„Ins kalte Wasser gestoßen“ Mentoren helfen Pflege-Auszubildenden

Nürnberg · Pflegekräfte braucht das Land - in der Corona-Krise ganz besonders. Auf den Pflege-Azubis ruhen deshalb große Hoffnungen. Doch es werden nicht nur mehr Nachwuchskräfte gebraucht - sondern auch mehr, die tatsächlich einen Abschluss machen.

 Pflegeschülerin Selina Wang arbeitet im Klinikum Nürnberg. Die 20-Jährige ist inzwischen im dritten Ausbildungsjahr. Foto: Klinikum Nürnberg/dpa

Pflegeschülerin Selina Wang arbeitet im Klinikum Nürnberg. Die 20-Jährige ist inzwischen im dritten Ausbildungsjahr. Foto: Klinikum Nürnberg/dpa

Foto: Klinikum Nürnberg

Selina Wang freut sich schon auf ihren Einsatz auf der Corona-Intensivstation - weil sie helfen möchte. „Ich bin stolz darauf, gerade in Zeiten von Corona systemrelevant zu sein und einen Beitrag zur Aufrechterhaltung des Gesundheitssystems leisten zu können“, sagt die Pflegeschülerin aus Nürnberg.

Sie freut sich aber auch wegen der Arbeitsbedingungen. „Da hat man nur wenige Patienten zu versorgen und kann sich für diese mehr Zeit nehmen. Genau das würde ich mir für alle Bereiche wünschen.“

Die 20-Jährige ist inzwischen im dritten Ausbildungsjahr. „Man wird von Anfang an sehr gefordert und muss Verantwortung tragen. So fühlt man sich manchmal wie ins kalte Wasser gestoßen.“ Sie habe dadurch viele spannende Erfahrung sammeln können, sagt die junge Frau. Doch hin und wieder habe sie auch gezweifelt, ob die Ausbildung wirklich die richtige Wahl war.

Wenn der Druck zu groß wird

Wie der jungen Frau geht es vielen Pflege-Azubis, doch nicht immer bleibt es nur bei Zweifeln. In Bayern liegt nach Angaben des Kultusministeriums der Anteil der Pflegeschülerinnen und -schüler, die ihre Ausbildung im ersten Jahr ab- oder unterbrechen, bei rund 19 Prozent.

Zu Beginn der Ausbildung waren in Selina Wangs Klasse 35 junge Leute. elf von ihnen haben inzwischen aufgehört. „Manche halten diesem Druck nicht stand, den der Schichtdienst mit sich bringt“, sagt sie. Dazu komme noch der Personalmangel. „Während einer Schicht muss eine Pflegekraft in der Regel zehn Patienten betreuen. Eine ganzheitliche Pflege ist da nicht immer möglich“, sagt Wang im Video-Interview. Wegen der hohen Corona-Infektionszahlen ist es zurzeit nicht möglich, die junge Frau im Klinikum Nürnberg persönlich zu treffen.

Dass Deutschland mehr gut ausgebildete Pflegekräfte braucht, zeigt sich gerade in der Corona-Krise sehr deutlich. Im Oktober waren nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit 35.000 Stellen in der Pflege unbesetzt. Und künftig wird der Bedarf wegen des demografischen Wandels weiter steigen, vor allem in der Altenpflege.

Mit der Konzertierten Aktion Pflege will die Bundesregierung den Pflegenotstand in Kliniken und Pflegeheimen mindern. Ein Ziel ist, die Zahl der Azubis bis 2023 um zehn Prozent zu steigern. Der Wegfall des Schulgelds in diesem Jahr und eine neue Ausbildung, die erst einmal alle Bereiche der Pflege vereint, sollen den Einstieg attraktiver machen.

Ob die Reform wirkt, kann das Bundesfamilienministerium noch nicht sagen. Bundesweite Zahlen für das Schuljahr 2020/2021 liegen noch nicht vor. In Sachsen-Anhalt stieg die Zahl der neuen Azubis im Vergleich zum Vorjahr aber um 11,6 Prozent, in Bayern um zehn Prozent. Doch am Ende wird es nicht nur darum gehen, mehr junge Leute für die Pflegeausbildung zu gewinnen, sondern sie auch zu halten.

Bundesweite Zahlen dazu, wie viele Schülerinnen und Schüler die Pflege-Ausbildung abbrechen, kann das Bundesfamilienministerium nicht nennen - zumindest noch nicht. Für die neue Ausbildung will es künftig erheben, ob diese ohne Prüfung beendet wurde. Erste Daten sollten 2021 nach dem Ende des ersten Ausbildungsjahres vorliegen, sagt ein Ministeriumssprecherin.

Neues Mentorinnen-Programm seit September

Seit Mitte September können sich Pflege-Nachwuchskräfte in Bayern an vier Mentorinnen und Mentoren am Landesamt für Pflege wenden, wenn sie Probleme in der Ausbildung haben. Diese beraten die jungen Leute kostenlos und anonym am Telefon. Einer von ihnen ist Simon Bayer, 34 Jahre, davor Leiter eines Altenheims. Es gehe darum, den Azubis Hilfe zur Selbsthilfe zu geben, sagt Bayer. „Es ist wichtig, dass jemand vom Fach sich Zeit nimmt, um ihnen zu zuhören und einfühlsam mit ihnen in Kontakt zu treten.“

Denn daran mangelt es oft im Alltagsstress in den Einrichtungen, wie Selina Wang selbst schon erfahren hat. Als sie noch in ihrem ersten Lehrjahr war, musste sie vier tote Menschen waschen - und war völlig unvorbereitet. Als sie weinte, erntete sie Kritik. „Nicht alle Kolleginnen und Kollegen hatten Verständnis dafür, dass ich damit echte Probleme hatte“, sagt die 20-Jährige.

Doch oft geht es auch um rein praktische Probleme, wie Bayer berichtet. Kürzlich habe jemand angerufen, der Schwierigkeiten mit dem E-Learning hatte. Oder es gehe um die Arbeitszeiten oder sprachliche Probleme bei Auszubildenden, die aus dem Ausland stammten. Bayer vermittelt den jungen Leuten die richtigen Anlaufstellen, informiert sie über ihre Rechte und stärkt ihnen den Rücken.

„Im beruflichen Alltag wird man manchmal ein bisschen betriebsblind, was die Bedürfnisse der Auszubildenden angeht“, sagt er. „Da können Auszubildende es schwer haben, sich durchzusetzen. Deshalb ist es sinnvoll, wenn sie sich anonym beraten lassen können, ob es richtig ist, was sie da machen.“

Die vier Pflege-Mentorinnen und -Mentoren sind nach Angaben des Landesamtes für Pflege in dieser Form bundesweit einmalig. Doch auch in anderen Bundesländern gibt es dem Bundesfamilienministerium zufolge Angebote, die Ausbildungsabbrüche verhindern sollen. In Nordrhein-Westfalen gebe es eine Ombudsstelle, die bei Streitigkeiten zwischen Azubis und Pflegeeinrichtungen helfen soll, sagte die Ministeriumssprecherin. Auch andere Länder erwägen, eine solche Stelle einzurichten.

Auch Bayer und seine drei Kolleginnen sehen sich nur als ein Baustein, der die Bedingungen für die Pflege-Azubis verbessern soll. „Es muss noch mehr gemacht werden“, sagt Bayer. Dabei sieht er vor allem die Schulen gefragt, die in engem Kontakt mit den jungen Leuten ständen, und die Einrichtungen, die am meisten davon profitierten, wenn es weniger Abbrüche gebe.

Genau deshalb hat das Klinikum Nürnberg vor einem Jahr die Stelle von Ute Dexl geschaffen. 200 Auszubildende hat die Sozialpädagogin und frühere Krankenschwester schon betreut, die mit Problemen zu ihr kamen. Diese seien individuell sehr unterschiedlich, sagt sie. Mal gehe es um schlechte Noten oder Prüfungsangst, mal um Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche oder um eine psychische Krise aufgrund der Belastung.

Und dann kommt der Praxisschock

Seit ihrer Kindheit wollte Selina Wang in einem sozialen Beruf arbeiten. Nach einem Aufenthalt im Krankenhaus stand für sie fest, dass sie Krankenpflegerin werden will. Doch ziemlich schnell kam für sie das, was Barbara Thiessen, Professorin für soziale Arbeit von der Hochschule Landshut, als Praxisschock für die Auszubildenden bezeichnet. „Die sind von Tag eins an als Arbeitskraft eingeplant. Da hat niemand Zeit, ihnen etwas zu erläutern. Und wenn jemand ausfällt, müssen sie einspringen.“

Selina Wang hat Glück. Sie habe eine Familie und Freunde, die sie an schlechten Tagen auffingen, sagt sie. Und trotz des Zeitdrucks und belastender Momente habe sie immer noch ein gutes Gefühl bei ihrer Arbeit. „Ich spüre viel Dankbarkeit und Respekt von den Patienten.“

Doch nicht alle Azubis haben so viel Rückhalt. Diesen versucht Dexl so gut es geht zu helfen. Sie gibt oder organisiert Nachhilfe, spricht mit Ämtern, vermittelt ehrenamtliche Ausbildungsbegleiter oder erarbeitet mit ihren Schützlingen Strategien, wie sie besser lernen oder mit psychischem Stress umgehen können.

„Es gibt immer welche, die aufhören, wo man nichts machen kann“, sagt Dexl. „Bei anderen kann es tatsächlich helfen, wenn wir gemeinsam an Lösungen arbeiten“, sagt Dexl. „Unser Ziel ist, dass möglichst jede und jeder bleiben kann.“

© dpa-infocom, dpa:201204-99-568094/4

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