König Charles III. Wie geht‘s weiter mit der britischen Monarchie?

Bonn · Das historische Spektakel ist vorbei, Kronen, Zepter, Schwerter und Reichsapfel sind wieder eingepackt. Wird König Charles ein Reformer sein? Eigentlich kann er da nur verlieren.

Nach der Zeremonie des 6. Mai  ist der mehr als 700 Jahre alte „Coronation Chair“ (Krönungsstuhl) wieder an seinen angestammten Platz in einer Seitenkapelle der Westminster Abbey zurückgekehrt.

Nach der Zeremonie des 6. Mai ist der mehr als 700 Jahre alte „Coronation Chair“ (Krönungsstuhl) wieder an seinen angestammten Platz in einer Seitenkapelle der Westminster Abbey zurückgekehrt.

Foto: picture alliance/dpa/PA Wire/Dan Kitwood

Was für ein historisches Ereignis! – Was für eine undemokratische Geldverschwendung! – Krönung? Welche Krönung? – Zu welcher der Fraktionen Sie auch immer gehören: Denken Sie „Schön, es gesehen zu haben“ oder „Schön, es nicht wieder sehen zu müssen“. Denn so etwas wird es nie wieder geben. Eine Krönung vielleicht. Aber so eine? Nie mehr.

Zugegeben: Diesmal musste es wohl so ablaufen, weil viele Leute lange darauf gewartet hatten, sich mit einer Art Historien-Festspiel aktiv an die gute alte Zeit erinnern zu dürfen, als die Musik noch in London spielte statt in Washington oder Moskau. Aber zu viel Buntheit in Schwarz-weiß-Zeiten kann dem Auge auch wehtun. Bis William V. den Thron besteigt, kann es fünf Jahre dauern, zehn oder 24 (falls Charles III. die Durchschnitts-Lebensdauer seiner Eltern erreicht und 98 wird). Bis dahin wird William sich überlegt haben: So golden-purpurn-hermelinig wie bei seinem Vater sollte es nicht mehr ablaufen.

Nicht nur, weil unsere Gegenwart eine Veranstaltung von der vieltausendfachen Länge eines Tiktok-Schnipsels nicht mehr erfassen kann. Sondern vor allem, weil sie sie nicht mehr versteht. Die Salbung des Königs mit Öl um Beispiel. „Bizarr“ hieß sie bei den Deutungs-Hoheiten einer Gesellschaft, die vieles verzeiht – außer, wenn sie bei irgendwas nicht zugucken darf. Dass hinter den Paraventen etwas Heiliges geschah: Wer daran glaubt, wird es auch hinter verschlossenen Türen des Palastes akzeptieren. Wer nicht daran glaubt, würde sich beim nächsten Mal lautstark wehren, dabei anwesend sein zu müssen.

Charles‘ Macht in den Commonwealth-Reichen ist die gleiche wie in London, also quasi null

Zwar ist es nur logisch, das göttliche Heil auf einen Monarchen herabzurufen, wenn der zugleich das Oberhaupt der Staatskirche ist. Aber kann ein Staatsakt als christlicher Gottesdienst ablaufen, wenn die Mehrheit der Bevölkerung nicht einmal mehr nominell dem Christentum anhängt? Selbst Charles hatte ja schon überlegt, aus seinem Titel „Defender of the Faith“ das „the“ herauszunehmen und somit ungefähr „Verteidiger aller religiösen Gefühle“ heißen zu wollen.

Auch ob die Fahnen der „Commonwealth-Reiche“ beim nächsten Mal noch zu sehen sind, ist fraglich. Denn dass der britische Monarch in diesen Ländern Staatsoberhaupt sei, ist Fiktion für Nostalgiker. Alle Aufgaben des Amtes liegen dort bei den „Generalgouverneuren“, de jure Stellvertretern des Monarchen, die aber nicht von ihm ausgesucht werden, sondern von der Regierung; dass er sie ablehnt, kommt nie vor.

Charles‘ Macht in den Commonwealth-Reichen ist die gleiche wie in London, also quasi null. Australien, Kanada und Neuseeland sind mit dieser „Monarchie“ gut gefahren, weil in Canberra, Ottawa und Wellington dasselbe gilt wie in Berlin: Keine Regierung hat es gern, wenn das Staatsoberhaupt nebenan sitzt und sich allzu wichtig nimmt (zum Beispiel, weil es vom Volk gewählt ist). Darum wird das Modell als solches zwar wahrscheinlich erhalten bleiben. Aber es optisch derart zu betonen – auch das wäre Canberra, Ottawa und Wellington wahrscheinlich nicht mehr recht.

Charles würde es bestimmt auch verschmerzen, nicht mehr König von Antigua oder von Tuvalu zu sein, oder von Jamaika, dem derzeitigen Frontstaat der Antimonarchisten. Noch als Prince of Wales kam er 2021 klaglos zum royalen Abschiedsbesuch nach Barbados, das just erklärt hatte, Republik werden zu wollen. Dass die Monarchie als solche überall auf den Prüfstand gerät, ist aber nicht zwingend. „Ein vom Volk gewähltes Staatsoberhaupt“, das Monarchiegegner als bessere Lösung anpreisen, muss nicht zwingend eine sein. Wie sehr ein gewählter Präsident zwischen 2017 und 2021 die Welt durcheinanderbrachte, ist noch in schlechter Erinnerung. Sein französischer Amtskollege sinkt gerade zum unpopulärsten Menschen zwischen Calais und Korsika herab. Sein türkischer Kollege ... tja. Und auch der russische Amtsinhaber behauptet, vom Volke gewählt zu sein. Lassen wir das mal so stehen.

Charles III. fehlt die robuste Konstitution Elizabeths, die sie die Macken des Systems ertragen ließ

Die Kandidaten dafür stammen aus Hinterzimmer-Entscheidungen oder Vorwahlen an der Basis. Die eine Methode ist undemokratisch, die andere chaotisch und populismuslastig. Beide bedeuten dasselbe: Wer ins Amt will, muss sich emporprügeln. Kein Wunder, dass manche Amerikaner sagen: „Wer das Prozedere überstanden hat, mit dem man Kandidat wird, hat damit bewiesen, für das Amt selbst charakterlich nicht geeignet zu sein.“ Dass stattdessen der aktuelle Nachfahr irgendeines Dynastiegründers zum Staatsoberhaupt wird, ist zwar ein Zufall der Biologie – aber einer, bei dem es gelegentlich Glücksfälle gibt.

Ob Charles III. so ein Glücksfall ist? Nach allem, was man liest, glaubt er an das System, wie seine Mutter es tat. Das ehrt ihn, ist aber schlecht. Denn ihm fehlt die robuste Konstitution Elizabeths, die sie die Macken des Systems ertragen ließ. Ihm fehlt ihre unintellektuelle Bodenständigkeit, die sie allen Visionen abhold machte. Klimaschutz, Umweltschutz, und so weiter: Manche von Charles’ Äußerungen aus den letzten Jahrzehnten lassen vermuten, dass er ähnlich denkt wie einst Kaiser Franz Joseph, der gesagt haben soll, seine Aufgabe sei es, „meine Völker vor den Dummheiten ihrer Regierungen zu schützen“.

„Moderate Modernisierung“ hieße: Den Wildwuchs beschneiden, die Wurzel erhalten. Aber wenn die Institution derart verwuchert ist, dass Wurzel und Wildwuchs nicht mehr unterscheidbar sind? Charles kann da eigentlich nur verlieren. Die Krönungsfeier zu verkürzen; sie um einen Gospelchor anzureichern; nichtchristliche Würdenträger hinzuzubitten: Für Reformer ist das zu wenig, für Traditionalisten zu viel.

Einen großen Trumpf hat Charles: die kluge Frau an seiner Seite. Gut möglich, dass Camilla ihrem Gatten erklärt, wo er wirklich etwas bewegen könnte, und dass es direkt in den Nervenzusammenbruch führt, die eigene Arbeit übertrieben wichtig zu nehmen. Gut möglich also ebenfalls, dass Charles es dem Intellektuellen auf dem Papstthron nachtut und irgendwann abdankt.

Ob auf Charles noch ein König folgt: Das zu entscheiden, ist Sache der britischen Verfassungsgeber

Dann bekäme die jugendkultige Gegenwart endlich, was sie sich wünscht. Auch am Krönungstag führten diverse Kommentatoren begeistert aus, was „the Young Royals“ jetzt alles tun könnten – in derart erwartungsvoll-forderndem Ton, dass es spontane Solidarität für Prinz Harry erwecken konnte. Umfragen sagen zwar, der jungen Generation Britanniens seien die Royals völlig egal. Nun ist es mit der Jugend aber so eine Sache. Erstens (Vorteil): Sie erstarrt nicht in Meinungen. Zweitens (Nachteil): Sie übernimmt Meinungen gerne von außen. Drittens (Vorteil und Nachteil zugleich): Sie geht vorüber. Vielleicht werden Tradition und Stabilität bei den heutigen Teens und Mittzwanzigern wieder populär, sobald die Rucksackreisen und Partynächte dem Büroalltag weichen, dem Kita-Stress und dem Bausparvertrag.

Außerdem ist (in allen Altersstufen) nichts so launisch wie die öffentliche Meinung. Sehr oft gab es königsmüde Zeiten; immer folgten Zeiten royaler Begeisterung. Ende der 90er Jahre gab es Poster von Prinz William in der Bravo. Prinz George (9) hat schon gezeigt, wie gut ihm ein Pagen-Outfit steht; auch Prinzessin Charlotte (8) und Prinz Louis (5) kommen bald ins Anschwärm-Alter. Wie der Kanal dazu heißen wird, weiß noch keiner. Aber es wird ihn geben.

Ob auf Charles noch ein König folgt: Das zu entscheiden, ist Sache der britischen Verfassungsgeber. Nicht einfach, weil es dort eine geschriebene Verfassung noch nicht mal gibt. Ließe sich die Frage einer Volksabstimmung unterwerfen? Riskant. Oder könnte das Parlament entscheiden? Es widerspricht dem Wesen von Parlamenten, wirklich revolutionäre Gesetze zu beschließen. Noch am ehesten könnte die Monarchie stürzen, wenn das gesamte Staatswesen kippt. Wir leben in wüsten Zeiten; so etwas ist für so manches Land zumindest nicht mehr völlig undenkbar.

Aber wer würde sich das schon wirklich wünschen? Zivilisierte Revolutionäre (auch vor 105 Jahren in Deutschland) schicken gestürzte Monarchen nicht aufs Schafott, sondern aufs Altenteil, gut versorgt mit Apanagen, Grund- und Immobilienbesitz. Wesentlich billiger als vorher ist das selten. Nur wesentlich weniger ästhetisch. Pragmatisch wäre, dann eben alles so zu lassen, wie es ist. Kostet nur 1,50 Pfund pro Untertan und Jahr. Und wenn die Briten eines sind, dann Pragmatiker.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Vertane Chance
Kommentar zum Zirkus in Bad Godesberg Vertane Chance
Aus dem Ressort