Familien-Kolumne „Kinderkram“ Gefeilsche an der Kita-Tür

Bonn · Es gibt Situationen im Alltag mit kleinen Kindern, die sind so angenehm wie ein Zahnarztbesuch. Beispielsweise die morgendliche Übergabe an der Kita-Tür, wenn das Kind nicht topfit ist.

Kolumne: In die Kita, wenn das Kind nicht topfit ist
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Es gibt Situationen im Alltag mit kleinen Kindern, die sind so angenehm wie ein Zahnarztbesuch. Die morgendliche Übergabe an der Tür zur Kita oder Tagespflege gehört für mich dazu, zumindest wenn das Kind nicht topfit ist. Vor ein paar Wochen war das eine Auge ganz leicht gerötet. Die Tagesmutter sagt: „Mit Verdacht auf eine Bindehautentzündung kann ich das Kind nicht annehmen.“ Sie verschränkt die Arme vor der Brust. Die Szene erinnert mich an meine 20er. Nur, dass ich damals nicht herzklopfend vor einer Tagespflegeperson, sondern einem Club-Türsteher stand. Und dass nun hinter der gut bewachten Tür keine wilde Party auf mich wartet, sondern einfach nur die Möglichkeit, zur Arbeit zu gehen. So ändern sich Träume und Wünsche.

Ich komme mir manchmal vor wie ein windiger Viehhändler, der versucht einen lahmenden Gaul an den Mann zu bringen. „Ich bin mir sicher, das Kind hat sich nur irgendwas ins Auge gerieben. Nein, es hat kein Fieber, nicht mal minimal erhöhte Temperatur. Schaut euch den gesunden Hautton an, diese gute Laune! Zugeben, die Nase läuft, aber wirklich, wirklich nur klar und tröpfchenweise. Ich schwöre bei der Ehre meiner Großmutter, dass sich keinerlei Verfärbungen ins Gelbliche oder Grüne gezeigt haben.“

Der Kinderarzt wirft einen flüchtigen Blick auf das Auge und sagt „Es könnte eine leichte Bindehautentzündung sein. Ausschließen kann ich es jedenfalls nicht. Eigentlich gibt es keinen Grund, nicht in die Kita zu gehen, wenn das allgemeine Befinden gut ist, ist zwar ansteckend aber ungefährlich. 24 Stunden abwarten und wenn keine weiteren Symptome auftreten, kann das Kind wieder gehen.“ An der Tür zur Großtagespflege sieht man das 24 Stunden später anders: „Verdacht auf Bindehautentzündung heißt mindestens drei Tage zu Hause. So sind die Regeln, da können wir nichts machen.“ Wobei ich immer noch nicht sicher bin, wer all diese Regeln eigentlich macht und wo genau ich sie nachlesen kann. Fest steht, dass sie durch Corona natürlich noch einmal deutlich strenger geworden sind.

Das Internet sagt, wer sein Kind mit Verdacht auf Bindehautentzündung oder erkältet in die Kita oder Tagespflege schickt, ist ein Rabenelter und ein unsolidarisches Scheusal. Meine Mutter hat selbst als Tagesmutter gearbeitet. Sie sagt, auf der anderen Seite dieser morgendlichen Diskussionen zu stehen, sei auch nicht schön. Das weiß ich ja, ich beneide unsere Tageseltern und Erzieher und Erzieherinnen nicht, die nebenbei bemerkt ganz tolle, liebevolle, engagierte Menschen sind. Genauso wie ich weiß, dass Kinder, die einen 35-Stunden-Betreuungsplatz haben, deswegen noch längst nicht in der Regel 35 Stunden in der Woche in der Betreuungseinrichtung verbringen. Das ist eine Illusion, der Eltern aufsitzen, wenn sie ihre ganz persönliche Vereinbarkeit von Beruf und Familie planen. Dann macht ihnen die Realität einen Strich durch diese Rechnung.  

Ein krankes oder ansteckendes Kind gehört nicht in die Kinderbetreuung, schon klar. Natürlich möchte ich nicht, dass es sich dort unwohl fühlt, weil es nicht fit ist. Genauso wenig wie ich möchte, dass es andere Kinder ansteckt und deren Familienleben ins Chaos stürzt. Aber es lässt sich eben nicht immer eindeutig bestimmen, ob das Kind jetzt krank ist oder nicht. Ließen wir es bei jedem Zweifelsfall zu Hause, würde es die Tagespflege nur noch gelegentlich besuchen.

Manchmal muss ich an der Kita-Tür eine Niederlage einstecken. Dann nehme ich ein weitestgehend gesundes, allumfassend gut gelauntes Kind voller Tatendrang mit nach Hause zurück und der ganze Tag muss umorganisiert werden. Das andere Elternteil wird eingespannt, Großeltern werden zum Dienst beordert, der Chef wird informiert und alle Termine abgesagt oder – es lebe das Homeoffice – ich entscheide mich für den unmöglichen Spagat, gleichzeitig zu arbeiten und ein zweijähriges Kind zu betreuen –  bemalte Möbelstücke und unangenehme Videokonferenz-Momente inklusive.

Manchmal habe ich Erfolg, das Kind verschwindet durch die Tür. Auskosten kann ich den Erfolg aber nicht. Der Kinderarzt weiß schon was er tut, wenn sagt, „gesundschreiben“ gehöre nicht zu seiner Berufsbeschreibung. Denn natürlich kann ich genauso wenig wie er garantieren, dass das gerötete Auge sich nicht doch mit Eiter füllt, dass sich der Rotz nicht doch noch ins Gelbe oder – Gott bewahre – ins Grünliche verfärbt oder das Kind spontan einen Husten bekommt. Das Kind ist zwei Jahre alt und besucht eine Kinderbetreuungseinrichtung. Was Keime angeht, ist es immer eine tickende Zeitbombe.

Wovon sind Eltern im Alltag so richtig genervt? Wir freuen uns über Hinweise an familie@ga.de.

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