Familien-Kolumne „Kinderkram“ Der Welt ein wenig entrückt

Bonn · Dachböden sind geheimnisvolle Orte, die viel Raum für Fantasie bieten, an denen es aber auch viel Spannendes zu entdecken und zu erleben gibt. Und das nicht nur für Kinder.

 Um Unterhaltsames und Ärgerliches aus dem Elternalltag geht es in unserer Kolumne "Kinderkram".

Um Unterhaltsames und Ärgerliches aus dem Elternalltag geht es in unserer Kolumne "Kinderkram".

Foto: GA/ivector - stock.adobe.com

Dachböden haben mich als Kind immer fasziniert. Den über unserer damaligen Dachgeschosswohnung gelegenen durfte nämlich nur mein Vater betreten. Er allein wusste, wie er sich dort bewegen musste, ohne Gefahr zu laufen, einzustürzen und in unserer Wohnung zu landen. In meiner Fantasie wuchs der Speicher dadurch zu einem geheimnisvollen Ort, an dem allerlei wundervolle Dinge, zauberhafte Wesen und mit ihnen viele spannende Geschichten verborgen lagen. Umso glücklicher waren mein Bruder und ich, wenn wir die Ferien bei unseren Großeltern verbrachten und dort gefahrlos auf den jeweiligen Dachböden spielen durften. Ein Korb voller Karnevalskostüme, die alten Spielsachen meiner Eltern, Tanten und Onkel und viel Platz zum Budenbauen waren dafür die idealen Zutaten. Der Duft nach Heu, das einer meiner Opas unter dem Dach für die Kaninchen trocknete, weckt bis heute die Erinnerung an jene Zeiten.

Auch unsere Töchter sind der Faszination Dachboden erlegen. Im Haus meiner Eltern musste mein Vater jedes Mal die geheimnisvolle Klappe in der Decke öffnen, die Leiter herunterholen, um dann mit ihnen zusammen vorsichtig nach oben zu steigen und in unzähligen Kisten tolle Sachen zu entdecken. Bis heute folgen sie mir gerne nach oben, wenn ich etwa die Weihnachtsdekoration der Oma nach unten holen will – und finden immer neue Dinge, die sie gut gebrauchen können.

Dass auch wir zu Hause einen Dachboden haben, war ihnen dagegen lange gar nicht bewusst. Denn bei uns gibt es keine Klappe in der Decke. Und der Leiter in dem Raum, in dem sich bei uns zunehmend Kisten mit zu klein gewordenen Kleidungsstücken und ausgespielten Spielen sammeln, maßen sie lange keine besondere Bedeutung zu. Zumal ich ihnen verbot, das schon als historisch zu bezeichnende Stück zu betreten. Irgendwann weckte aber genau dieses Verbot ihre Neugier. Was mochte dort oben an dem Ort sein, den sie nicht betreten sollten? Ähnlich wie ich als Kind begannen sie zu spekulieren. Der Moment, als wir ihrem Drängen nachgaben und sie endlich nach oben durften, war für sie ein kleines Fest.

Seither haben sie diesen ganz besonderen Ort in unserem Haus ganz für sich in Beschlag genommen. Mit ihren Freunden und Freundinnen verbringen sie dort oben Stunde um Stunde. Die Wände haben sie mit Kunstwerken aus Wasserfarben verschönert. In der einen Ecke haben sie aus Kartons und Brettern ein kleines Restaurant gebaut und in der anderen entstehen aus Pappkartons immer neue Häuser für ihre Playmobilfiguren. Dabei läuft der CD-Player – und sie sind irgendwie der alltäglichen Welt entrückt.

Ich kann nur zu gut nachempfinden, wie sie sich dort unter dem Dach fühlen. Umso schöner ist es, dass wir unlängst einen gemeinsamen Dachboden-Moment hatten – im Haus meiner Oma, das nach deren Umzug ins Seniorenheim ausgeräumt werden musste. Den Speicher hatten unsere Töchter bei unseren Uroma-Besuchen nie betreten. Entsprechend fasziniert waren sie, als sie mit mir zusammen die alte Holztreppe weiter als sonst nach oben gingen und an deren Ende schließlich durch eine knarzende Tür traten. Mir kam die Welt dahinter zwar deutlich kleiner vor als in meiner Kindheit, aber das Gefühl von damals stellte sich sofort ein. Aufgeregt schauten wir in jeden Schrank, in jede Kiste und in jeden Korb.

Was soll ich sagen, meine Töchter fanden Uromas Dachboden genau so toll wie ich. Und gar nicht so wenige Sachen bewahrten sie vor dem Container und nahmen sie mit nach Hause – etwa das alte Tischtennisnetz ihres Opas, einen Umhang, den ihr Uropa beim Karnevalszug trug, oder auch eine Puppentasse, aus der einst ihre Großtanten tranken. So haben sie sich und mir ein Stück Dachboden meiner Oma bewahrt – ein schöner Gedanke, finde ich.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort