„Kauf-nix-Tag“ Impulskäufe: So widerstehen Sie der kurzfristigen Versuchung

Friedrichsdorf/Berlin · Kaufe eins, nimm zwei: Eigentlich brauchte man das 35. Paar Socken gar nicht. Doch bei verlockenden Sonderangeboten greifen Kundinnen und Kunden trotzdem gerne zu. Wie widersteht man der Versuchung?

 Mal wieder mehr gekauft als Sie wollten? Den Angeboten im Laden zu widerstehen, ist oft nicht leicht. Aber man kann es lernen. Foto: Oliver Berg/dpa/dpa-tmn

Mal wieder mehr gekauft als Sie wollten? Den Angeboten im Laden zu widerstehen, ist oft nicht leicht. Aber man kann es lernen. Foto: Oliver Berg/dpa/dpa-tmn

Foto: Oliver Berg

Einfach mal nix kaufen - gar nicht so leicht bei der vielen bunten Werbung, die täglich auf uns einprasselt. Doch genau dazu lädt der „Kauf-nix-Tag“ (27. November) ein, der sich gegen enthemmten Konsum und dessen Folgen für Ressourcen, Umwelt und Klima richtet. Nicht zufällig liegt er zwischen den Rabattschlacht-Tagen „Black Friday“ und „Cyber Monday“.

Also: Wie stellt man's an, nichts zu kaufen?

„Die wenigsten Menschen kaufen ausschließlich Waren, die sie zwingend benötigen“, sagt Nadja Tahmassebi, Leitende Psychologin an der Salus Klinik in Friedrichsdorf (Hessen). Statt sich mit dem Nötigsten zu versorgen, versorgten sich Menschen vor allem emotional.

Besonders bei Preisnachlässen oder scheinbar limitierter Verfügbarkeit greifen Kundinnen und Kunden bei attraktiven Produkten gerne zu - und sprechen damit das Belohnungszentrum im Gehirn an. Die Folge: Es werden kurzzeitig Glückshormone ausgeschüttet.

Das Problem: „Alle Formen von unmittelbarer, kurzfristiger Belohnung sind gefährlich, weil sie ihren Belohnungseffekt verlieren, wenn sie zu häufig stattfinden“, sagt Tahmassebi. Wer also ständig neue Kleidung kauft, schüttet immer weniger Glückshormone aus. Darum konsumiert man dann immer noch mehr. Dabei gilt: Damit der Belohnungseffekt nicht abnehme, müsse die Belohnung selten und überraschend eintreten, sagt Tahmassebi.

Konsum ist nur Trostpflaster für unerfüllte Bedürfnisse

Außerdem sollte man sich bewusst machen: Wer häufig mit dem Shopping seine Bedürfnisse - zum Beispiel nach Anerkennung oder Zuneigung - befriedige, werde dadurch kein glücklicher Mensch, sagt die Psychotherapeutin. Selbst wenn der Schuhschrank aus allen Nähten platzt, stellt sich auch mit immer neuen Zugängen keine dauerhafte Zufriedenheit ein.

Denn die gekauften Artikel seien lediglich ein Trostpflaster für unerfüllte Wünsche und Sehnsüchte. Wer den Wunsch nach Zuneigung verspürt, bekommt diese auch von einem neuen Paar Schuhe nicht. Mit welchen Waren sich Menschen trösten, ist dabei nicht entscheidend. „Die Artikel sind in der Regel austauschbar“, sagt Tahmassebi. Sie rät, die eigenen, tatsächlichen Bedürfnisse zu erkennen und zu erfüllen.

Hungrig und durstig ist man besonders anfällig für Impulskäufe

Aber wie schaffe ich es nun konkret, verlockenden Trostpflastern zu widerstehen? Ganz praktisch: Zum Einkaufen nur so viel Geld mitnehmen, wie für die Produkte auf der Einkaufsliste notwendig ist. Wer die EC- oder Kreditkarte zu Hause lasse, sei gar nicht in der Lage, außerplanmäßige Anschaffungen zu tätigen, sagt Tahmassebi.

Besonders anfällig für Impulshandlungen sind Menschen laut der Psychologin außerdem dann, wenn ihre Grundbedürfnisse schlecht erfüllt sind. Wer zum Beispiel hungrig oder durstig einkaufen geht, kauft in der Regel mehr Lebensmittel, als wenn er satt ist. Die sogenannte Selbststeuerungsfähigkeit ist dann geringer. Darum: Besser mit vollem Magen in den Supermarkt.

Wer im Laden oder beim Online-Shopping von hübsch präsentierten Produkten umgeben ist, habe zudem einen gesteigerten Wunsch nach Konsum, sagt Tahmassebi. Daher helfe es, den Laden oder den Webshop vor dem Kauf noch mal kurz zu verlassen und sich zu überlegen: Brauche ich das überhaupt? Oder verleitet mich die Umgebungssituation zum Kauf?

Denn diese Umgebungssituation legen Händler, Kaufhäuser und Lebensmittelmärkte genau so an, dass Kundinnen und Kunden zum Kauf eingeladen werden. Die Verbraucher Initiative kennt die Tricks: Preisschilder in Signalfarben suggerieren etwa Preisnachlässe, obwohl es keine gibt. Das Angebot von Ratenkäufen lassen Anschaffungen günstiger erscheinen, als sie eigentlich sind. Und die scheinbar raren Angebote, die es „nur für kurze Zeit“ gibt, sind oft längerfristig verfügbar.

Impulsive Menschen sind tendenziell weniger widerstandsfähig

Manche Menschen haben von Geburt an eine bessere Fähigkeit, Kaufreizen zu widerstehen als andere. Bei besonders impulsiven Menschen sei die Selbststeuerungsfähigkeit zum Beispiel tendenziell geringer, sagt Tahmassebi. Die gute Nachricht: Jeder kann lernen, zu widerstehen.

Das bedeutet: Öfter mal den Kaufimpuls abschütteln. Wichtig sei dabei, dass man auch wirklich gegen einen inneren Impuls arbeite, sagt die Leitende Psychologin der Salus Klinik Friedrichsdorf. „Es ist nicht dasselbe, wenn ich etwas nicht kaufe, das ich sowieso nicht attraktiv finde“, sagt Tahmassebi.

Übrigens: Laut der Psychotherapeutin gibt es eine ganze Palette an Alternativen, um das Belohnungszentrum anzusprechen. So würden auch beim Pflegen von sozialen Kontakten, beim Umgang mit Tieren sowie bei geistiger oder körperlicher Anstrengung Glückshormone ausgeschüttet. Die abendliche Joggingrunde oder das Erlernen einer Sprache sind deshalb nicht nur Qual.

„Kauf-nix-Tag“ ruft zu bewusstem und nachhaltigem Konsum auf

Vorweihnachtszeit ist auch Shoppingzeit: Besonders zum bevorstehenden „Black Friday“ locken Händler mit Rabatten. Ein Gegenentwurf dazu ist der „Kauf-nix-Tag“ am Samstag (27. November). Die Idee stammt aus den USA und richtet sich gegen enthemmten Konsum und dessen Folgen. Ziel ist es, nur das zu kaufen, was man wirklich braucht und damit Ressourcen, Umwelt und Klima zu schonen.

Florian Grünert zum Beispiel ist Mitgründer des ersten „Leihladens“ in Hessen. Den Nutzern steht eine Auswahl an knapp 900 Gegenständen zur Verfügung, die sie gegen zwei Euro Mitgliedsbeitrag pro Monat und ein Pfand ausleihen können. Elektrogeräte, Party- oder Camping-Zubehör, Gartengeräte oder Werkzeuge, die man nur selten brauche, müsse man nicht neu kaufen, sondern könne sie leihen und dadurch teilen, sagt Grünert. Die Zahl der Nutzer steigt seit dem Start des Ladens in Maintal vor vier Jahren immer weiter an, inzwischen sind es etwa 300.

Konzepte bewussten und nachhaltigen Konsums haben sich zu einem zunehmend breiter werdender Trend formiert, wie Theresa Schleicher, Handelsexpertin beim Zukunftsinstitut (Frankfurt/Wien) sagt. Daran kämen die Unternehmen nicht mehr vorbei und entwickelten Angebote. Leih- und Kreislaufkonzepte etwa in der Modebranche und wiederverwertbare oder reduzierte Verpackungen im Online-Handel seien Beispiele.

© dpa-infocom, dpa:211122-99-99848/4

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