Familien-Kolumne „Kinderkram“ Von Kinder-Kunst und Eltern-Ehrlichkeit

Bonn · Meine Tochter findet gerade heraus: Eltern sind auch nicht immer ehrlich, beispielsweise wenn es um die zahlreichen Kunstwerke ihrer Kinder geht.

Kinder: Kunstwerke und Ehrlichkeit der Eltern
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Meine Tochter ist da einer großen Sache auf der Spur. Neulich saßen wir am Tisch und sie malte eines ihrer zahlreichen Bilder mit lustigen Strichmännchen und strahlenden Sonnen. Plötzlich hielt sie inne, sah von ihrem Bild auf, und sagte mit Seitenblick auf das Kunstwerk der kleinen Schwester: „Mama, wenn wir sagen, dass ihre Bilder schön sind, dann meinen wir das gar nicht wirklich, oder? Die malt ja nur Kritzelkratzel!“

Ich bin eine ehrliche Haut, vom Lügen halte ich gar nichts. Das versuche ich auch meinen Kindern zu vermitteln. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, ist es mit der Ehrlichkeit auch bei mir nicht immer gar so weit her. Auf der einen Seite bringe ich meinen Kindern bei, immer die Wahrheit zu sagen. Wenn die Tochter dann aber einem neuen Bekannten, den wir das erste Mal an Karneval getroffen haben, gegenüber verlauten lässt: „Mit der Piratenperücke sahst du aber besser aus“, ist es mir irgendwie auch nicht recht.

Eine Freundin erzählte mir jüngst, sie habe ihren Kindern früher immer vorgegaukelt, dass der Papa all ihre Gemälde und Basteleien in seinem Büro aufhänge. So weit gehe ich nicht. Aber in ihren fruchtbareren Schaffensphasen produzieren meine Kinder mehrere Dutzend Kunstwerke am Tag. Die werden gelobt und wandern dann in eine Kiste. Später wird die Anzahl der darin befindlichen Kunstwerke stark dezimiert. Ein Bruchteil wird aufgehoben, der Rest landet im Papiermüll. Natürlich sage ich das meinen Kindern nicht.

Meine Tochter hat recht: Wenn ich die kindlichen Kunstwerke lobe, dann ist das „schön“ im Angesicht von wilden Bleistiftspiralen und ins Matschbraun tendierenden Wasserfarbmischungen nicht immer ehrlich. Statistisch gesehen lügen wir Erwachsenen sogar etwa 200 Mal am Tag. Manchmal, um uns selbst zu schützen oder in einem besseren Licht darzustellen. Oft aber auch zum Schutz des Belogenen oder Dritter. Lüge ist eben nicht gleich Lüge, es gibt die schwerwiegenden Täuschungen – und die kleinen Heucheleien und Flunkereien, die uns allen das Leben erleichtern. Ich versuche, deutlich unter den 200 zu bleiben.

Natürlich habe auch ich den ein oder anderen Erziehungsratgeber gelesen. Darin steht, wie man Kinder richtig lobt. Es ist wichtig, nicht die Fähigkeiten zu loben, sondern die Anstrengung, besser spezifisch als allgemein. Das fällt mir echt schwer. Ich stelle mir dann immer vor, wie ich mich selbst fühlte, würde mich jemand auf diese Weise loben. Zum Beispiel der Chef: „Mir gefällt die Typografie, die du für die Präsentation ausgewählt hast. Ich sehe, dass du dir wirklich viel Arbeit gemacht hast.“ Autsch. Oder der Ehemann: „Ich sehe, dass du für das Backen dieses Geburtstagskuchens einige Stunden in der Küche verbracht hast. Die Erdbeeren hast du sehr gleichmäßig über den Teig verteilt.“ Hmm.

Meine Tochter ist fertig mit ihrem jüngsten Werk und hält es mir hin. „Ich finde es bemerkenswert, wie du dich hier mit dem Kugelschreiber und dem gelben Wachsmalstift auf eine Zweifarbigkeit reduziert hast.“ Sie schaut mich fragend an. „Du hast dir viel Mühe bei den Gesichtsausdrücken der Figuren gegeben, das gefällt mir. Ich finde es toll, dass die Gesichter, die du malst, immer besser zu erkennen sind.“ Sie legt die Stirn in Falten. Ich gebe auf. „Das ist ein wirklich schönes Bild, das du da gemalt hast.“ Das Kind ist zufrieden, für den Moment. Mal schauen, wann sie den nächsten Schritt auf ihrer Entdeckungsreise durch die mal mehr, mal weniger ehrliche Welt der Erwachsenen macht.

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