Familien-Kolumne „Kinderkram“ Über unberechenbare kindliche Begeisterung

Bonn · Kinder können sich für die schlichtesten Dinge begeistern, gerne auch 100-mal am Stück. Aber manchmal, wenn Eltern das große Besteck auffahren, bleibt die Begeisterung einfach aus.

Kinder: Mal total begeistert, dann wieder gar nicht
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Im Sommerurlaub hatten wir einen kleinen Wandertag geplant. Die Sonne schien, am Horizont thronten die blauen Berge. Es galt eine Weide mit imposanten Kühen zu überqueren, einen kleinen Gipfel zu erklimmen und dann ab in den Wald. Ein Traumprogramm für unsere naturliebenden und abenteuerlustigen Kinder, hatten wir gedacht.

„Was machen wir hier?“, fragte die Fünfjährige, als wir keine 100 Schritte gegangen waren. „Wir wandern.“ Was das denn genau heiße, wollte sie wissen. „Wir gehen hier oben eine große Runde spazieren.“ „Gehen, aber wohin?“ „Einfach nur gehen.“ Da brach sie auf dem Weg zusammen und wollte keinen einzigen Schritt weitergehen.

Später fuhren wir mit dem Sessellift wieder ins Tal. Die Dreijährige, auf die herrliche Aussicht angesprochen, sagte nur: „Ich finde Berge wangleilig“. Dann schlief sie, wie zum Beweis, dass es ihr mit diesem Urteil ernst war, augenblicklich ein – 100 Meter über der Schlucht baumelnd, unzureichend durch einen viel zu großen Bügel gesichert und mit atemberaubendem Blick auf die Chiemgauer Alpen.

Kinder sind komisch. Sie können sich für die simpelsten Sachen begeistern. Aber manchmal, wenn ich als Mutter fest mit ihrer Begeisterung rechne, dann bleibt sie einfach aus. Da steht einer stundenlang in der Küche, um ein tolles Abendessen zu zaubern, das praktisch nur aus Lieblingszutaten besteht und erntet nur müdes Achselzucken. Vielleicht hat die Köchin das Memo nicht bekommen, dass Möhren auf der Brokkoli-Eis-Skala heute spontan von „fast so lecker wie Zitroneneis“ auf „fast genauso fies wie Brokkoli“ abgestürzt sind. Oder es ist einfach nicht der Tag, an dem die Kinder sich für Essen begeistern können. Wenn es dann aber anderntags heißt: „Tut mir leid, ich habe heute nur Nudeln“, gibt es plötzliche eine La-Ola-Welle.

Neulich habe ich einen kleinen Freestyle-Rap hingelegt, es ging darin um Spinnen. Ich weiß auch nicht, was mich geritten hat. Ich kann überhaupt nicht rappen. Aber die Begeisterung meiner Kinder war grenzenlos, die „nochmal“-Rufe wollten kein Ende nehmen. Auch am nächsten Morgen verlangte die Fünfjährige, die Augen kaum offen, wieder nach dem „Spinnen-Song“. Nun ist es natürlich recht schmeichelhaft, so einen treuen kleinen Fan-Club zu haben – aber ich hatte ziemlich schnell Mitleid mit den Rolling Stones. 60 Jahre auf Tour und immer wieder die gleichen Hits spielen müssen: wie öde. Das ist ein anderer Aspekt, den ich an der kindlichen Begeisterungsfähigkeit faszinierend finde: wie ausdauernd sie sein kann.

Wenn du im Freundeskreis einen Witz zum zweiten Mal erzählst, erntetest du nur höfliches Lächeln, beim dritten Mal stöhnen alle. Kinder nicht. Kindern kannst du den gleichen Witz zehnmal erzählen – gerne auch am Stück. Eine kleine Clown-Einlage, sagen wir das Stolpern über die eigenen Beine und dazu ein dümmliches Gesicht, ruft inbrünstiges Lachen hervor –sogar noch nach der 20. oder 30. Wiederholung. Gleiches gilt für einfache Wortverdrehungen, wie wenn der Kasperl im „Räuber Hotzenplotz“ den bösen Zauberer Petrosilius Zwackelmann als Zeprodilius Wackelzahn, äh, Reprozilius Fackelspan tituliert.

Apropos Hotzenplotz: Bei der Wanderung in den Bergen fiel mir ein, wie begeistert das Kind gerade die Bücher vom Räuber mit dem schwarzen Hut vorgelesen bekommt. Also machten wir uns im Wald auf die Suche nach seiner Räuberhöhle, vermuteten ihn hinter diesem und jenem Baum, spannen eine ganze Abenteuergeschichte rund um den Sparziergang. Und siehe da, die Begeisterung war zurück, die paar Kilometer im Nu gemeistert. Was den Spinnen-Song angeht, mache ich mir keine Illusionen. Sehr bald wird der Tag kommen, an dem der plötzlich out sein wird – und irgendwann dann auch die rappende, Witze erzählende Mutter.

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