Familien-Kolumne „Kinderkram“ Über ungebetene Ratschläge an Eltern

Bonn · Kaum sind die Kinder da, weiß an jeder Ecke jemand besser als die Eltern, was sie brauchen. Die Qualität der ungebetenen Ratschläge lässt allerdings oft zu wünschen übrig.

Ungebetene Ratschläge von Fremden - Kolumne zu Kindern und Erziehung
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Neulich ging ich mit meinem Kind spazieren. Es war ein schöner Tag, das Kind hüpfte fröhlich vor sich hin, übersah einen leicht erhöhten Pflasterstein, fiel auf Knie und schrie. Ein älterer Herr passierte die Szene, drehte sich um und sagte: „Kein Wunder, mit der Sonnenbrille kann das Kind ja gar nichts sehen!“ Es heißt ja so schön, es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen. Ich habe zwei kleine Kinder, ich käme nie auf die Idee, diesen Satz zu bestreiten. Eine ganze Stadt kann sicher auch nicht schaden. Das scheinen einige wildfremde Passanten genauso zu sehen, die sich eifrig an der Erziehung beteiligen.

Wir haben ein paar Jahre in Portugal gelebt, da ist das Phänomen noch verbreiteter als hierzulande. Dazu muss man wissen, dass Portugal ein unfassbar kinderliebes, ja kindervernarrtes Land ist. Wenn du mit einem Säugling durch Lissabon spazierst, dann gratuliert dir an jeder Ecke eine ältere Dame zum „niedlichsten Baby“. Ist ein Kind mal laut, rümpft dort keiner die Nase. Eher versuchen drei, es aufzumuntern. Portugal ist so kinderfreundlich, dass pickelgesichtige halbstarke Jungs in der Metro nicht zu cool sind, zur Belustigung eines Babys Guck-Guck zu spielen. Gangster mit Goldkette und schräg über die Schulter hängender Bauchtasche rufen verzückt „ist der süüüüß“, wenn ein rotbackiger Dreikäsehoch im Buggy an ihnen vorbeigeschoben wird. Wer in Portugal mit einem von Schluckauf geschüttelten Neugeborenen mit dem Taxi fährt, wird aufgefordert, unverzüglich einen Arzt aufzusuchen oder ihm wahlweise etwas Rotes auf die Stirn zu kleben, das helfe immer. Ältere Damen schimpfen, wenn Eltern ihre Kinder hinter sich gehen lassen, auf dem Bahnsteig nicht festhalten oder auf etwas klettern lassen, das höher als einen halben Meter ist.

Die Sache mit den ungebetenen Ratschlägen ist für mich zweischneidig. Auf der einen Seite finde ich es rührend und irgendwie auch beruhigend, dass sich neben mir auch andere Menschen um meine Kinder sorgen. Einmal klopfte die Nachbarin von unten mitten in der Nacht bei uns, als meine Tochter eine ihrer ausdauernden Nachtschreck-Schreiattacken hatte. Sie wollte nachsehen, ob wir dem Kind Gewalt antun. Klar, im ersten Moment kam in mir sofort die Abwehr hoch: Was bildet die sich ein! Aber eigentlich doch gut, dass da einer ist, der nicht einfach weghört.

Allerdings lässt die Qualität der ungebetenen Ratschläge oft zu wünschen übrig. Einen Erziehungsratgeber à la Remo Largo ersetzen die Zaungäste nicht. Wer mit anderen Eltern über das Thema spricht, der staunt über das Ausmaß an Unfug. „Kein Wunder, dass das Kind schreit: Dem ist es in dem Tuch viel zu eng.“ „Von dem ganzen Geschuckel könnte ich auch nicht einschlafen.“ „Babys haben nach 20 Uhr nichts draußen verloren.“ „Sie sollten vor Ihren Kindern kein Bier trinken.“ „Kaufen Sie Ihrem Sohn doch bitte kein rosafarbenes Erdbeereis, davon wird er schwul.“

Es steht für mich außer Frage, dass die moderne Kleinfamilie mit der Aufgabe der Kindererziehung allein manchmal überfordert ist. Ein Mangel an guten und gut gemeinten Ratschlägen ist aber eher nicht das Problem. Die gibt es schließlich online in jedem Elternforum und Mamablog im Überfluss. Vielleicht sollte ich den Nächsten, der es besser weiß, einfach fragen, ob er sich nicht konstruktiver und nachhaltiger an der Betreuung und Erziehung meiner Kinder beteiligen möchte: Mal hier und da eine Windel wechseln zum Beispiel, die Kinder aus der Kita abholen oder nachts um halb drei eine Stunde in den Schlaf tragen, das würde tatsächlich helfen.

Welche absurden Ratschläge und Einmischungen haben Eltern erlebt? Wir freuen uns über Berichte an familie@ga.de.

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