Politik - Ein Papst der neuen Akzente
Pius XI. ordnet das Verhältnis der Kirche zum Staat
Mit der Wahl seines Namens verkündet jeder neue Papst ein erstes Programm. Als am 6. Februar 1922 Achille Ratti, der damals knapp 65jährige Erzbischof von Mailand, zum Oberhaupt der katholischen Kirche gewählt wurde und sich Pius XI. nannte, schien er sich weniger an seinem direkten Vorgänger Benedikt XV. zu orientieren, der dem Heiligen Stuhl durch seinen Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit im Weltkrieg zu neuem Ansehen verholfen hatte, als an Pius X., dessen innerkirchlicher Feldzug gegen die "Modernisten" noch in unguter Erinnerung war.
Doch Ratti, ein Mann der Wissenschaft mit Sinn für die Realitäten dieser Welt, verstand die Kontinuität, die sich mit diesem Namen andeutete, anders, als viele befürchteten: Er setzte dort Akzente, wo unter Pius X. Defizite sichtbar geworden waren.
Wie Benedikt XV. baute er die im Modernismusstreit begründeten Spannungen in der Kirche ab, und überzeugender als Pius X. setzte er sich im Geiste Leos XIII. und dessen wegweisender Enzyklika "Rerum novarum" von 1891 für eine gerechte Sozialordnung ein. In die Geschichte ging er jedoch mit zwei politischen Vertragswerken ein: mit den Lateranverträgen und dem Reichskonkordat.
Die Lateranverträge, die 1929 zwischen dem Heiligen Stuhl und Italien abgeschlossen wurden, beantworteten die seit der Eroberung des Kirchenstaates 1870 durch italienische Truppen offene Römische Frage: Auf einem Territorium von 0,44 Quadratkilometern entstand der souveräne Vatikanstaat; für enteigneten Besitz erhielt er eine finanzielle Abfindung; ein Konkordat regelte die Beziehungen zwischen beiden Seiten und bestätigte den Katholizismus als Staatsreligion Italiens. Für die Faschisten unter Benito Mussolini war es ein Prestigegewinn, für den Papst, den "Gefangenen im Vatikan", ein Befreiungsschlag.
Im Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 machte die deutsche Regierung der Kirche weitreichende Zugeständnisse: Sie garantierte die öffentliche Ausübung des Glaubens, den Fortbestand der theologischen Hochschulfakultäten und den Religionsunterricht an den Schulen.
Als Gegenleistung wurde Geistlichen und Ordensleuten die Mitgliedschaft in politischen Parteien untersagt. Von diesem Vertrag, der bis heute die Basis des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche in Deutschland bildet, versprachen sich die Nationalsozialisten eine Steigerung ihres internationalen Ansehens. Eingehalten haben sie ihn nicht: Schon 1937 sah sich Pius XI. gezwungen, mit der Enzyklika "Mit brennender Sorge" - der einzigen in deutscher Sprache - gegen die kirchenfeindliche Haltung des NS-Regimes zu protestieren. In weiteren Schriften wandte er sich gegen den Antisemitismus und den drohenden Krieg. Dessen Beginn erlebte er nicht mehr: Er starb am 10. Februar 1939 in Rom.