Vorbehalte Mineralwolle statt Polystyrol zur Dämmung

Bonn · Seit dem verheerenden Hochhausbrand in London vor einem Jahr gibt es große Vorbehalte gegen Dämmung - zu Unrecht, sagen Experten.

 Wird ein Gebäude unter Beachtung aller Bestimmungen zum Brandschutz korrekt gedämmt, besteht keine erhöhte Feuergefahr.

Wird ein Gebäude unter Beachtung aller Bestimmungen zum Brandschutz korrekt gedämmt, besteht keine erhöhte Feuergefahr.

Foto: Kai Remmers

Ein verheerendes Unglück: Am 14. Juni 2017 stand der Grenfell Tower, ein 24-geschossiger Sozialbau im Londoner Stadtteil North Kensington, in Flammen. Das 1974 gebaute und 2015/16 modernisierte Hochhaus brannte weitgehend aus, auch weil sich die Flammen über die wärmegedämmte Fassade rasch ausgebreitet hatte; 71 Menschen starben dabei.

Noch vor der Ursachenermittlung wurde darüber spekuliert, ob nicht die Dämmung Schuld sein könnte. Wie der Spiegel berichtete (4.6.2018), liegt nun ein Bericht der Brandschutzexpertin Barbara Lane für die richterliche Untersuchung vor. Ihr Fazit: Nicht die Dämmung, sondern die Fassadenverkleidung war wohl Schuld an der raschen Ausbreitung des Feuers. Auslöser war ein ein defekter Kühlschrank.

Kaum einen Zweifel gibt es laut Spiegel, "dass die Fassadenverkleidung maßgeblich zu dem Unglück führte". Die Fassade war 2016 mit Platten aus Aluminium und dem Kunststoff Polyethylen verkleidet worden. Laut Barbara Lane habe dies zu "mehreren katastrophalen Brandausbreitungsrouten" geführt.

Auch Sanierungsexperten in der Region haben dies aufmerksam verfolgt. Schließlich hatte der Brand in London eine bestehende Verunsicherung verstärkt. "Die Verbraucher waren für das Thema sensibilisiert, weil wir schon lange vor dem Ereignis in Deutschland über den sogenannten Dämmwahn diskutierten", erinnert sich Celia Schütze, Geschäftsführerin der Bonner Energie Agentur (BEA). Dabei hätten besonders Brände von Wärmedämmverbundsystemen aus Polystyrol dazu geführt, das Dämmen prinzipiell zu hinterfragen. Zu Unrecht, wie Schütze sagt: "Dämmen mit den richtigen Materialen ist weiterhin sinnvoll und für eine Energiewende unverzichtbar."

Zentrales Argument ist Brandschutz

Zentrales Argument der Dämm-Kritiker ist der Brandschutz. Dabei konzentriert sich die Debatte seit Jahren auf Polystyrol-Dämmplatten. Oft wurde ein Zusammenhang zwischen Dämmung und Wohnungsbränden hergestellt. Neue Nahrung bekam die Diskussion durch das Feuer im Grenfell Tower. BEA-Geschäftsführerin Schütze hält dagegen: "Bestimmte Dämmstoffe sind schwer entflammbar, andere sind nicht-brennbar". Reportagen zu Brandschäden in Verbindung mit Wärmedämmverbundsystemen hätten sich oft auf Vorhaben bezogen, die sich noch in der Bauphase befanden. "Die Systeme waren daher noch nicht verputzt und hatten ihre endgültige Funktionstüchtigkeit nicht erreicht."

Werner Eicke-Hennig, Experte für energieeffizientes Bauen, verantwortete die Energiesparkampagne in Hessen und hatte im vergangenen Jahr das deutschlandweite Register von Brandfällen mit Beteiligung von Polystyrol-Wärmedämmverbundsystemen (WDVS) analysiert. Wie die Süddeutsche Zeitung (5.10.2017) berichtete, war Eicke-Hennig zu der Erkenntnis gelangt, dass Gefahren durch Polystyrol-Dämmungen überschätzt werden. Nach seiner Analyse handele es sich bei 57 der 108 ausgewerteten Einträge um Bagatellfälle, an denen das jeweilige Polystyrol-Wärmedämmverbundsystem nicht beteiligt war.

Dennoch weiß Schütze aus Beratungen: "Vielen Verbrauchern bleiben die Bilder der brennenden Gebäude im Kopf, auch die des Grenfell Towers. Da müssen wir oft intensiv aufklären." Etwa über die vielen nicht-brennbaren Dämmstoffe wie zum Beispiel Mineralwolle. Die Vorurteile säßen aber oft tief; es sei schwer, den teils unbegründeten Ängsten rationale Argumente entgegenzuhalten. "Meist hilft es nur, wenn sich ein Hausbesitzer aus einer anderen Motivation heraus für eine Dämmung entscheidet. Etwa weil er sich mehr Komfort wünscht."

Diese Entscheidung haben laut Diplom-Ingenieur Andreas Beckmann aus Troisdorf, Obermeister der Stuckateurinnung Bonn/Rhein-Sieg, viele Kunden nicht bereut: "Auch Jahre später, nachdem Immobilienbesitzer ihr Haus gedämmt hatten, berichten sie mir, wie zufrieden sie mit der Maßnahme sind", sagt Beckmann. "Vor allem loben sie ein wesentlich besseres Raumklima." Er nennt es Wohlfühlklima.

Handwerklich professionell ausgeführt

Damit eine solche Maßnahme prinzipiell gelingt, ist aus seiner Sicht aber nicht allein die Auswahl des richtigen, nicht-brennbaren Dämmmaterials entscheidend. Für Beckmann kommt hinzu: "Dämmen ist nur dann sinnvoll, wenn das Ganze handwerklich professionell ausgeführt wird." Fehlerquellen sind besonders nicht fachgerecht ausgeführte Anschlussdetails im Bereich des Sockels, der Fenster- und Fensterbänke, der Dachüberstände sowie eine mangelhafte Verklebung des Plattenmaterials. Zur Verhinderung des geschossübergreifenden Brandüberschlags seien mittlerweile je nach Bautyp "Brandriegel aus Mineralwolle gesetzlich vorgeschrieben und tägliche Praxis", betont er. Dickschichtsysteme mit mineralischem "Edel-Kratzputz" böten für Jahrzehnte Sicherheit.

Ein weiteres Vorurteil gegen das Dämmen lautet: Häuser müssten atmen. "Das entstammt einem Messfehler, den man bereits vor 150 Jahren machte", stellt Celia Schütze klar: "Inzwischen weiß man längst, dass ein relevanter Luftaustausch nicht durch verputzte Wände erfolgen kann." In unsanierten Altbauten erfolge der Luftaustausch durch das Öffnen der Fenster und unkontrolliert durch Außenfugen oder den Kaminzug.

"Wenn ich dämme, schimmelt es" - eine ebenfalls verbreitete Annahme, die so nicht stimmt: "Schimmel kann immer dann auftreten, wenn sich warme Raumluft an Bauteiloberflächen abkühlt und dadurch die relative Feuchte der Luft stark zunimmt", sagt Expertin Celia Schütze. "Eine Wärmedämmung führt aber dazu, dass sich die Temperaturen der Bauteile auf der Innenseite erhöht." Dadurch werde das Schimmelrisiko sogar gesenkt. Vorsicht sei allerdings immer dann geboten, wenn man die Dichtigkeit eines Gebäudes erhöht und Fugen schließt.

"Ich habe ein denkmalgeschütztes beziehungsweise ein zu altes Haus", ist ein Argument, was ebenfalls oft gegen eine Dämmung ins Feld geführt wird. Dazu sagt Stuckateur Beckmann: "Die einschlägigen Hersteller bieten auch hierzu ein breites Portfolio von Innendämmsystemen an." Mit der Auswahl von Kalzium-Silikat über Holzweichfaser bis zu Mineralschaumplatten könne der Hausbesitzer derweil aus alltagstauglichen Baustoffen auswählen, "um Gutes für die Umwelt und den eigenen Geldbeutel zu tun".

Für Schütze steht fest, dass das Dämmen zu einer effizienten Sanierung gehört. Denn ohne die energetische Gebäudesanierung "klappt die Energiewende nicht, und ohne sie können wir auch unsere Klimaschutzziele nicht erreichen", betont sie. Erst wenn Altbauten deutlich weniger Energie verbrauchen, "kann man den Restbedarf mit erneuerbaren Energien decken", betont sie. Den Energieverbrauch zu senken, funktioniere vor allem über das Dämmen.

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