Druck am Arbeitsplatz Was Ärzte von Athleten lernen können

Bonn · Chirurgen müssen in ihrem Beruf auf Knopfdruck fehlerfrei arbeiten können. Dabei helfen können ihnen Methoden aus dem Leistungssport. Einen Workshop dazu gab es jetzt in Bonn.

 Der Sportpsychologe Tom Kossak (l.) vermittelt Bonner Chirurgen, wie sie sicher unter Stress arbeiten können.

Der Sportpsychologe Tom Kossak (l.) vermittelt Bonner Chirurgen, wie sie sicher unter Stress arbeiten können.

Foto: Benjamin Westhoff

Es ist laut im OP, viele Helfer, viele Stimmen. Auf dem OP-Tisch vor dem Chirurgen liegt ein achtjähriger Junge in Narkose, draußen wartet dessen Familie ängstlich auf den Ausgang der Operation. Der Chirurg hat seit Tagen kaum Erholung gehabt. Zu allem Überfluss hat er die ganze Nacht mit seiner Freundin gestritten. Alles egal. In den nächsten Stunden muss er seine volle Leistung abrufen.

In Stresssituationen fehlerfrei arbeiten zu können, gehört zu den Anforderungen an jeden Chirurgen. „Der Patient geht mit Vertrauen in die OP“, sagt Kinderneurochirurg Hannes Haberl. Aber: „Die Leistungsfähigkeit von Chirurgen ist mitnichten kontrolliert. Sie neigen dazu, im OP das Berufsethos des Helden zu tradieren. Das hat eine gefährliche Seite“, bemängelt er.

Der 63-Jährige spricht aus Erfahrung. Zehn Jahre lang leitete er die von ihm gegründete Abteilung für Kinderneurochirurgie an der Berliner Charité. Auch am Universitätsklinikum Ulm baute er die Pädiatrische Neurochirurgie auf. Heute hat er den ersten deutschen Lehrstuhl für Kinderneurochirurgie an der Uniklinik Bonn inne.

Haberl: Chirurgen werden unzureichend ausgebildet

Trotzdem, sagt er, gleiche seine Aussage einem Tabubruch. Die „chirurgische Leitkultur“ gebe vor, dass Operateure unbegrenzt belastbar seien und nie Fehler machten. Dabei hänge viel davon ab, wie die Ausbildung verlaufe. „Ob die gut oder schlecht war, ist ein bisschen Glückssache.“ Denn: Ein systematisches Training gebe es nicht. Chirurgen lernten von Chirurgen, aber ein Chirurg sei kein Ausbilder. „Gut zu operieren und gut zu trainieren, sind zwei völlig verschiedene Fähigkeiten“, meint der Professor.

Nachwuchsärzte lernten zwar Fachliches und Operieren – aber nicht, wie man darüber hinaus mit dem Klinikalltag umgehe. „Wenn ich einem jungen, un-erfahrenen Kollegen bei einer OP assistiere und ihm sage, er habe etwas nicht ganz richtig gemacht, dann kann man fast die Uhr danach stellen, dass in den nächsten fünf Minuten der nächste Fehler passiert.“

Doch diesen Status quo wollte Haberl nicht akzeptieren. 2014 kontaktierte er deswegen den Lehrstuhl für Sportpsychologie an der Uni Potsdam. Seine Vermutung: Ärzte könnten von Leistungssportlern lernen, wie sie sich nach Fehlern oder unter Stress wieder in den Hochleistungsmodus versetzen können. Zwei Sportpsychologen analysierten auf seine Anfrage hin anschließend zwei Tage lang ihn und sein Team an der Charité.

Abschließend sollen sie gesagt haben: „Wenn ihr Leistungssportler wärt, würden wir euch nicht erlauben, euch so zu verhalten.“ Die Operateure seien energetisch nicht gut auf OPs vorbereitet gewesen, hätten keine Erholungstechniken zur Verfügung gehabt, zu wenig auf ihr körperliches Wohlempfinden geachtet und Störquellen wie Lärm oder zu viel Licht nicht abgestellt.

Kuscheltiere helfen bei der Konzentration

Aus dieser Analyse entwickelte der Sportpsychologe Tom Kossak ein Programm, das am Wochenende im Bonner V-Hotel seine Premiere feierte. Zwölf Chirurgen haben dort in einem 24-Stunden-Retreat mehr zur mentalen Wettkampfvorbereitung, zum Stressabbau und zum Umgang mit Fehlern erfahren.

Dazu gehört die „Kuscheltier-Methode“: „Der Chirurg bringt ein Plüschtier mit in eine Sitzung mit einem Sportpsychologen und zusammen entwickeln sie Formeln, die den Chirurgen in Leistungsbereitschaft bringen“, erklärt Haberl. „Zum Beispiel: Ich mache das für meine Familie. Das muss man dem Tier immer wieder sagen.“ Wenn man dies lange genug trainiere, reiche irgendwann der bloße Gedanke an das Kuscheltier, um sich nach Fehlern wieder zu fangen. „Refokussierung“ nenne der Experte das.

Auch bewusst ein- und auszusteigen, sei ein effektives Mittel zur Konzentrationssteigerung. Viele Chirurgen kämen gar nicht auf die Idee, in einer fünfstündigen OP 15 Minuten Pause zu machen, sagt der Professor. Dabei sei es meistens egal, ob fünf oder fünfeinviertel Stunden lang operiert werde.

Reichen denn 24 Stunden für so ein Training? „Manches kann nur ein Teaser sein“, sagt Kossak ganz klar. „Aber es ist wichtig, in der Medizin ein Bewusstsein für diese Methoden zu schaffen, weil sie dort noch relativ neu sind und nicht zum Standard gehören.“ Danach hänge viel davon ab, wie jeder einzelne sie umsetzt, beziehungsweise wie die Abteilungsleiter sie vorlebten und einforderten. „Man muss kontinuierlich an dieser Mentalität arbeiten“, betont der Sportpsychologe.

Langfristig kann Haberl sich vorstellen, eine Akademie aufzubauen, die solche Workshops berufsübergreifend anbietet. Denn Methoden aus dem Leistungssport könnten neben Chirurgen allen in Hochleistungsberufen zugute kommen – egal ob Musiker, Führungskraft oder Pilot.

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