So wehren Frauen sich gegen sexuelle Belästigung

Hannover · Ein Pfiff auf der Straße, Gaffen in der U-Bahn, ein blöder Spruch über den Ausschnitt: Sexismus erlebt so gut wie jede Frau. Viele geben sich danach eine Mitschuld. Christina Meyer will Frauen helfen, sich selbst ernst zu nehmen. Die Kriminalhauptkommissarin und Psychotherapeutin hat elf Jahre im Bereich Gewalt gegen Frauen ermittelt. Heute ist sie als psychologische Beraterin bei der Polizei in Niedersachsen tätig.

Eine unangenehme Berührung oder ein Blick: Übergriffe passieren häufig nebenbei und wirken wie zufällig. Foto: Jens Kalaene

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Warum kann ein Pfiff schon sexuelle Belästigung sein?

Meyer: Weil für die Frau damit eine Grenze überschritten sein kann. Was eine Frau als Belästigung empfindet, kann nur jede für sich sagen. Sexuelle Belästigung kann auch ein dummer Spruch sein. "Hast du deine Tage, oder was?" zum Beispiel. Wo die Grenze der Frau liegt, kann unterschiedlich sein. Was gestern okay war, muss das heute nicht auch noch sein. Das muss die Frau nicht rechtfertigen.

Was kann eine Frau tun, wenn ihre Grenze überschritten wird?

Meyer: Das Wichtigste ist, der eigenen Wahrnehmung zu trauen, hinzuschauen. Nicht verdrängen oder verleugnen! Frauen relativieren oft: "Ich übertreibe bestimmt" oder "Vielleicht war der Rock doch zu kurz". Gerade wenn jemand aus der Familie oder dem Freundeskreis Grenzen überschreitet. Oft ist ein Übergriff ja gar nicht fassbar, sondern subtil. Ein vermeintlich zufälliges Berühren, ein Blick.

Oft macht Scham vor anderen die Gegenwehr schwierig, oder?

Meyer: Öffentlichkeit ist gerade wichtig! Man muss andere ins Boot holen. Umstehende in der U-Bahn sind mögliche Verbündete, nicht Leute, vor denen ich mich bloßstelle. Wenn ich zu einem Glotzer sage: "Lassen Sie das!", dann schauen zwei, drei andere auch ihn an, nicht nur mich. Der Mut kommt mit der Sicherheit über mein Gefühl.

Aber wie reagiere ich, wenn auf einer Party alle feixen und plötzlich ein sexistischer Spruch kommt?

Meyer: Wenn mir das Lachen im Hals stecken bleibt, kann ich das sagen. Es ist schwierig, wenn ich nicht die Spaßbremse sein will. Wenn man sagt: "Lass das!", kommt vielleicht der Spruch: "Sei doch nicht so empfindlich." Aber man kann den Kreis auch verlassen.

Einfach so, wortlos?

Meyer: Warum nicht? Wenn ich keine Lust auf solche Scherze habe, gehe ich - oder sage: "Lass die dummen Sprüche." Wichtig ist, dass ich eindeutige Signale sende und nicht sage: "Stopp!", aber dabei grinse. Und eine aufrechte Haltung ist gut. Man kann bewusst entscheiden, zu handeln - oder auch nicht.

Auch nicht zu handeln ist aus Ihrer Sicht in Ordnung?

Meyer: Es geht immer darum, wozu die Frau in dem Moment in der Lage ist und was sie will. Das ist dann auch in Ordnung. Nach einem anstrengenden Tag hat man nicht immer die Kraft zur Konfrontation. Wenn man auf der Straße angemacht wird, kann ein wacher, gerader Blick helfen, um zu zeigen: Ich weiß, was hier gespielt wird. Das kann aber auch provokativ wirken. Jede Frau muss in der Situation selbst ausjustieren, was sie für richtig hält.

Nach der Belästigung bleibt oft Ärger. Wohin damit?

Meyer: Das Aufgestaute kann ich loswerden, indem ich Sport mache. Oder in ein Kissen schlage. Schreien hilft auch. Im Auto geht das gut oder in den eigenen vier Wänden. Es ist gut, mit anderen Frauen zu reden, die mich stützen. Aus Scham tun das viele aber nicht.

Warum nicht?

Meyer: Frauen haben noch immer im Kopf, dass es okay ist, angemacht zu werden, wenn der Rock kurz ist. Sexuelle Gewalt und Belästigung sind auch heute noch stark durch soziale Beurteilung geprägt, die Frauen eine Mitschuld zuschreibt. Aufzuklären und Frauen Scham- und Schuldgefühle zu nehmen, ist enorm wichtig. Die Verantwortung liegt nun mal bei denen, die belästigen. Opfer kann jede Frau jeden Alters sein. Es geht eben vor allem um die Darstellung männlicher Macht.

Service:

Das kostenlose Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen ist rund um die Uhr erreichbar unter 08000/116 016. Das Angebot ist mehrsprachig.

Sexuelle Belästigung im JobJeder zweite Beschäftigte hat am Arbeitsplatz schon Erfahrungen mit sexueller Belästigung gemacht. Das geht aus einer am Dienstag (3. März) veröffentlichten, repräsentativen Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes hervor. Danach ist fast jede fünfte Frau schon einmal gegen ihren Willen von Kollegen berührt worden. Auch zwölf Prozent der Männer berichteten von unerwünschter körperlicher Annäherung. Als sexuelle Belästigung gelten aber auch anzügliche Bemerkungen oder das Zeigen von Nacktbildern. Immerhin 13 Prozent der Männer gaben an, Sprüche wie "Setz dich auf meinen Schoß" seien keine Belästigung. Das sahen auch acht Prozent der Frauen so.