Familien-Kolumne „Kinderkram“ Wenn Erwachsene ihre Vorbildfunktion vergessen

„Nur bei Grün – den Kindern ein Vorbild“ – über die Notwendigkeit dieses Hinweisschildes an Fußgängerampeln hat sich unsere Autorin schon immer Gedanken gemacht. Wie notwendig noch mehr solcher Schilder wären, hat ihr nun die Übung für die Fahrradprüfung ihrer Tochter gezeigt.

Kinder sind im Straßenverkehr die besseren Vorbilder.

Kinder sind im Straßenverkehr die besseren Vorbilder.

Foto: dpa/Sebastian Willnow

„Das kann ich schon alleine“ – seit sie sprechen kann, fordert unsere jüngere Tochter vehement ihr Recht ein, Dinge ohne Hilfe zu erledigen. Nur mit Widerwillen, oder wenn es allein so gar nicht klappen will, lässt sie sich unter die Arme greifen. Das hat ihr die eine oder andere Schramme beschert, letztlich aber vor allem ihre Selbstständigkeit gefördert. Für mich ist ihr Streben allerdings eine ständige Gratwanderung. Einerseits möchte ich sie darin ermutigen, die Welt zu erkunden, andererseits aber vor möglichen Gefahren beschützen. Da die Balance zu finden, ist eine Herausforderung.

Dabei lassen wir unsere Kleine schon mehr ziehen als ihre große Schwester. Die haben wir bis zum Ende der Grundschulzeit morgens wie nachmittags auf dem Schulweg begleitet. Unsere Zweitgeborene verbietet uns das seit dem ersten Schuljahr – sie geht alleine. Wir setzen ihrem Freiheitsdrang aber durchaus auch Grenzen. Mit dem Fahrrad darf sie zum Beispiel nicht alleine zu ihrer Freundin fahren. Bislang war die Vorgabe, dass sie dafür erst die Fahrradprüfung bestanden haben muss.

Das hat sie nun – und in mir regen sich Zweifel. An unserer Tochter liegt das nicht. Sie steuert ihr Fahrrad sicher durch den Verkehr. Es sind vielmehr die anderen Verkehrsteilnehmer, die während der Prüfung und der vorherigen Übung auf den Straßen rund um die Schule nicht als gutes Vorbild geglänzt haben. Ganz im Gegenteil.

Der Verkehrspolizist, der die Übung zum Linksabbiegen auf einer viel befahrenen Kreuzung begleitet hat, war kurz davor diese abzubrechen. Wir Eltern waren schweißgebadet. Ich kann es immer noch nicht fassen, was wir in dieser Stunde an der Kreuzung gesehen haben: Autofahrer, die den jungen Radfahrern die Vorfahrt nehmen; die so dicht auffahren, dass ihre Stoßstange fast das Hinterrad berührt; die hupen, weil ein Kind zu lange zögert; die Zebrastreifen einfach ignorieren und die den Polizisten, der sie auf ihre Vergehen hinweist, auch noch anbrüllen. Wo bleibt da die Vorbildfunktion?

Mein Vertrauen darauf, dass wir unsere Tochter demnächst alleine mit dem Fahrrad über die Straßen fahren lassen können, hat stark gelitten. Deswegen schärfe ich ihr noch mal ein, ganz genau hinzusehen, egal ob zu Fuß oder mit dem Fahrrad, lieber einmal zu lange zu warten und vor allem, sich diese Erwachsenen nicht als Vorbild zu nehmen. Alleine macht sie es ohnehin besser.