxen Kirchen kaum mit Sterben und Tod auseinander setzen", erklärt der Historiker. Gegenwärtig spielt der Vampirglaube in den Balkanländern kaum noch eine Rolle. Aber, so Kreuter weiter: "Noch zu Beginn der 80er Jahre wurde aus einer rumänischen Stadt berichtet, dass ein vampirähnliches Wesen umginge und das Öl von Fahrradketten leckte." Die Erklärung des Balkanologen: "Der Glaube entwickelt sich und kann auch auf moderne Dinge überspringen."

Ein Kamerateam des WDR hat Kreuter im August für zwei Wochen begleitet und gewissermaßen die Entstehungsgeschichte seiner Doktorarbeit verfilmt. Die Reportage "Der Vampirjäger" wird am Samstag, 15. November, um 18.20 Uhr sowie am Mittwoch, 19. November, um 13.30 Uhr in der Reihe "Hier und heute unterwegs" auf WDR 3 gesendet.

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