"Wissenschaftliches Kränzchen" feiert 130-jähriges Bestehen

Im Mittelpunkt der exklusiven Vereinigung Bonner Professoren steht vor allem zwangloser wissenschaftlicher Austausch

  Das wissenschaftliche Kränzchen im Jahr 1973:  Die Professoren Brandis, Erbse, Jungbluth, Weitbrecht, Paul, Braubach, von Einen, Müller, Friesenhahn, Klausen, Schirmer, Troll, Langlotz, Helferich und Kloft (von links im Uhrzeigersinn).

Das wissenschaftliche Kränzchen im Jahr 1973: Die Professoren Brandis, Erbse, Jungbluth, Weitbrecht, Paul, Braubach, von Einen, Müller, Friesenhahn, Klausen, Schirmer, Troll, Langlotz, Helferich und Kloft (von links im Uhrzeigersinn).

Foto: Privat

Bonn. Im 19. Jahrhundert gab es die exklusiven "Kränzchen" noch sehr zahlreich. Professoren unterschiedlicher Fächer trafen sich im privaten Kreis und tauschten sich über ihre Forschungsergebnisse aus.

Es handelte sich dabei um eine Art kleine private Akademie in den Wohnungen der Gelehrten. "Damals schossen die wissenschaftlichen Kränzchen wie Pilze aus dem Boden", berichtet der Bonner Rechtswissenschaftler Professor Josef Isensee. "Es gab sie an allen Universitäten in mehrfacher Form."

Das Bonner wissenschaftliche Kränzchen ist das einzige, das aus dieser Zeit überdauert hat. Kürzlich feierte es sein 130-jähriges Bestehen. 14 Professoren treffen sich sieben Mal pro Jahr - während des Semesters jeden ersten Mittwoch im Monat in alphabetischer Reihenfolge der Teilnehmer. "Das Kränzchen hat erste Priorität auf dem Terminkalender", erzählt Isensee, der seit 22 Jahren der Runde angehört.

"Punkt 20 Uhr ist man da." Bis etwa 21.30 Uhr setzen sich die Professoren zum Vortrag zusammen und diskutieren. Dann geht's zu Tisch - eine weitere Regel besagt: "Auf den Vortrag des Wirtes folgt ein gemeinsames Abendessen, bei welchem jeder Luxus vermieden werden soll (ein Fleischgang!)". Was mit Vermeidung jeglichen Luxus gemeint ist, entscheidet die jeweilige Hausfrau. Eherne Regel: Punkt 23 Uhr endet das Treffen.

Das Bonner Kränzchen wurde im November 1877 gegründet. Erst als es 25 Jahre alt wurde, kam man auf den Gedanken, die Treffen in schriftlicher Form in einem Buch festzuhalten - das Datum, die jeweiligen Themen, die Teilnehmer und die Gastgeber. Heute ist das Buch fast gefüllt. Man hat sogar versucht, die ersten 25 Jahre - soweit möglich - aus dem Gedächtnis zu rekonstruieren.

"Das wissenschaftliche Kränzchen ist heute ein kleiner Verein, der keinen Vorsitzenden und keine Vereinsbeiträge hat, sondern nur ein einziges Vermögensobjekt - ein Buch, das die Mitglieder selber schreiben", sagt Isensee. Da nicht von Anfang an Buch geführt wurde, liege der Ursprung im historischen Dunkel. "Eine Gründungslegende müsste erst noch erfunden werden", sagt der Rechtswissenschaftler augenzwinkernd.

Die Geschichte des Kränzchens verlief nicht ohne Zäsuren. "Während des Ersten Weltkriegs fanden noch Treffen statt, die Themen blieben meist unberührt von den zeitgeschichtlichen Ereignissen", berichtet Isensee. "Sie folgten den Eigengesetzlichkeiten der Wissenschaften." Themen waren etwa die Tektonik der Erde, die Radioaktivität oder islamische Bußpredigten. Von 1918 bis 1920 fanden "aufgrund der politischen Verhältnisse" - wie es hieß - keine Zusammenkünfte statt.

Doch spielte die Kriegserfahrung in Vorträgen der Nachkriegszeit eine Rolle: etwa "Ärztliche Kriegserfahrung in Belgien, Russland, Mazedonien" oder "Der Versailler Vertrag und der Wirtschaftskrieg". Als weiterer Einschnitt macht sich dann der Zweite Weltkrieg bemerkbar. Es gab vereinzelte Zusammenkünfte, die sich zumeist kriegsfernen Themen widmeten - etwa der Herkunft und sozialen Stellung der römischen Juristen. Im Jahre 1941 aber widmete sich der letzte Vortrag der Kriegszeit der englischen Seeblockade.

Erst im Februar 1946 fand das nächste Treffen statt. Nun war der Nürnberger Prozess ein Thema. Zwischen diesen beiden Vorträgen enthält das Kränzchenbuch eine kleine, kommentarlose Notiz: "Phillipson: wieder eingetreten". Der Geograph Philippson war jüdischer Herkunft.

Im Jahr 1935 hatte er ein letztes Mal referiert - über die West- und Ostküste Griechenlands, ihre geographischen und kulturellen Unterschiede. Zu den herausragenden Persönlichkeiten des Kränzchens zählten etwa der Physiker Heinrich Hertz, der Chirurg August Bier, der Kunsthistoriker Carl Justi, der Jurist Ernst Zitelmann und der Physik-Nobelpreisträger Wolfgang Paul.

Heute gehören der exklusiven Runde Wilhelm Barthlott (Botanik) an, Thomas Bieber (Dermatologie), Armin B. Cremers (Informatik), Nikolaus Himmelmann (Archäologie), Willi Hirdt (Romanistik), Max G. Huber (Kernphysik), Josef Isensee (Rechtswissenschaft), Wolfram Hogrebe (Philosophie), Theo Kölzer (Geschichte), Georg Noga (Gartenbauwissenschaft), Peter Propping (Humangenetik), Konrad Repgen (Geschichte), Georg Satzinger (Kunstgeschichte) und Tilman Sauerbruch (Innere Medizin).

Wenn ein Mitglied ausscheidet, wird einstimmig ein neues berufen. "Es wird auf eine gewisse Balance zwischen Natur- und Geisteswissenschaften geachtet", berichtet Isensee. "Man sieht sich um, wer echtes Interesse daran hat, fremden Fächern zu begegnen." Den Mitgliedern sei wichtig, dass der neu Hinzukommende noch relativ jung ist. "Nur so kann der Kreis sich erneuern und überleben."

Über die Gründe, warum die Kränzchen aus der Mode gekommen sind, lässt sich nur spekulieren. "Die Zäsur der Kriege kann eine Rolle gespielt haben", meint Isensee. "Wahrscheinlicher ist jedoch, dass sich die Mentalität der Professoren geändert hat." Die Neigung sei vermutlich heutzutage weniger ausgeprägt, ein solches Studium generale freiwillig und ohne öffentlichen Reputationsgewinn zu absolvieren.

Isensee: "Mit der Mitgliedschaft kann niemand angeben - das verhindert schon der Name Kränzchen." Gründe mögen demnach auch sein, dass die Spezialisierung weiter vorangeschritten ist und die Geselligkeit, die verfügbare Zeit und vielleicht auch die Neugier auf andere Fächer abgenommen hat. Es gibt auch einen ganz praktischen Grund, weshalb solche Treffen schwieriger zu organisieren sind als früher: Die Wohnungen sind heute nicht mehr so groß.

"Viele sind gar nicht mehr in der Lage, 14 Professoren im heimischen Wohnzimmer zu bewirten", sagt Isensee. Auf Schlagzeilen hat das Kränchen im Übrigen nie Wert gelegt. "Doch ein einziges Mal kam dieser private Kreis in die Gazetten", berichtet Isensee.

Bei seinem 80. Geburtstag wurde der Astrophysiker Wolfgang Priester gefragt, welches von den vielen Vereinigungen und Gremien, denen er angehörte, ihm am meisten bedeute. Er nannte das wissenschaftliche Kränzchen - und löste mit dieser Antwort viele Fragen der Journalisten aus. Nun berichteten verschiedene Tageszeitungen über "Deutschlands exklusivsten Herrenclub".

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