Präsentation des neuen Weinjahrgangs Kostprobe

Wiesbaden · Diese Woche fand in Wiesbaden die Vorpremiere der Großen Gewächse des Verbands der Prädikatsweingüter statt. Die Verkostung bietet Weinexperten einen Eindruck des neuen Jahrgangs.

 Erster Eindruck: In Wiesbaden wurden 421 Weine ausgeschenkt

Erster Eindruck: In Wiesbaden wurden 421 Weine ausgeschenkt

Foto: vdp

Ein leises Gurgeln und Spucken. Wenig mehr ist zu hören in dem Saal in den Kolonaden neben dem Wiesbadener Kurhaus. Dabei sitzen gerade rund 100 Menschen an den Tischen, vor sich haben sie je sechs Gläser stehen. Flinkes Personal schenkt ihnen immer und immer wieder nach. 120 oder manchmal auch 130 oder noch mehr Weine über acht Stunden an jeweils drei aufeinander folgenden Tagen. Das muss eine skurrile Szenerie für Menschen sein, die Wein eigentlich nur trinken und genießen möchten.

Dabei genießen auch die 100 Experten aus aller Welt, die jedes Jahr in Wiesbaden zusammenkommen, ihre Aufgabe, auch wenn sie nicht schlucken, sondern eben spucken. In ihre Gläser kommt dort nur das Beste, was Deutschland zu bieten hat. Denn der Verband der Prädikatsweingüter, VDP, hatte diese Woche zur Jahrgangsverkostung geladen. Er stellt seine „Großen Gewächse“ (GG) vor, das sind die trockenen Spitzenweine der gut 200 Mitglieder. Sie werden ab September auf dem Markt erhältlich sein, nachdem die Weinkritiker in Wiesbaden ihr Urteil gefällt haben – und damit den Genießern eine Orientierungshilfe geben. Ein Überblick über Jahrgang, Regionen und Rebsorten:

Jahrgang 2015/2016

Die Rotweine waren Jahrgang 2015, die Weißweine überwiegend aus 2016. Nach dem warmen 2015 ist der kühlere Jahrgang 2016 eher klassisch einzuordnen und hat vor allem Rieslinge von schlankerem Format, frischerer Säure und niedrigerem Alkohol hervorgebracht.

Silvaner

Bei Silvaner haben die Franken sozusagen die Exklusivrechte. Und Horst Sauer aus Escherndorf schlägt alle. Sein „Am Lumpen 1655“ ist Silvaner in seiner reinsten Form: frisch, klar, leicht rauchig, mit Eleganz und Finesse und zugleich jetzt schon offenherzig. Besser geht es kaum.

Spätburgunder

Bei Spätburgunder ist die regionale Bandbreite naturgemäß größer, doch auch hier zählt ein Weingut aus Franken zur Spitzenklasse: Rudolf Fürst stellte gleich drei ganz starke Weine vor, wobei Schossberg und Hundsrück sich durch ihre Feinheit und Eleganz über den Centgrafenberg noch hinwegsetzen.

Im Rheingau beweist Urban Kaufmann mit seinem Hassel, dass in Zukunft mit ihm zu rechnen ist. Aber gegen so viel barocke Opulenz, wie der Berg Schlossberg von August Kesseler mitbringt, ist schwer anzukommen. Er bietet exzessive Frucht und teilt großzügig Würze aus. Dagegen wirkt der Wein aus gleicher Lagen von den Hessischen Staatsweingütern Kloster Eberbach so zurückhaltend wie ein Klosterschüler. Aber diese Weine sind erfahrungsgemäß Langstreckenläufer und werden erst von Jahr zu Jahr besser.

Die beiden Spätburgunder aus der Lage Morstein in Rheinhessen, der eine vom Weingut Gutzler, der andere von Klaus-Peter Keller, haben ein Jahr länger gebraucht, um sich vorstellen zu dürfen. So ist es Jahrgang 2014, der beide in ganzer Schönheit zeigt – den Gutzler sehr feinsinnig, den Keller unglaublich druckvoll und stark in der Struktur.

In der Pfalz liegen die üblichen Verdächtigen vorn: Knipser mit seinem Kirschgarten und Burgweg aus dem Jahrgang 2013, beide saftig, griffig, ausdrucksstark – die Reife hat hier die einzelnen Komponenten schon verschmolzen. Aus dem Süden kommt von Bernhart aus dem Sonnenberg, Parzelle „Rädling“, ein Prachtexemplar, und Friedrich Becker stellt mit dem 2014er Sankt Paul einen beeindruckenden Wein vor.

Aus Baden überzeugen die Weine von Julian Huber, der seinen ersten eigenverantworteten Jahrgang abgeliefert hat. Sein Bienenberg Wildenstein ist noch ein Wein-Baby in seiner Sturm-und-Drang-Zeit, aber mit gigantischem Reifepotenzial. Das Kontrastprogramm kommt vom Weingut Franz Keller: zurückhaltender und ernsthafter, aber dafür schon sehr geschliffen, unaufdringlich seidig und elegant.

Aus Württemberg erwähnenswert: der Hohenberg Glaukós von Wachtstetter und der Gips Marienglas von Aldinger. Bei der Ahr liegt der Pfarrwingert von Meyer-Näkel vorn, der Herrenberg von Stodden deutet künftige Größe bisher vorsichtig an.

Riesling

Riesling ist der Rebsorten-Star von Deutschland. An der Mosel wird er traditionell restsüß ausgebaut, was bei den Großen Gewächsen ausgeschlossen ist. Deshalb hat die Region auch länger gebraucht als andere, um zu ihrem Stil zu finden. Heymann-Löwenstein mit seinem Uhlen Laubach bildet dabei das wilde, durchdringende Ende ab, Van Volxem mit seinem Scharzhofberger Pergentsknopp das tiefgründige kapriziöse. Dazwischen fielen die Weine von Dr. Loosen und Schloss Lieser auf.

Die Nahe hat ihre Stars, die Jahrgang für Jahrgang ihre Größe beweisen. Da sind die Klassiker von Dönhoff, nie laut, aber immer mit Finesse und Komplexität wie das Felsentürmchen aus dem Felsenberg. Ein eigener Stil für sich: Schäfer-Fröhlich, in der Jugend rauchig und reduktiv, aber mit Felseneck und Stromberg so stoffig und lang im Nachhall, dass man das Entwicklungspotenzial schmecken kann.

Allein schon weil Rheinhessen ein Viertel der deutschen Anbaufläche ausmacht, ist die qualitative Spannbreite groß. Eine sichere Wahl sind Kühling-Gillot, Battenfeld-Spanier, Wagner-Stempel und Gutzler neben den bekannten Namen: Wittmann, dessen Weine diesmal von Kellers Hubacker allerdings übertroffen werden. Eine Überraschung boten die Aulerde und das Kirchspiel von Fritz Groebe, die sich oft erst nach Jahren outen, diesmal aber mit ihrer Dichte und Stoffigkeit schon jung mit an der Spitze liegen.

Die Pfalz: ganz stark in 2016. Bei der Querverkostung der Lagen Pechstein, Jesuitengarten, Kirschgarten und Ungeheuer übertrumpften sich Bassermann-Jordan, Von Winning, Reichsrat von Buhl und Bürklin-Wolf geradezu. Wobei ein Wein unschlagbar war: das Kirchenstück Jahrgang 2015 von Reichsrat von Buhl war in der gesamten Probe eine Klasse für sich, in burgundischem Stil ausgelegt, schlicht überwältigend.

Im traditionsreichen Rheingau steigt das Qualitätsniveau wieder von Jahr zu Jahr. Achim von Oetinger verschiebt mit seinem Siegelsberg, Hohenrain und vor allem mit dem Marcobrunn die Messlatte deutlich nach oben. Während sich der Weil’sche Gräfenberg und auch Fred Prinz mit Jungfer und Schönhell gewohnt im oberen Bereich einsortieren, punkteten die Rieslinge von Peter Jakob Kühn völlig eigenständig und herrlich unangepasst. Die Weine von Gunter Künstler sind insgesamt eleganter und präziser geworden. Sehr erfreulich auch die Entwicklung der Kaufmann-Rieslinge.

Am Mittelrhein brillierte Matthias Müllers Bopparder Hamm Engelstein gewohnt ausdrucksvoll, wobei sein Riesling An der Rabenlei in Punkto Frucht und Fülle noch eins draufsetzte. Jochen Ratzenbergers Bacheracher Wolfshöhle fiel dieses Jahr etwas zarter aus, während sich der St. Jost als schlanker Rieslingtyp mit lebhafter Säure, präzise, glasklar und voller Potenzial präsentierte. Jörg Lanius ist mit seinem Bernstein Lauerbaum ein komplexer, langlebiger Volltreffer gelungen.

Info: Für den General-Anzeiger verkosteten Weinbuchautorin und Sommelière Christina Fischer und Caro Maurer MW (Master of Wine).

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