Politik - Verräter oder Opfer?

Der rätselhafte Fall des Otto John

War er das Opfer östlicher Geheimdienste oder das seines eigenen Irrtums? Dr. Otto John hat bis zum Tod vergeblich um seine Rehabilitierung gekämpft, behauptet, er sei entführt und vom sowjetischen Geheimdienst KGB benutzt worden. Fakt ist: Der erste Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, seit 1950 im Amt, verschwindet in der Nacht zum 21. Juli 1954 aus West-Berlin über die Sektorengrenze in die Hauptstadt der DDR. Mit dabei sein Freund, der Berliner Arzt Dr. Wolfgang Wohlgemuth. Zwei Tage später ist John im Ostdeutschen Rundfunk zu hören, als er vor Journalisten seinen "freiwilligen" Schritt erklärt: Er habe die Bundesrepublik verlassen, weil nicht nur sein Amt von NS-Leuten unterwandert werde.

Fakt ist aber auch: John hat mit Nazis seine Erfahrungen gemacht. 1954 ist es gerade einmal zehn Jahre her, daß sein Bruder Hans hingerichtet worden ist. Beide Johns gehören zu den Widerständlern, Otto baut schon frühzeitig mit am Informationsnetz unter Admiral Wilhelm Canaris. Vier Tage nach dem gescheiterten Anschlag auf Hitler fliegt John nach Madrid und gelangt über Lissabon als politischer Emigrant nach England. In britischer Uniform nimmt er als Berater an den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen teil. Dann läßt er sich in London als Anwalt nieder. Bis ihn 1950 der CDU-Politiker Jakob Kaiser als BfV-Präsident empfiehlt.

Widersprüchlich bleibt, was in der Julinacht '54 passiert. Tagsüber nimmt er an der Gedenkfeier für die Widerständler teil. Und dann - John beharrt Zeit seines Lebens darauf: Er wurde von dem befreundeten Arzt betäubt und schlafend über die Grenze geschafft, alles war nur ein Komplott östlicher Geheimdienste. Er habe mitgemacht um zu überleben.

Aussagen zweier Sowjets belegen beide Thesen. So beteuert der sowjetische Überläufer Wladimir A. Karpow 1968, John sei aus freien Stücken gekommen, den Kontakt habe Wohlgemuth vermittelt. Johns Motiv: Er habe Unterlagen über Nazis in der Bundesregierung gesucht und sei mit der Entwicklung der Bundesrepublik unzufrieden gewesen. Hingegen bestätigt Valentin Falin, ehemaliger sowjetischer Botschafter in Bonn und Deutschlandexperte im Kreml, Johns Schilderung: Man habe den Verfassungsschutzchef nicht zum Übertritt überreden können, ihn daher im Schlafe zwingen müssen. 1993 liefern die KGB-Offiziere Pitrowanow und Tschernjawski eine weitere Version: John sei zwar freiwillig gekommen, aber nicht freiwillig geblieben.

War John tatsächlich aus Unzufriedenheit über die junge Bundesrepublik gen Osten gezogen, so kehrt er ebenso unzufrieden wieder zurück. Am 12. Dezember 1955 fährt ihn der dänische Journalist Henrik Bonde-Henriksen über die Grenze. Wegen Landesverrats verurteilt ihn der Bundesgerichtshof zur vier Jahren Haft - Schlüsselzeuge: Wohlgemuth - entläßt ihn aber nach 18 Monaten Haft. Bundespräsident Richard von Weizsäcker gewährt 1986 dem 77jährigen im Gnadenweg einen Unterhaltsbeitrag. Ein Prozeß gegen Wohlgemuth wegen Menschraubs endet mit Freispruch mangels Beweisen. John stirbt am 26. März 1997, fünf Tage nach seinem 88. Geburtstag in Innsbruck.

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