Im Job und zu Hause Mindful Self Leadership: Wie Achtsamkeit uns stärker macht

Salzburg/Maastricht · Achtsamkeit hilft, fokussierter zu arbeiten. Ein Schlüssel dazu heißt Mindful Self Leadership. Was hinter dem Konzept steckt und wie Sie es umsetzen.

Mindful Self Leadership ist ein Weg, sich selbst besser wahrzunehmen und fokussierter zu arbeiten.

Foto: Christin Klose/dpa-tmn

Treiben Sie regelmäßig Sport, um im Joballtag leistungsfähig zu bleiben? Das ist gut so. Aber Sie können noch mehr tun. Denn wer auch die geistige Fitness trainiert, geht Aufgaben souveräner an.

Ruhig Entscheidungen treffen, hochkonzentriert E-Mails beantworten, im Schaffensrausch eine Präsentation fertigstellen: Achtsamkeitstraining kann Ihnen helfen, eine gute Selbstführung zu erlangen - auch Mindful (Self) Leadership genannt.

Was ist Mindful Leadership?

Mindful Leadership lässt sich auf das Konzept der Achtsamkeit zurückführen. Unser heutiges Verständnis von Achtsamkeit basiert auf dem Ansatz des US-amerikanischen Molekularbiologen Jon Kabat-Zinn. Er gilt als Vater der Achtsamkeitspraxis in den westlichen Kulturen.

Nach seiner Definition ist Achtsamkeit „die absichtsvolle Aufmerksamkeitslenkung auf den gegenwärtigen Moment, ohne zu bewerten.“

Johannes Narbeshuber, Wirtschaftspsychologe und Leadtrainer beim Mindful Leadership Institut in Salzburg, hat gemeinsam mit seiner Frau Esther Narbeshuber bereits mehrere Bücher zum Thema verfasst.

Das Ehepaar definiert Mindfulness als die Kompetenz, unsere Aufmerksamkeit immer wieder wach und wohlwollend auszurichten. „Wir sagen immer: Die innerliche Taschenlampe anknipsen und ausrichten.“

Mindful Leadership umfasst dabei ein komplettes Führungskonzept.

Teamleader haben Achtsamkeit nicht nur bei sich selbst im Blick. Sondern auch bei ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie auf Organisationsebene. Auf Teamebene etwa fördern sie Bedingungen, die Aufmerksamkeit und Fokus unterstützen. Zum Beispiel, indem sie Kommunikationsregeln festlegen: Während eines Online-Meetings sind keine anderen elektronischen Programme erlaubt.

MindfulSelf Leadership ist ein Teil von Mindful Leadership, erklärt Johannes Narbeshuber. Achtsame Selbstführung soll Führungskräfte in den für ihre Aufgaben wichtigen Kompetenzen stärken und beim Umgang mit schwierigen Gefühlen oder herausfordernden Situationen helfen.

Dafür werden die Prinzipien des Mindful Leaderships auf den Umgang mit sich selbst übertragen - es geht um Selbstreflexion und Selbstwahrnehmung.

„Mir selbst als Führungskraft gelingt es immer wieder, meine Aufmerksamkeit bewusst und wohlwollend dahin zu lenken, wo ich möchte“, so beschreibt Narbeshuber das Ideal.

Dieses Präsentsein durch Achtsamkeit, wie das Autorenpaar es nennt, habe eine Reihe von positiven Auswirkungen, zum Beispiel auf:

  • Fokus und Effizienz
  • Kreativität und Innovationsfähigkeit
  • Resilienz und Vitalität
  • Einfühlungsvermögen und Sozialkompetenz

Diese Kompetenzen sind insbesondere für Führungskräfte wichtig. Aber natürlich können wir alle davon im Job und auch außerhalb unseres Berufslebens profitieren.

Teamleiter konzentrieren sich nicht nur auf ihre eigene Achtsamkeit, sondern auch auf die Achtsamkeit im Kollegium.

Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa-tmn

Warum ist Achtsamkeit im Berufsleben wichtig?

Wissenschaftliche Untersuchungen haben viele positive Effekte von Achtsamkeit belegt. Auch im Beruf können wir davon profitieren.

1. Stressempfinden

Die Initiative Gesundheit & Arbeit (iga) hat sich für einen Bericht über 100 Studien zum Thema Achtsamkeit im Arbeitskontext angeschaut und verschiedene Techniken auf ihre Wirksamkeit überprüft. Gesundheitsforscherin Maren Marie Michaelsen vom Institut für Integrative Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung der Universität Witten/Herdecke hat an dem Bericht mitgewirkt.

Die Untersuchungen zeigen ihr zufolge zum Beispiel, dass sich Achtsamkeitsübungen positiv auf die psychische Gesundheit auswirken, insbesondere auf Stresswahrnehmung.

Je nach ausgeführter Achtsamkeitspraxis zeigen sich laut iga auch positive Effekte auf das allgemeine Wohlbefinden und das Burnout-Risiko.

Johannes Narbeshuber verweist auf ein Forschungsprojekt des Max-Planck-Instituts, das unter anderem physiologische Effekte von Achtsamkeit untersucht.

Bei Teilnehmenden eines mentalen Trainingsprogramms ließ sich nachweisen, dass sich die Konzentration des Stresshormons Cortisol bei Haaranalysen im Laufe der Zeit deutlich verringerte und auf niedrigem Niveau blieb.

2. Resilienz und Vitalität

Ute Hülsheger ist Professorin an der Fakultät für Psychologie und Neurowissenschaften der Universität Maastricht. Sie sagt: Es ist relativ gut belegt, dass Achtsamkeitstraining sich positiv auf das Wohlbefinden und die psychische und physische Gesundheit auswirkt.

Das Training trägt außerdem dazu bei, dass man am Arbeitsplatz besser mit Belastungen klarkommt.

Sie führt als Beispiel Studien mit randomisierten Gruppen an. Eine Gruppe erhält ein Achtsamkeitstraining, die andere nicht. „Peu à peu hat man gesehen, dass die Gruppe mit Training besser abschalten, sich besser erholen und schlafen konnte“, sagt Hülsheger.

Eine Technik wie der Bodyscan kann Johannes Narbeshuber zufolge zu einer verbesserten Körperwahrnehmung beitragen. „Damit stehe ich auch anders in Kontakt mit meinen Bedürfnissen und werde kompetenter darin, sie adäquat zu versorgen“, sagt er.

Der Bodyscan ist eine Übung aus dem Achtsamkeitstraining, bei der die Aufmerksamkeit systematisch durch den ganzen Körper geführt wird. Ziel ist es, in Ruhe den Körper gedanklich vom Kopf bis zur Fußsohle zu erforschen und in ihn hineinzufühlen. Dabei registriert man alle inneren Erfahrungen und lässt auch unangenehme Empfindungen zu.

Achtsamkeit verhelfe dazu, insgesamt ein besseres Leben zu führen. „Das Leben bekommt eine andere Tiefenschärfe, wird mit allen Sinnen erfahrbar und wir kriegen auch mit, was für ein Glück es ist, die Zeit auf dem Planeten zu haben. Es rauscht nicht alles nur vorbei.“

3. Aufmerksamkeit

Neurowissenschaftliche Studien legen nahe, dass es sogar Verbindungen zwischen Achtsamkeitsmeditation und Veränderungen der Hirnstruktur gibt. Aus einem 2015 erschienenen Beitrag in der Fachzeitschrift „Nature Neuroscience Reviews“ geht zum Beispiel hervor, dass Achtsamkeitspraxis die Aufmerksamkeit verbessern kann.

Ob sich die verbesserte Aufmerksamkeit in mehr Leistung oder einer effizienteren Arbeitsweise niederschlägt, ist aus Perspektive der Wissenschaft bislang nicht eindeutig belegbar.

Es gebe unterschiedliche Formen von Leistung, sagt etwa Ute Hülsheger. Daher sei es stark kontextabhängig, ob Achtsamkeit dafür hilfreich ist oder nicht.

Der Wissenschaftlerin zufolge gibt es lediglich einige Studien, die in ganz bestimmten Settings positive Effekte gefunden haben.

4. Selbstwahrnehmung und Sozialkompetenz

Laut Maren Marie Michaelsen können Achtsamkeitspraktiken dazu beitragen, sich selbst und seine Bedürfnisse besser wahrzunehmen.

„Nur wenn ich überhaupt wahrnehme, dass ich gestresst, wütend oder enttäuscht bin, kann ich das auch regulieren“. Diese Emotions- und Stressregulation ist im Berufsleben häufig besonders wichtig.

Achtsame Führungskräfte haben laut Narbeshuber somit auch einen Effekt auf das Team und können unter Umständen Fluktuationen positiv beeinflussen.

„Wir alle wissen, Mitarbeitende kommen zu Unternehmen, weil sie die Marke attraktiv finden. Sie verlassen das Unternehmen, weil die Führungskraft einfach nicht gut mit ihnen umgeht.“

Hier setzen Techniken wie die Metta-Meditation an. Dabei üben wir uns ganz gezielt darin, eine Grundhaltung von Wohlwollen und Offenheit zu unserem Gegenüber zu entwickeln. Das hilft, Konflikte im Berufsleben leichter zu klären, so der Trainer.

Wie werde ich zu einer achtsamen Führungskraft, zu einem achtsamen Mitarbeiter?

Johannes Narbeshuber rät dazu, in einem ersten Schritt kleine Achtsamkeitsübungen auszuprobieren und diese immer mehr in den Alltag einfließen zu lassen.

Hierfür bieten sich kleine Atemübungen oder Monotasking an: Dabei konzentriert man sich mit allen Sinnen auf eine Tätigkeit - etwa, indem man sich beim Essen ganz darauf fokussiert, was man schmeckt, riecht oder wie sich die Konsistenz der jeweiligen Zutaten anfühlt.

Wichtig ist, erst einmal ein Bewusstsein für die eigene Achtsamkeit zu bekommen. Schnell stellt man fest, dass man in einen Zustand der Entspannung kommt und „es wieder ruhiger und angenehmer und gelöster in mir wird“, wie Narbeshuber es formuliert.

Ute Hülsheger empfiehlt eine andere erste Übung. Sie rät, ein Armband am Handgelenk zu tragen. Jedes Mal, wenn einem auffällt, dass man gerade nicht achtsam war und gedanklich abgeschweift ist, wechselt man es an den anderen Arm. „Dann habe ich schon eine Bewusstheit darüber, wie oft ich eigentlich unachtsam bin“, sagt Hülsheger.

Gut zu wissen: Achtsamkeit trainiert man wie einen Muskel, erklärt die Forscherin. Wenn man im Berufsleben wirklich achtsam sein möchte, braucht es folglich regelmäßiges Training.

Wer Jon Kabat-Zinn folgen will, müsste mindestens sechs Mal pro Woche 45 Minuten Achtsamkeit üben. Im Alltag ist es eher schwierig, so viel Zeit zu investieren.

Hülsheger rät aber, durchaus täglich 10 bis 15 Minuten etwa mit Meditations- oder Yogaübungen zu verbringen. Damit lässt sich der Geist auf das Hier und Jetzt richten.

Für Johannes Narbeshuber besteht der zweite Schritt ebenfalls darin, mit einer regelmäßigen Praxis zu starten.

„Vier Minuten am Tag reichen, um nach acht Wochen hirnphysiologisch messbare Unterschiede zu haben“, sagt er. Dafür müsse man aber täglich eine Technik verfolgen.

In einem letzten Schritt gehe es darum, Achtsamkeit neben der täglichen Praxis auch vermehrt in die allgemeine Lebensführung zu integrieren. Ähnlich wie im Sport gilt: Wer regelmäßig trainiert und Erfolge sehen will, wird auch verstärkt auf andere Faktoren wie eine gesunde Ernährung und einen guten Schlafrhythmus achten.

Welche Achtsamkeitstechniken helfen mir im Arbeitsalltag?

Tägliche Meditations- oder Yogaübungen helfen dem Geist, sich auf das Hier und jetzt zu konzentrieren.

Foto: Christin Klose/dpa-tmn

Hier kommt eine kleine Auswahl an gängigen Techniken:

  • Atmenübungen: Sie können einfach damit beginnen, mit Ihrer Aufmerksamkeit dem Atem zu folgen. Also tief durchatmen, die Gedanken auf den Atem lenken und sie dann nach und nach auf die verschiedenen Körperteile fokussieren.
  • Wecker stellen und meditieren: Diese Methode ist ganz leicht: In bestimmten Abständen den Handywecker stellen und sich dann fünf Minuten Zeit nehmen, um zu meditieren.
  • Kleine Sitzmeditation: Dafür nehmen Sie eine aufrechte, bequeme Sitzhaltung ein. Die Füße berühren den Boden, die Augen sind geöffnet oder geschlossen. Die gesamte Konzentration liegt auf dem Einatmen. Dabei hilft es, die Atemzüge zu zählen. Sich aufdrängende Gedanken werden hingenommen. Die Konzentration bleibt beim Atem.

Auch Maren Marie Michaelsen kennt viele kleine Übungen, die man in den Arbeitsalltag integrieren kann. „Wichtig ist, dass man sich einen Anker sucht.“ Dafür bieten sich verschiedene Dinge an:

  • Bewusstes Gehen: Sie können ganz bewusst von einem Raum zum nächsten gehen. Dabei fokussieren Sie sich auf das Gehen und spüren, wie Ihre Füße über den Boden abrollen.
  • Bewusstes Innehalten: Immer wenn Sie eine Türklinke in der Hand halten, atmen Sie tief ein und aus. „Gerade, wenn man zum Beispiel als Ärztin oder Arzt immer wieder die Behandlungsräume wechselt, kann das helfen, den Kopf für die nächste Patientin oder den nächsten Patienten freizubekommen“, sagt Michaelsen.
  • Tagesrückblick: Johannes Narbeshuber schlägt vor, vor dem Schlafengehen gedanklich bis zum Aufwachen zurückzuspulen: Was war mein Tag? „Zum einen hilft es mir, mich noch einmal zu sortieren, aber zum anderen ist es auch ein ganz natürliches Fokustraining. Ich fokussiere mich noch einmal richtig und merke danach, wie es in meinem Kopf loslässt und ich entspannt einschlafe.“

Was sind die Vor- und Nachteile von Achtsamkeit?

Ute Hülsheger verweist beim Thema Achtsamkeit am Arbeitsplatz auch auf ein Argument, das vor allem von Ronald Purser geprägt wurde. Der US-amerikanische Autor kritisiert in seinem Buch „MC Mindfulness“ die Kommerzialisierung des Konzepts Achtsamkeit.

Hülsheger sieht einen validen Punkt: Achtsamkeitsprogramme in Unternehmen könnten unter bestimmten Umständen am Ende dazu führen, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch stärker ausgebeutet werden.

Das Argument: „Wenn der Arbeitsdruck von außen sehr hoch ist, sollte es nicht die Verantwortung des Einzelnen sein, wenn er oder sie mit dem Druck nicht klar kommt oder davon gestresst ist, weil er oder sie nicht achtsam genug ist.“

Die richtigen Rahmenbedingungen: Rückzugsmöglichkeiten für Mitarbeiter durch das Unternehmen fördern die Achtsamkeit.

Foto: Christin Klose/dpa-tmn

Laut Hülsheger müssen Unternehmen, die Achtsamkeitsprogramme anbieten möchten, dafür die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. Etwa, indem sie für Rückzugsmöglichkeiten sorgen - für einen Raum der Stille oder einen Bereich in der Kantine, in dem man in Ruhe essen kann.

Maren Marie Michaelsen zufolge konnte in Studien gezeigt werden, dass Mitarbeitende nach einem Achtsamkeitstraining zum Teil ihren Job kündigen. „Was hier letztendlich passiert, ist: Die Mitarbeitenden werden sich darüber bewusst, ob sie überhaupt am richtigen Ort und am richtigen Platz sind“, erklärt die Forscherin.

Die Forscherin plädiert dafür, solche Kündigungen als Unternehmen nicht als Nachteil zu sehen: „Wenn Mitarbeitende es nicht während eines Achtsamkeitstrainings merken, dann spätestens, wenn sie zum Beispiel viele Krankheitstage haben.“ Der Körper reagiert auf das Gefühl, am falschen Ort zu sein - soweit sollte es nicht kommen.

Wo stößt das Prinzip Achtsamkeit an Grenzen?

Nicht alles liegt bei einem selbst. Michaelsen betont: Beim Thema Achtsamkeit im Arbeitskontext kann man nicht nur beim Verhalten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ansetzen.

Besonders stressige Arbeitsbedingungen und äußere Umstände können nicht allein durch Achtsamkeitstrainings verbessert werden.

Doch auch dann kann das Konzept hilfreich sein: „Letztendlich führt Achtsamkeit dazu, dass ich mir über meine eigenen Bedürfnisse besser bewusst werde.“ Das kann Grundlage dafür sein, dass Beschäftigte offensiver mit Forderungen für bessere Arbeitsbedingungen umgehen - weil sie genauer wissen, was sie wollen und brauchen.

„Das ist dann ein Bottom-up-Approach, bei dem die Mitarbeitenden darin gestärkt werden, für ihre Rechte einzustehen“, sagt Michaelsen.

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(dpa)