Suizidgefahr im Alter und die Debatte über Sterbehilfe

Berlin · Die Zahlen sind dramatisch: Die Suizidrate steigt mit zunehmendem Alter kontinuierlich an. Zwischen 55 und 60 Jahren legt sie nochmals deutlich zu.

 Die Suizidrate steigt im Alter: Bei den Über-90-Jährigen nehmen sich 40 von 100 000 das Leben. Bei Männern ist die Rate gut viermal höher als bei Frauen. Foto: Jens Kalaene

Die Suizidrate steigt im Alter: Bei den Über-90-Jährigen nehmen sich 40 von 100 000 das Leben. Bei Männern ist die Rate gut viermal höher als bei Frauen. Foto: Jens Kalaene

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Der Anteil der über 60-Jährigen an der Gesamtbevölkerung in Deutschland liegt bei gut einem Viertel, doch geschehen in dieser Altersgruppe rund 45 Prozent aller 10 000 registrierten Selbsttötungen (2013). Bei den Menschen, die 90 Jahre und älter sind, nehmen sich 40 von 100 000 dieser Altersgruppe das Leben. Bei Männern ist die Rate gut viermal so hoch wie bei Frauen.

Generell ist die Suizidrate in den europäischen Staaten bei Männern höher als bei Frauen, erläutert Barbara Schneider von der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention. Männer, die ihr Leben lang gewohnt seien, Probleme zu lösen, könnten dies im höheren Alter wegen körperlicher und psychischer Belastungen nicht mehr im gewohnten Maße. Sie ertrügen altersbedingte Einschränkungen wesentlich schlechter als Frauen. Das Bewusstsein von Scheitern und Abhängigkeit führe häufiger zu einer Verzweiflungstat. Frauen seien zudem besser vernetzt.

Diese hohen Raten müssten nicht sein, sagte Reinhard Lindner vom Nationalen Suizidpräventionsprogramm am Mittwoch (11. März) in Berlin bei der Vorstellung einer Stellungnahme zu dem Thema. "Entgegen vielen Vorurteilen kann eine Suizidgefährdung auch im hohen Alter noch erfolgreich behandelt werden." Die Ankündigung einer Selbsttötung muss bei einem vereinsamten Menschen nicht unbedingt den Wunsch zu sterben signalisieren, sondern ist häufig eher ein Hilferuf.

Nicht nur Profis, auch Angehörige und Freunde seien hier gefragt, wenn sich ein alter Mensch zurückziehe, isoliere und vereinsame. Dabei könnte man aber auch vermehrt über alternative Wohnformen im Alter nachdenken. So machten betreute Wohngemeinschaften etwa für demente Menschen bereits positive Erfahrungen. Für die Bewohner kann eine WG zu einer vertrauten Umgebung werden.

Betroffene und Angehörige tun die Symptome häufig als altersbedingt ab. "Dabei versteckt sich hinter so manchem Granteln, Verstummen oder Rückzug eine Depression", sagt der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. "Hauptursache für Suizide ist die Depression."

Brysch fordert wie das Nationale Suizidpräventionsprogramm und die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention die Politik auf, die Vorsorge für suizidgefährdete alte Menschen zu verbessern. An die Adresse von Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sagte Lindner, der geplante Ausbau der Hospiz- und Palliativmedizin für die Begleitung sterbender Menschen auf ihrem letzten Lebensweg reiche nicht aus. Es bedürfe eines Gesamtkonzeptes, das die psychotherapeutische Behandlung alter Menschen mit einschließe.

Die beiden Organisationen hoben hervor, dass sie mit ihrer Stellungnahme "keinen konkreten Vorschlag in die aktuelle Sterbehilfediskussion einbringen" wollten.

Allerdings ist es doch recht konkret, wenn Uwe Sperling vom Nationalen Suizidpräventionsprogramm für beide Organisationen festhält, dass palliativmedizinische Versorgung Schwerkranker und suizidpräventive Maßnahmen Vorrang vor einer assistierten Selbsttötung hätten. Unvorstellbar sei für sie, dem Patienten assistierten Suizid als gleichwertige Alternative anzubieten.

Ein solcher Vorrang dürfte aber auch im Bundestag Konsens sein, der noch in diesem Jahr die Sterbehilfe neu regeln will.

Offen blieb, ob die Experten - wie Bundesminister Gröhe - jede Form organisierter Sterbehilfe ablehnen oder nur die kommerzielle. Und auch bei der assistierten Selbsttötung wollten sie sich nicht festlegen, ob dies nur durch einen Arzt zu akzeptieren sei oder auch von einem Laien vorgenommen werden könne.

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