Wolfgang Orscheschek: "Die Stadt ist unter großen Druck gesetzt worden"

Der Landesvize der Polizeigewerkschaft spricht über die Ursachen der Katastrophe bei der Loveparade und die Warnungen der Beamten im Vorfeld.

Wolfgang Orscheschek: "Die Stadt ist unter großen Druck gesetzt worden"
Foto: ga

Die Deutsche Polizeigewerkschaft kritisiert die Veranstalter der Loveparade. Mit dem stellvertretenden Landesvorsitzenden Wolfgang Orscheschek, der zugleich Duisburger Kreisvorsitzender ist, sprach Ulrich Lüke.

General-Anzeiger: Sie erheben schwere Vorwürfe gegen den Veranstalter der Love-parade, sprechen davon, dass materielle Interessen eine ganz wesentliche Rolle gespielt haben.

Orscheschek: Ja, das ist richtig, Die Polizei hat schon im Vorfeld gewarnt. Ein kleiner Veranstaltungsraum, sehr viele zu erwartende Besucher: Das passte nicht zusammen. Wir haben den Eindruck, dass der Veranstalter einfach die Situation ausgenutzt hat: das Jahr der Kulturhauptstadt 2010. Man weiß, wie Medien und Öffentlichkeit reagieren, übt Druck auf Politiker aus, wegen eines angeblichen Imageschadens, wenn die Loveparade nicht stattgefunden hätte. Man setzt die Stadt und den Oberbürgermeister so unter Druck, dass sie gar nicht anders entscheiden können.

GA: Mit anderen Worten: Es wurde trotz massiver Sicherheitsbedenken genehmigt?

Orscheschek: Uns als Polizei war die Fläche für die große Zahl von Besuchern zu klein.

GA: Erinnern Sie sich an Großveranstaltungen auf einem eingezäunten Gelände mit einem zentralen Zugang durch einen Tunnel?

Orscheschek: Nein, daran kann ich mich nicht erinnern, auch nicht in der Geschichte der Loveparade, nicht nur in Berlin. Etwa in Dortmund oder Essen haben wir immer Alleen und große Straßen gehabt, große Plätze mit mehreren Zu- und Abgängen. Das alles war hier in Duisburg nicht so.

GA: Unter dem Strich sagen Sie also: Diese Katastrophe hätte verhindert werden können.

Orscheschek: Ja. Sie hätte aber nur durch eine Absage im Vorfeld verhindert werden können.

GA: Oder dadurch, dass sie gar nicht erst genehmigt worden wäre?

Orscheschek: Ganz genau.

GA: Warum haben örtliche Politiker dem Druck nachgegeben, übergeordnete Instanzen sich nicht eingeschaltet?

Orscheschek: Der Druck ist durch die Veranstalter entstanden, über Landespolitiker verstärkt und in die Medien getragen worden. Wir haben nun mal das Jahr der Kulturhauptstadt. Da ist es sehr einfach, von einem Imageschaden für Duisburg zu sprechen, wenn die Loveparade nicht stattfindet. Dann hat man als Ortspolitiker sehr sehr schlechte Karten. Sage ich als Bürgermeister die Veranstaltung ab, bin ich der Buhmann. Genehmige ich und es läuft gut, bin ich ganz oben. Läuft es schlecht, so wie jetzt, stehe ich vor einem Scherbenhaufen.

GA: Noch einmal: Alternativen vor Ort, eine andere Organisation, hätte es nicht geben können?

Orscheschek: Nein, Alternativen gab es nicht. Es gab nur, auch unter Hinzuziehung von Stau- und Chaosforschern, die Überlegung, die Besucher durch eine eigens installierte Lautsprecheranlage zu informieren. Das ist gemacht worden. Und wir, die Duisburger Polizei, hatten vorgeschlagen, die Veranstaltung in der Fläche zu entzerren, das heißt längere Anmarschwege zu wählen. Dieser Gedanke ist leider verworfen worden. Das Ergebnis sieht man jetzt.

GA: Sie waren selbst am Ort des Geschehens?

Orscheschek: Ich war zu dem Zeitpunkt Dienstgruppenleiter auf der Einsatzleitstelle.

GA: Stimmt es, dass es 30, 40 Minuten vor der Panik konkrete Hinweise an die Ordnungskräfte gab?

Orscheschek: Es gab an diversen Punkten Hinweise auf Zusammenballungen, Aber es gab keine konkreten Hinweise, so dass wir binnen zwei, drei Minuten hätten Fluchträume freigeben müssen. Der Auslöser der Panik war ja nicht der Tunnel, sondern das waren Besucher, die eine tödliche Abkürzung über einen Zaun genommen haben, der dann leider umgestürzt ist, auf weitere Besucher fiel, andere drängten zurück. Hätten man sich relativ ruhig verhalten, wäre die Tragödie wahrscheinlich nicht passiert.

GA: Die Tunnelsituation war aus Ihrer Sicht nicht die Ursache?

Orscheschek: Nein, das waren die Besucher, die auf die Zäune gestiegen sind.

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