Familien-Kolumne „Kinderkram“ Über eigenwilligen kindlichen Modegeschmack
Bonn · Die fast dreijährige Tochter unserer Autorin hat jüngst einen ganz speziellen Geschmack bei der Wahl ihrer Kleidung entwickelt. Der ist nicht unbedingt mit den Vorstellungen der Eltern oder gesellschaftlichen Normen kompatibel.
Unsere fast dreijährige Tochter weigert sich aktuell, irgendetwas anderes anzuziehen als gestreifte oder gemusterte lange Unterhosen. Kombiniert werden müssen diese mit möglichst langen Socken, die über die Hosenbeine bis zum Knie hochgezogen werden – Farbe und Musterung der Kniestrümpfe ist zweitrangig, ebenso die Frage, ob sie farblich zu den Hosen passen. Sind alle langen Unterhosen in der Wäsche, ist das morgendliche Anziehen ein Kampf. Reichen die Socken nicht bis zum Knie, wird das nicht akzeptiert. Begründung: „Sonst sehe ich aus wie ein Junge!“ Ich weiß nicht, wo sie das herhat. Also, dass es angeblich einen derartigen Unterschied in der männlichen und weiblichen Art des Strümpfetragens gibt, aber auch überhaupt diese wilde Kombination von langen Unterhosen und Kniestrümpfen. Ich kenne wirklich niemanden in der Lebenswelt unserer Tochter, der so herumläuft.
Ich finde, meine Kinder sollen anziehen dürfen, was sie wollen – solange es der Kleiderschrank und das Wetter hergeben. Neuanschaffungen gibt es bei uns sehr selten, weil wir von Familie und Freunden mit reichlich abgelegter Kleidung versorgt werden. Wenn wir doch einmal etwas Neues kaufen, dann räumen wir den Kindern ein Mitspracherecht ein – solange das Kleidungsstück den praktischen, preislichen und jahreszeitlichen Anforderungen entspricht und Kriterien wie Langlebigkeit und möglichst nachhaltige Produktion erfüllt. Das Ergebnis ist dann oft bunt, mit viel Glitzer und Rosa, Superhelden, Tieren oder Robotern geschmückt und entspricht nur selten meinem Geschmack, manchmal auch nicht den gesellschaftlichen Konventionen.
Auch in meinem Leben gab es eine Zeit vor schwarzen Jeans und Strickjacken in Erdtönen. Auch ich hatte eine frühe Rosaphase. Oh welch schmerzlicher Verrat, als meine beste Freundin im Alter von sieben Jahren verkündete, sie möge jetzt kein Rosa mehr. Dann die schaurigen Modetrends und Manierismen der Teenager-Jahre – inklusive hautenger bauchfreier Polyestertops, Baggy Pants und Tattoo-Halsketten. Solch modische Irrwege gehören wohl zur Entwicklung der eigenen Persönlichkeit dazu.
Meine acht Jahre jüngeren Geschwister lachten sich später beim Betrachten alter Fotos schief, wie unmöglich wir in den 90ern ausgesehen hatten. Ein paar Jahre später war ich es, die lachte, weil sie jetzt plötzlich genauso aussahen, wie wir damals in den 90ern. So ist Mode eben: Was heute noch unmöglich erscheint, ist morgen schon der neueste Trend, übermorgen dann Mainstream und verschwindet im Anschluss wieder für 20 Jahre in der Versenkung. Das Urteil liegt eben auch im Auge des Betrachters und hängt davon ab, auf welcher modischen Welle er gerade schwimmt.
Mit der Geburt unserer Kinder hat sich in Sachen Eitelkeit bei mir einiges verschoben. Plötzlich ist es schon ein modischer Erfolg, ohne Rotz- und Kotzflecken auf der Arbeit zu erscheinen. Auch die Anforderungen, die ich an Kleidungsstücke stelle, sind andere als früher. Muster und Farbe sollten nach Möglichkeit Flecken verstecken, Rockzipfel müssen aushalten, dass jemand kräftig an ihnen zieht, Hosen dürfen nicht aufgescheuert sein, nachdem ich dreimal auf den Knien zwischen Kindern und Lego herumgerutscht bin.
Andererseits: So ganz befreien von der Sorge vor dem Urteil Anderer kann ich mich dann doch nicht. Wenn ich meine Kinder aus der Kita abhole, um mit ihnen beispielsweise zum Zahnarzt zu gehen, dann fällt mir schon auf, dass nichts an ihnen adrett ist. Die beiden haben den Tag damit verbracht, im Garten nach Schnecken zu suchen oder in Pfützen zu springen und, weil gerade nichts anderes da war, ihren Ärmel als Taschentuch benutzt. Ich erwische mich dabei, wie es in meinem Kopf summt: „Und wie ihr wieder ausseht! Was soll der Zahnarzt sagen?“. Wobei ein möglichst adrettes Aussehen eigentlich gar nicht ist, was mir für meine Kinder vorschwebt. Mir würde schon reichen, man sähe, dass wir eine funktionierende Waschmaschine besitzen.
Jedenfalls sieht unsere Jüngste im Moment echt verboten aus, wie sie so auf ihrem Laufrad durch die Welt saust, in ihren blau und grau gestreiften Unterhosen und orangefarbenen Kniestrümpfen. Aber irgendwie auch cool. Sie sagt: „Ich finde mich so schön!“ Es ist ihr vollkommen egal, was irgendwer sonst davon hält. Wahrscheinlich wird es in ihrem Leben nie wieder eine Zeit geben, in der sie so frei von Trends, dem Druck der Peergroup und von gesellschaftlichen Normen durchs Leben geht. Das sollten wir gemeinsam genießen.
Vielleicht ist sie aber auch einfach ein von ihren spießigen Eltern verkanntes Mode-Genie, eine junge Stilikone und Trendsetterin. Ich werde auf jeden Fall die Augen offenhalten, ob mir demnächst irgendwo die Kombination lange Unterhose und Kniestrümpfe begegnet – wenn nicht gerade in Bonn, dann vielleicht in einer Modezeitschrift oder in Berlin, London, Mailand oder Paris. Der Rotz am Hemdsärmel wird es aber ziemlich sicher nicht bis auf den Laufsteg schaffen.