Familien-Kolumne „Kinderkram“ Irgendwas bleibt immer liegen

Den Familienalltag mit kleinen Kindern zu organisieren, ist gar nicht so leicht. Die To-do-Liste ist so lang, dass irgendetwas immer liegen bleibt – zum Teil sogar über Jahre. Und die vielfach angepriesenen Tools helfen auch nicht unbedingt weiter.

 Irgendwas bleibt immer liegen, manchmal sind es auch einfach die Eltern selbst.

Irgendwas bleibt immer liegen, manchmal sind es auch einfach die Eltern selbst.

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Seit anderthalb Jahren will ich einen Termin für eine Routineuntersuchung beim Ohrenarzt machen, bin aber einfach noch nicht dazu gekommen. Das klingt auch in meinen ungereinigten Ohren absurd. Wie kann es sein, dass ich es über viele Monate nicht schaffe, eine Aufgabe von meiner To-do-Liste zu streichen, die im ersten Schritt nicht mehr als zehn Minuten Zeit in Anspruch nehmen würde?

Natürlich will ich nicht behaupten, dass früher nie etwas liegen geblieben ist. Aber das Ausmaß erreicht, seitdem wir Kinder haben, ganz neue Level. Wer Nachwuchs bekommt, muss plötzlich sehr viele Aufgaben des alltäglichen Lebens doppelt und dreifach erledigen: Anziehen, Zähneputzen, Kämmen, Kleidung kaufen, Arzttermine, Verabredungen, Geburtstagsgeschenke für Freunde besorgen. Alles braucht plötzlich doppelt so lange, mindestens – denn es geht wesentlich schneller, sich selbst eine Hose aus dem Schrank zu ziehen und hineinzuschlüpfen, als eine Zweieinhalbjährige davon zu überzeugen, dass bei minus vier Grad keine Hose keine Option ist.

Während zwei Erwachsene aufräumen, können zwei Kinder zeitgleich das Vierfache an Chaos anrichten – und dass, obwohl sie vortäuschen, an der Aufräumaktion beteiligt zu sein. Manchmal habe ich das Gefühl, unsere To-do-Liste ist so lang, dass ich es nicht mal schaffe, sie bis zum Ende durchzulesen.

Menschen in meinem Umfeld nutzen unterschiedliche Systeme und Tools, um ihr Familienleben zu organisieren. DIN-A3-Kalender in der Küche, synchronisierte Smartphone-Apps, wilde Zettelsammlungen am Kühlschrank, Wochenplaner auf Acrylglas, familieninterne Jour fixes, Kanban-Boards am Küchenschrank. Auch wir haben einiges ausprobiert.

Gerade, wenn Care-Arbeit geteilt wird, sind solche Hilfsmittel unerlässlich, um nicht komplett den Überblick zu verlieren. Leider sind sie aber keine Wundermittel, die das Grunddilemma auflösen könnten, dass immer irgendetwas liegen bleibt, jetzt eben nur sichtbarer. Zu den ewig unerledigten Aufgaben gehören bei uns beispielsweise: Fenster putzen, Auto aussaugen, Esstisch ölen, Mantelknopf annähen, Fotos sortieren.

Irgendwas bleibt immer liegen, manchmal bin das auch einfach ich. Schließlich will Mensch ja auch Zeit haben, einfach mal die Beine hochzulegen oder eine Runde an der frischen Luft spazieren zu gehen, sich ins Spiel mit den Kindern zu vertiefen, ein Buch vorzulesen oder sich einen sehr langen Witz mit vorweggenommener Pointe erzählen zu lassen. Es gibt im Alltag jede Menge wichtiger Dinge, die meist gar nicht erst auf der Liste stehen, Anforderungen aus den sowieso schon leicht verkümmerten Lebensbereichen außerhalb von Arbeit und Familie: Freunde, Hobbys, Sport, Interessen, Spleens.

Irgendwann werden die Kinder selbstständiger und übernehmen einen Teil der Aufgaben. Dass die Eltern dadurch besonders viele neue Kapazitäten gewännen, kann ich allerdings bislang nicht bestätigen. Denn es braucht mindestens die gleiche Zeit, Aufgaben für das Kind zu erledigen, wie mit dem Kind darüber zu diskutieren, wann, wie und warum überhaupt diese Aufgaben erledigt werden sollten.

Der frühere US-Präsident Dwight D. Eisenhower soll einst einen Hochschulpräsidenten mit den Worten zitiert haben: „Ich habe zwei Arten von Problemen, die dringenden und die wichtigen. Die dringenden sind nicht wichtig, und die wichtigen sind nie dringend.“ Ich bin mir nicht sicher, ob damit auf unseren Haushalt abgezielt war. Findige Berater haben daraus jedenfalls eine Matrix mit vier Feldern abgeleitet, die das Zeitmanagement erleichtern soll. Aufgaben, die dringend und wichtig sind, sollten sofort und höchstpersönlich erledigt werden. Wichtiges aber nicht dringendes braucht einen festen Termin. Was dringend, aber nicht wichtig ist, sollte delegiert werden. Aufgaben, die wiederum weder dringend noch wichtig sind, sollten von der Liste gestrichen oder archiviert werden.

Tatsächlich ist es in unserem Haushalt so, dass Dringendes in der Regel erledigt wird. Neues Klopapier wird gekauft, bevor das alte leer ist. Unterwäsche gewaschen, bevor keine saubere mehr da ist. Die Steuererklärung pünktlich zum Fristende eingereicht und Geschenke vor dem Geburtstag besorgt. Manche Aufgaben entwickeln auch plötzlich Dringlichkeit, beispielsweise das Aufräumen, wenn sich spontan für den Nachmittag Besuch angekündigt hat.

Allerdings fehlen mir in der Matrix noch mindestens zwei Dimensionen. Macht der Auftrag mir Freude? Dann hat er deutlich bessere Chancen auf schnelle Umsetzung. Und seit Neustem ist ein weiteres Kriterium dazugekommen: Lässt sich während der Aufgabe in Ruhe ein Podcast hören? Seitdem ist die Disziplin im Wäscheaufhängen bei uns deutlich gestiegen.

Die Krux ist natürlich die Frage, was wirklich wichtig ist. Vielleicht hilft es, es nicht als Scheitern, sondern als bewusste Entscheidung anzusehen, wenn das Auto wieder einmal ungesaugt bleibt, dafür aber der alte Schulfreund angerufen wurde. Ich denke, das Gesündeste ist wohl, sich damit abzufinden, dass Aufgaben, solange sie weder dringend noch besonders wichtig sind und außerdem keine Freude bereiten, zur Not eben ein paar Jahre liegen bleiben – außer natürlich, es lässt sich die neueste Folge von „Lage der Nation“ dazu hören. Ich werde jetzt mal meinen HNO-Arzt anrufen – sobald ich diese Kolumne fertiggemacht und einen Kaffee getrunken habe.

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