Bonner Caesar-Forscher Weichmacher machen Spermien müde

BONN · Wissenschaftler des Bonner Forschungszentrums Caesar schlagen Alarm: Tests haben gezeigt, dass hormonell wirksame Chemikalien, wie sie in Lebensmitteln und Kosmetika allgegenwärtig sind, die Funktion menschlicher Spermien beeinträchtigen.

 Versteckte Belastung: UV-Blocker, Kosmetika oder Plastikflaschen - in vielen alltäglich genutzten Produkten finden sich Chemikalien, die Spermien beeinträchtigen.

Versteckte Belastung: UV-Blocker, Kosmetika oder Plastikflaschen - in vielen alltäglich genutzten Produkten finden sich Chemikalien, die Spermien beeinträchtigen.

Foto: GA-Collage

Die Alltagschemikalien könnten demnach mitverantwortlich sein für die heutzutage abnehmende Fruchtbarkeit. Die Erkenntnis: Konservierungsstoffe, UV-Blocker, Weichmacher und Co. reduzieren nicht nur die Anzahl der männlichen Spermien, wie das bislang befürchtet wurde, sie zeigen auch eine akute negative Wirkung auf die (dann noch vorhandenen) Spermien.

"Das ist eine neue Dimension", sagte Studienleiter Timo Strünker vom Center of Advanced European Studies and Research (Caesar) in Bonn gestern dieser Zeitung. "Die Spermien, von denen es ohnehin oft schon zu wenige gibt, kriegen auf dem Weg zur Eizelle sozusagen noch den Rest."

Die Forschergruppe hat rund 100 auch "Störer des Hormonsystems" genannte hormonell wirksame Chemikalien mit dem neuen Verfahren getestet. Das Ergebnis: Etwa 30 davon stören den Kalzium-Haushalt der Spermien, darunter Bestandteile von Sonnenschutzmitteln wie 4-Methylbenzylidencampher (4-MBC), das in Zahnpasta und Kosmetika enthaltene, antibakteriell wirkende Triclosan und der Kunststoffweichmacher Di-n-butylphtalat (DnBP). Letzterer gehört zu den Chemikalien, deren Verkauf und Verwendung die EU im Jahr 2011 verboten hat - ab Januar 2015.

"Die Chemikalien imitieren die Hormonwirkung auf Spermien", erklärt Strünker. "Das bringt die Spermien durcheinander." Gestört werden könnte sowohl die Navigation der Spermien hin zur Eizelle als auch deren Eindringen in die Eizelle. Der Forscher betont, dass die drei explizit genannten Chemikalien "nicht die drei einzigen bösen Buben" seien. Insgesamt hätte sich ein Drittel der jetzt untersuchten Chemikalien negativ auf die Spermien ausgewirkt.

Inzwischen, so der Studienleiter, befänden sich die hormonell wirksamen Chemikalien längst in der Nahrungskette und damit "bei jedem im Blut". Wer sich vor ihnen schützen wolle, könne beispielsweise Wasser aus Plastikflaschen vermeiden und möglichst natürliche Produkte konsumieren.

Aber, so Strünker: "Man kann diesen Chemikalien nicht entkommen." Die deutsch-dänische Forschergruppe wolle deshalb mit ihrer Arbeit wissenschaftliche Belege liefern, die helfen, für die Zukunft neue Richtlinien zu erarbeiten. "Man muss bei der Entwicklung von Chemikalien viel vorsichtiger werden und genaue Tests durchführen, bevor sie in Umlauf kommen."

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