100 Jahre Weinsiegel AOC Welcher Wein ist päpstlich genug für den Papst?

Chateauneuf-du-Pape · Chateauneuf-du-Pape hat schon eine Menge erlebt: einen Papst, die Reblaus, Parkplätze für Trinker, sogar UFOs. Und auch eine große Errungenschaft der weltweiten Weinbautradition nahm hier vor 100 Jahren ihren Ausgang.

 Symbolbild

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Foto: dpa-tmn/Andreas Drouve

Die Winzer unserer Tage beherrschen ihr Handwerk. Eine Flasche ab sieben, acht Euro lässt heute die Zeiten von Glykol-Skandal und Dreimännerwein unbestimmter Herkunft weit hinter sich. Ein Meilenstein hin zu dieser Entwicklung wurde 1923, vor 100 Jahren, in einer heute weltbekannten Winzerregion im Süden Frankreichs gesetzt.

Welcher Wein ist päpstlich genug für den Papst? Der Streit der Kirchtürme rund um Chateauneuf-du-Pape nahm seinen Ausgang schon im 14. Jahrhundert. Damals residierten die Päpste für rund 70 Jahre in und um das nahe gelegene Avignon; unter der politischen Dominanz von Frankreichs Königen, aber auch, um dem Chaos römischer Adelsfehden auszuweichen.

Hier verfügten sie durch politische Wechselfälle bereits über eigene Territorien; vor allem die 1229 beschlagnahmte Grafschaft Venaissin, die Gegend um Avignon selbst mit Chateauneuf. Andere kamen bald hinzu; darunter die sogenannte Enclave des Papes, mehrere Dörfer nördlich von Orange, die zuvor dem enteigneten Templerorden gehört hatten.

Geschichtsverzerrung um Chateauneuf-du-Pape

Päpstliches Gebiet also, gut. Aber was ist an Chateauneuf tatsächlich „du pape“? Nun, es handelt sich um eine kleine Geschichtsverzerrung. Das „neue Schloss“, von dem Chateauneuf seinen Namen hat, ließen ursprünglich jedenfalls noch die Grafen von Toulouse erbauen - die als Strafe für die Unterstützung der ketzerischen Albigenser 1229 von den Päpsten um diesen Landstrich ärmer gemacht wurden.

Nun gibt es in Frankreich rund 30 Chateauneufs, etwa so viele wie in Deutschland Neustadts. Und die nennen sich ja zur Unterscheidung auch „an der Weinstraße“, „am Rennsteig“ oder „am Rübenberge“. Da ließen sich die Chateauneuvois die Legende gut gefallen, dass Papst Johannes XXII. 1317 angeblich mal zehn, zwölf Tage in Chateauneuf verbracht haben soll. Aber auch das ist keineswegs verbürgt.

Bis heute findet alljährlich am ersten August-Wochenende eine Prozession von Avignon nach Chateauneuf statt - in Erinnerung an den vermeintlichen jährlichen Sommerurlaub der Päpste. Historischer Unsinn. In Frankreich sagt man zu so etwas beschönigend: „die Bettdecke ein bisschen zu sich hinziehen“.

Joseph Ducos und die Reblaus

Die starke Figur der Dorfgeschichte am Ende des 19. Jahrhunderts war Joseph Ducos (1833-1910). Nicht nur, dass er als erster die von der Reblaus verwüsteten Lagen neu bewirtschaftete. Er betrieb auch die Umbenennung in „Chateauneuf-du-Pape“. Das war 1893. Bis dato hatte der Ort über Jahrhunderte einfach nur Chateauneuf bei Avignon geheißen - oder, noch profaner, Chateauneuf-Calcernier, „die Kalkproduzierende“.

Ducos' Nachfolger als starker Mann der Region trug einen klangvollen Namen: Pierre Le Roy de Boiseaumarie (1890-1967). Pierres Vater war ein Kavallerieoffizier aus der Normandie, der aber wegen seines Protests gegen die Trennung von Kirche und Staat 1905 aus der Armee entlassen wurde. Die Familie siedelte sich als Winzer im Vaucluse an.

Auch Sohn Pierre hatte schon früh ein ausgeprägtes Temperament. Beim Jura-Studium in Montpellier soll er 1907 bei einer Winzer-Demo gegen Preisdumping am Tor des Justizpalastes gezündelt haben. Als Jagdflieger im Ersten Weltkrieg gelangen Pierre fünf Abschüsse; sein Spitzname: „Baron Le Roy“.

Hochdekoriert, heiratete er 1919 Edmee Bernard Le Saint, die Erbin von Chateau Fortia, dem edelsten Weingut der Region; der Treffer seines Lebens. In den 1920er Jahren entwickelte der Jurist strenge Anbau- und Herkunftsrichtlinien für die Weine der Region - eine Vorstufe des regionalen Herkunftssiegels A.O.C. („Appellation d'Origine Controllee).

Winzer einigten sich auf strikte Qualitätsregeln

Die Vorvorgeschichte der “kontrollierten Herkunftsbezeichnung„ reicht sogar bis ins 15. Jahrhundert zurück, als per Dekret die Erzeugung von Roquefort-Käse geregelt wurde. 1905 dann räumte ein Gesetz die Möglichkeit ein, die Herkunftsgebiete bestimmter Produkte amtlich festzulegen; Qualitätsanforderungen waren dabei aber noch nicht vorgesehen. Ein weiteres Gesetz von 1919 verwies die Kompetenz für solche Festlegungen an die Gerichte - was in vielen Regionen langwierige Rechtsstreits zur Folge hatte.

1923 wurde unter der Obhut des “Baron Le Roy„ ein Verband gegründet, der die Herkunft Chateauneuf-du-Pape schützen sollte. Die Winzer des Gebiets einigten sich auf strikte Qualitätsregeln vom Anbau bis zur Kelter. Zehn Rebsorten wurden zunächst zugelassen für die Rot- und Weißweine aus Chateauneuf-du-Pape; drei weitere kamen 1936 hinzu. Und 1929 wurden per Gerichtsbeschluss die Grenzen des rund 3.200 Hektar großen Gebietes festgelegt.

Im Juli 1935 dann wurde ein Institut gegründet, das künftig über die Vergabe der AOC-Rechte und alle damit zusammenhängenden Fragen und Streitigkeiten entschied: das INAO (Institut national des appellations d'origine des vins et des eaux-de-vie). Mitbegründer und später Präsident auf Lebenszeit war natürlich der “Baron Le Roy„. Als eine der ersten Frankreichs wurde die Appellation Chateauneuf-du-Pape eingetragen.

Und seit 1938 ist auch das weltbekannte Emblem auf dem Flaschenhals der bald sündhaft teuren Weine markengeschützt: die dreifache Papstkrone (Tiara) und die beiden gekreuzten Petrusschlüssel. Dass sich aber der historisch doch gar nicht so päpstliche 2.200-Seelen-Ort “Neuschloss„ nun derart auf die Hinterbeine stellte, was die Nutzung der Vatikan-Insignien angeht, mochten sich wiederum einige Winzer anderer einst ebenfalls päpstlichen Territorien nicht gefallen lassen. Sie entwickelten ein Konkurrenzemblem, genannt “La Mitrale„.

Deren Flasche sieht gar nicht so anders aus: derselbe Schriftzug “Chateauneuf-du-Pape„; doch statt der Tiara die einfache Mitra, die tütenartige Kopfbedeckung der Bischöfe. Nur ein Plagiat aus bis zu 40 Kilometer entfernten Lagen? Nun - die Güte der Böden und die Winzerkunst hören ja nicht an der Dorfgrenze auf. Der Flaschenstreit ging über viele Jahre und durch X Gerichtsinstanzen. Am Bodensatz aller Polemiken ging es vor allem um den Namen.

Für die Eigen-PR war Chateauneuf schon immer jedes Mittel recht. So erließ Bürgermeister Lucien Jeune 1954 für das gesamte Gemeindegebiet ein Überflug- und Landeverbot für Fliegende Untertassen (UFOs, frz. “OVNI"); Zuwiderhandlungen hätten eine Beschlagnahmung des Gefährts zur Folge. Noch 2016 weigerte sich die örtliche Verwaltung, das entsprechende Dekret zu widerrufen. 1970 wurden - wohl ebenfalls aus PR-Gründen - Schlafparkplätze für Autofahrer gekennzeichnet, die bei Weinproben ihre Fahrtüchtigkeit eingebüßt hatten.

Große Liebhaber der Weine aus Chateauneuf waren Staatspräsident Charles de Gaulle (1890-1970) und - so schließt sich ein Kreis - Papst Johannes Paul II. (1978-2005). Laut der Legende kam das so: Der damalige Bürgermeister von Castel Gandolfo, bis vor kurzem päpstliche Sommerresidenz nahe Frascati, trank 1986 im heimischen Restaurant einen Chateauneuf - und fand sich damit auf seiner Suche nach einer Partnerstadt schlagartig fündig.

Johannes Paul II. wurde ein erklärter Fan, des Austauschs wie auch des Weines. Beim Sebastianus-Fest in Castel Gandolfo empfing er die Chateauneuvois regelmäßig. Im Gegenzug erhielt er eine Weinlieferung aus dem einst päpstlichen Gebiet.

Das französische AOC-System, das der Region Weltruf verschaffte, ist freilich heute Geschichte. 2014 mündete es in das EU-weit gültige System geschützter Herkunftsbezeichnungen.

(kna)
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