Virtuelle Welten entstehen und verblassen

400 Künstler und Wissenschaftler trafen sich auf Schloss Birlinghoven in Sankt Augustin - Fraunhofer-Institut prämierte innovative Medienprojekte

  "Nach der Natur"  wollen die Entwickler des "Genius Bodybuilder" Figuren etwa für Spielfilme erschaffen. Screenshot: Michael Wrobel

"Nach der Natur" wollen die Entwickler des "Genius Bodybuilder" Figuren etwa für Spielfilme erschaffen. Screenshot: Michael Wrobel

Sankt Augustin. Was bedeutet es, in einer Welt zu leben und zu arbeiten, die von Computern, digitalen Medien und virtuellen Architekturen beeinflusst wird? Wo haben Kunst und Wissenschaft in einer solch technologischen Welt Platz? 400 Künstler und Wissenschaftler trafen sich am vergangenen Wochenende auf Einladung des Fraunhofer-Instituts für Medienkommunikation (IMK) auf Schloss Birlinghoven in Sankt Augustin, um sich drei Tage lang mit diesen und weiteren Fragen auseinanderzusetzen.

Bei der Konferenz "cast01 - Living in Mixed Realities" zeigten sie Projekte zu neuen Technologien sowie für künstlerische Produktionen und sprachen über Medienkunst, Mediengestaltung und Medieninformatik. Wie sich Studenten und Professoren von deutschen Hochschulen vom Thema Medien inspirieren lassen, zeigte etwa das Projekt "digital sparks". Das MARS-Exploratory Media Lab des IMK hatte insgesamt 60 Hochschulen aufgefordert, sich am Aufbau von "digital sparks" zu beteiligen, einer Kartographie studentischer Medienprojekte auf der Internetplattform "netzspannung.org".

Das Institut will so ein Forum schaffen, in dem sich Studenten potenziellen Arbeitgebern, aber auch anderen Studenten präsentieren können. "Wir versuchen so den Dialog zwischen den Hochschulen zu fördern", sagte Ulrike Boecking vom IMK. Hochschulübergreifend solle ein Qualitätsvergleich gefördert werden. 52 Hochschulen - 90 Prozent davon allein aus den neuen Bundesländern - machten mit und schickten ihre Projekte ein. Einen von insgesamt drei "digital sparks"-Auszeichnungen gewannen die Kölner Designstudenten Sascha Kempe und Michael Wolf mit ihrem Projekt "Stadtwirklichkeit".

Die beiden Studenten entwickelten eine Plattform für virtuelle Städte im Internet. Vorbild war dabei der Roman "Die unsichtbaren Städte" von Italo Calvino. Die Vielzahl der in Calvinos Roman beschriebenen Wirklichkeiten hatte die Studenten inspiriert. Der Besucher der Internetseite der beiden Studenten (www.formlust.com) begibt sich auf eine Reise in fünf ausgewählte Städte aus Calvinos Buch. Während er durch audiovisuelle Räume streift, werden fünf Texte durch Stimme und Klanginstallationen erlebbar gemacht. Hat der Besucher schließlich eine Stadt gewählt, wird ihm angeboten, in diese einzuziehen und sich eine "Stadtwirklichkeit" vorzustellen.

Dies geschieht, indem er seine Wunschstadt in Text und Bild beschreibt. Die Beschreibung wird zu einem Gebäude der ausgewählten Stadt. Der Besucher wird damit zum Schöpfer oder zum Architekten. In Form einer sichtbaren Fläche kann das Gebäude von anderen Besuchern angeklickt und abgerufen werden. Findet es Zuspruch bei anderen Besuchern, wird es deutlicher und damit Teil der Stadt. Durch das negative Urteil der Besucher kann dieser Prozess auch umgekehrt werden: Wirklichkeiten werden uninteressant, verblassen und existieren nicht mehr.

Auch bei dem Projekt der Studenten Martin Schneider und Fabian Härle kann der Betrachter auf Entwicklungen einwirken und wie ein "Viehzüchter" Individuen schaffen: Mit dem "Genius Bodybuilder" lassen sich Figuren, Gesichter und virtuelle Welten genetisch modellieren. Das Programm entstand im Rahmen einer Studienjahresarbeit für Medientechnologie an der Technischen Universität Ilmenau. Bei dieser neuen Form des Designs werden plastische Formen im Computer gezüchtet.

Der "Genius Bodybuilder" soll für die Erzeugung von 3-D-Grafiken eingesetzt werden, die in Computeranimationen und virtuellen Welten Verwendung finden - etwa in Spezialeffekten beim Film. "Mit unserem Programm ist es möglich, nach dem Vorbild der Natur Figuren zu schaffen, die sich im Laufe der Evolution nach Vorstellung des Programmierers verändern", erklärt der 25-jährige Martin Schneider seine Erfindung. So könnten etwa Figuren für Spielfilme am Computer geschaffen werden, die bestimmten Kriterien entsprechen sollen.

"Bisher war es kein Problem, eine einzelne Figur am Computer zu erschaffen", so der Student, "doch wenn man eine ganze Masse von Figuren brauchte, wurde es schon schwieriger." Mit dem "Genius Bodybuilder" sei dies nun kein Problem mehr. Das fand auch die international besetzte Jury und zeichnete Schneider und Härle ebenfalls mit einem Preis aus.Der Lohn für die Mühen: ein Workshop beim Fraunhofer-Institut in Sankt Augustin. Vielleicht fällt den Studenten dabei eine noch größere Erfindung ein - das Institut will die besten Ergebnisse des Workshops finanziell unterstützen und verwirklichen.

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