Patientenkolloquium in Bonn Die stille Gefahr aus der Mitte

BONN · Beim nächsten Patientenkolloquium des Universitätsklinikums Bonn geht es um Diagnostik und Therapie des Bauchaortenaneurysmas durch ein Team aus Gefäßchirurgen, Angiologen und Radiologen

   Ein Aneurysma   ist eine gefährliche Aufweitung der Aorta (links). Per Stent (rechts) wird das Risiko ausgeschaltet, dass die Aufweitung irgendwann „ruptiert“ (aufreißt), was den Tod durch inneres Verbluten bedeuten würde    FOTO: Klinik für interventionelle Radiologie/UKB

Ein Aneurysma ist eine gefährliche Aufweitung der Aorta (links). Per Stent (rechts) wird das Risiko ausgeschaltet, dass die Aufweitung irgendwann „ruptiert“ (aufreißt), was den Tod durch inneres Verbluten bedeuten würde   FOTO: Klinik für interventionelle Radiologie/UKB

Foto: UKB

Wer schon einmal einen Luftballon aufgeblasen hat, wird sich vielleicht noch an den anfänglichen Widerstand erinnern, bis das Material endlich begann, die gewünschte pralle Form anzunehmen. Von da an wurde es spürbar leichter – bevor ein einziger Atemzug zu viel den Ballon schließlich mit einem lauten Knall zum Platzen brachte.

Auch wenn die vom Herzen bis zum Becken verlaufende Aorta – das größte Blutgefäß im menschlichen Körper – mit ihren drei Wandschichten viel komplexer aufbaut ist, dient dieser womöglich etwas simpel anmutende Vergleich durchaus zum prinzipiellen Verständnis dessen, was dort bei einem Aneurysma (altgriechisch: Aufweitung, Erweiterung) geschehen kann. Der Blick richtet sich dabei auf die Aorta abdominalis, den Abschnitt der Hauptschlagader im Verlauf des Bauchraums, der normalerweise einem Durchmesser von rund zwei Zentimetern hat. Von einem Bauchaortenaneurysma (BAA) spricht man, wenn sich die Gefäßwand auf drei Zentimeter und mehr aufdehnt. Kommt es dann zu einer ungedeckten Ruptur (einem Riss) mit massiver Blutung, stirbt der/die Betroffene innerhalb weniger Minuten.

„Aber auch wenn die Patienten lebend das Krankenhaus erreichen und operiert werden, liegt die Mortalität noch bei 50 Prozent. Und daran hat sich seit den 1970er Jahren kaum etwas geändert“, sagt Dr. Frauke Verrel, Leiterin der Gefäßchirurgie an der Klinik für Allgemein-, Viszeral-, Thorax-, Gefäßchirurgie des Universitätsklinikums Bonn (UKB). Doch so weit muss es nicht kommen. Gemeinsam mit Dr. Nadjib Schahab, Leiter der Sektion Angiologie an der Medizinischen Klinik II, und Dr. Patrick Kupczyk, Oberarzt der Klinik für Interventionelle Radiologie, spricht Verrel beim nächsten Patientenkolloquium des UKB am Donnerstag, 23. Juni, von 18 bis 19.30 Uhr (wieder als öffentliche Zoom-Konferenz) über die Möglichkeiten, ein Bauchaortenaneurysma rechtzeitig zu diagnostizieren und zu behandeln.

Nach Angaben der Krankenkassen leiden daran bundesweit etwa 200 000 Menschen im Alter über 65 Jahren. „Einer der Hauptauslöser für ein Bauchaortenaneurysma“, so  Schahab, „ist Arteriosklerose“. Fett und Kalk an den Innenwänden verändern und entzünden im Laufe der Zeit das Gefäß. Der hohe Blutdruck, der oft mit einer Arteriosklerose einhergeht, trägt mit zur Entstehung der Aussackung bei, die deshalb überwiegend ältere Menschen zwischen 75 und 85 Jahren trifft.

„Der entscheidende Risikofaktor ist neben Diabetes und erhöhten Blutfetten der Zigarettenrauch. Die darin enthaltenen Giftstoffe schaden sogar noch mehr als der Bluthochdruck“, warnt Schahab. „Eine sehr wichtige Rolle spielt auch die genetische Disposition: Aneurysmaerkrankungen treten gehäuft in Familien auf.“ Männer sind neun Mal häufiger betroffen (das rupturierte BAA ist bei ihnen die zehnthäufigste Todesursache). „Dafür ist bei Frauen die Sterblichkeit höher“, ergänzt Verrel. „Auch ihre Vorsorge und Versorgung sind schlechter.“

Das BAA entwickelt sich über lange Zeit völlig asymptomatisch. Wenn Beschwerden auftreten, ist es schon weit fortgeschritten. Die Aussackung drückt vielleicht gegen einen Wirbelkörper, gegen Nervenstränge oder eine der benachbarten Nieren. Die Ruptur verursacht in der Regel einen plötzlich einsetzenden und heftigen Rücken- oder Flankenschmerz. „Ein ruckartiges Verbluten in die Bauchhöhle ist allerdings eher selten“, beschreibt Verrel. „Meistens entsteht ein Riss, über den es zunächst ins Retroperitoneum (ein fettreicher Bindegewebsraum zwischen hinterer Bauchwand und dem äußeren Blatt des Bauchfells) blutet.“ Dabei können Blutdruckabfall, Herzrasen und Bewusstlosigkeit auftreten, bevor es durch die Füllung des Retroperitoneums zur Tamponade der Blutung kommt. Es scheint, als habe der Zustand sich wieder stabilisiert. Die Gefahr wird nicht erkannt, und die lebensgefährliche Blutung im Innern kann sich noch über Stunden fortsetzen – bis zum  hämorrhagischen Schock, wenn das Herz mangels Blutvolumen nicht mehr ausreichend pumpen und die Organe mit Sauerstoff versorgen kann.

„Deshalb sind in solchen Notfällen die Alarmierung des Rettungsdienstes mit Hinweis auf Vorliegen eines Bauchaortenaneurysmas und sofortiges Anfahren einer Klinik mit entsprechender Ausstattung überlebenswichtig“, betont Verrel. Im Schockraum des UKB kann das Team aus Gefäßchirurgen, Anästhesisten und Radiologen die Betroffenen versorgen und im selben Raum die Computertomografie durchführen, um sich ein Bild vom Zustand der Patientin / des Patienten sowie von Gestalt und Lage ihres/seines Aneurysmas zu machen. „Das spart wertvolle Zeit, die letztlich über Leben oder Tod entscheiden kann“, hebt Verrel hervor.

Da es jedoch selbst unter diesen Bedingungen nicht möglich ist, jedes Leben zu retten, müssen Vorsorge, Diagnose und Behandlung deutlich früher ansetzen. Wenn das Aneurysma nicht bereits rupturiert ist oder  kurz davor steht und noch genug Zeit bleibt, um einen elektiven Eingriff nach der für diesen Fall optimalen Methode zu planen, überleben die Betroffenen zu 99 Prozent.

„Gerade, weil diese Erkrankung lange Zeit keine Schmerzen verursacht, wird das Aneurysma meistens per Zufall entdeckt“, erklärt Kupczyk. „Ein bis zwei Neudiagnosen pro Woche sind bei uns die Regel“, zieht der Radiologe Bilanz. „Die Erweiterungen der Bauchaorta liegen meist zwischen zwei und drei Zentimetern und sind damit noch nicht behandlungsbedürftig. Sie sollten aber zumindest regelmäßig kontrolliert werden“, so Kupczyk. „Strukturell wird die Aorta abdominalis nur selten untersucht. Dabei ist sie im Ultraschall des Bauchraumes weder aufwendig noch kompliziert zu beurteilen.“ Auf Initiative der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie wird die Ultraschalluntersuchung der Aorta als Vorsorgeuntersuchung beim Hausarzt inzwischen auch von den Krankenkassen bezahlt: Jeder Mann ab 65, Frauen ab 65 Jahren, die rauchen oder geraucht haben, sowie Geschwister von Aneurysmapatienten können das in Anspruch nehmen.

„Ein Aneurysma wächst im Allgemeinen langsam und kontinuierlich“, sagt Schahab „Fünf bis sechs Millimeter pro Jahr gelten als schnell. Am Anfang ist das Wachstum linear, wenn es aber erst einen gewissen Punkt überschritten hat, wird es exponentiell“, fügt der Angiologe hinzu. „Man muss das Risiko des vorsorglichen Operierens und das einer möglichen Ruptur gegeneinander abwägen“, führt er weiter aus. „Der Grenzwert dafür liegt bei einem Aneurysmadurchmesser von 5,5 Zentimetern.“

Ein BAA kann entweder in einer offenen Operation oder durch einen minimal-invasiven, endovaskulären  Eingriff (siehe Text unten) versorgt werden. „20 Prozent müssen nach wie vor offen operiert werden“, erklärt Verrel. „Am häufigsten dann, wenn der Patient nach einer Ruptur schon kreislaufinstabil ist oder das Aneurysma zu nahe an der Abzweigung weiterer Arterien liegt und den Einsatz einer für den Notfall zu verwendenden Standard-Prothese nicht zulässt.“

Die offene OP, bei der im Anschluss an einen vertikalen Bauchschnitt die Aorta abgeklemmt, das überdehnte Stück herausgeschnitten und durch eine fest vernähte Kunststoffprothese ersetzt wird, ist zwar invasiv und mit einer entsprechend längeren Heilungsdauer verbunden, kann aber auch eine Option zur dauerhaften Versorgung für Jüngere  ohne Komorbiditäten wie Herz-Kreislauf-, Lungen oder Nierenerkrankungen sein: etwa, wenn jemand unter dem Marfan-Syndrom leidet – einer angeborenen seltenen Bindegewebsschwäche, die das Risiko eines Aneurysmas erhöht.

Ein „Hybrid-OP“ im UKB ermöglicht, falls erforderlich, zwischen beiden Methoden zu wechseln. „Gefäßchirurgen müssen immer auch die offene Technik beherrschen, um sie im Notfall anwenden zu können“, erwartet Verrel. „Der Schlüssel zu einer guten BAA-Behandlung liegt aber vor allem im präklinischen Bereich und damit auch in der Eigenverantwortung jedes einzelnen.“ 

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