Familien-Kolumne „Kinderkram“ Über die kindliche Langsamkeit

Bonn · Kinder können manchmal extrem langsam sein. Für Eltern mit Zeitdruck ist das nicht immer leicht zu ertragen, findet unsere Autorin.

Wenn Kinder extrem langsam sind
Foto: GA/ivector - stock.adobe.com

Seit ich Kinder habe, hat die Langsamkeit in meinem Leben eine ganz neue Bedeutung bekommen. Früher dachte ich, am Gepäckband nach einem langen Flug ewig auf den Koffer zu warten, das sei zäh. Oder wenn eine Webseite mal wieder ewig braucht, um zu laden. Da hatte ich meine fünfjährige Tochter noch nicht frühstücken gesehen. An manchen Tagen braucht sie für eine sehr kleine Schüssel Müsli 75 Minuten. Sie isst in einem Tempo, das aus meiner Perspektive mit Begriffen wie Zeitlupe oder Super Slow Motion nicht mehr adäquat beschrieben ist, dafür müsste ein ganz neuer Begriff der Langsamkeit erfunden werden.

Gegen diese Langsamkeit ist kein Kraut gewachsen, ich habe wirklich vieles ausprobiert: Engelszungen, 27-fache Wiederholung, Variationen in der Lautstärke, Schimpfen, Drohen, Betteln, süße Versprechungen. Das reicht von pädagogisch wertvoll bis in die ganz miese Trickkiste. Alles prallt an meinem vollkommen stoisch vor der Müslischale sitzenden Kind ab, oder noch schlimmer, führt zu noch größerer Verlangsamung. Einmal war ich der Verzweiflung so nah, dass ich behauptet habe, mein Chef würde mit mir schimpfen, wenn wir jetzt nicht loskämen. Dabei ist mein Chef sehr nett, er schimpft eigentlich nie.

Für Situationen solch unangenehmen Wartens wurde ja einst die Zigarette, später das Smartphone erfunden. Wegen der gelegentlichen Langsamkeit meiner Kinder jetzt mit dem Rauchen anzufangen, wäre aber wohl doch ein bisschen zu krass. Ich habe mir auch vorgenommen, in ihrer Gegenwart nicht so viel am Smartphone zu hängen, Vorbildfunktion und so. Außerdem würde beides nichts daran ändern, dass die extreme Langsamkeit meist in Momenten auftritt, wo dafür einfach keine Zeit ist.

Kinder kennen keine Zeit, Eltern haben keine

Das Grundproblem ist ja, dass Kinder bis zu einem bestimmten Alter in einer vollkommen anderen Welt leben als ihre Eltern. Es gibt für sie nur das Jetzt. Es gibt keinen Zeitdruck, keine Termine, kein: huch, schon wieder ein Jahr rum! Kinder kennen keine Zeit, viele Eltern haben keine. Letztere leben in einer Welt, in der sie ständig irgendwohin hetzen müssen, wo der Stapel an Büchern, für die noch keine Zeit war, stetig wächst, die Liste an Freunden, für die man sich endlich mal wieder Zeit nehmen wollte, immer länger wird. Außerdem muss ich als Mutter plötzlich für Dinge Zeit einplanen, die früher zeitlich gar keine Relevanz hatten. „Nein, zwischen 8 Uhr und 8.45 Uhr habe ich leider keine Zeit, da ziehen sich meine Kinder die Schuhe an.“ Es liegt wohl auch ein Quäntchen neidvolle Bewunderung in meinem Blick, wenn ich meiner Tochter ungeduldig beim Frühstücken in Hyper Slow Slow Motion zuschaue.

Natürlich funktioniert das fehlende Zeitgefühl auch in die entgegengesetzte Richtung. In anderen Momenten kann es meinen Kindern nämlich gar nicht schnell genug gehen. Wenn sie darauf warten, dass ich mit ihnen spiele, ich aber noch eine winzige Kleinigkeit fertigmachen muss, sagen wir eine Mail schreiben oder einen Artikel zu Ende lesen. Dann kommt alle 30 Sekunden eine der beiden und fragt, ob ich denn jetzt endlich fertig sei, um dann genervt abzuziehen und nur 30 Sekunden später wieder in der Tür zu stehen: „Und jetzt?“

Und als wir uns Ende der Sommerferien auf die etwa fünfstündige Fahrt aus Norddeutschland zurück ins Rheinland machten, fragte unsere Dreijährige nach zehn Minuten zum ersten Mal, wann wir denn endlich da seien. Die Fünfjährige hielt es immerhin 25 Minuten aus, bevor sie fragte, ob wir denn jetzt schon mehr Strecke hinter uns als vor uns hätten.

Neulich kam mein fünfjähriges Kind mit dem festen Entschluss zu mir, sie wolle jetzt die Uhr lernen. Ich habe das als ersten Schritt ins Erwachsenenuniversum interpretiert, einerseits juchhu, andererseits auch ein bisschen schade. Ihr würde diese Kolumne übrigens nicht gefallen. Sie würde sagen: „Mama, warum schreibst du, dass du das 27-mal gesagt hast, wenn du eigentlich viermal meinst?“ Übertreibungen kann sie gar nicht leiden.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Ein bis zwei Kinder haben Eltern
Weniger Onkel und Tanten
Unterm StrichWeniger Onkel und Tanten
Zum Thema
Aus dem Ressort