Interview zur Wiedergabe von Vinyl „Das Beherrschen der Technik ist ein Wert an sich“

Totgesagte leben länger: Die Schallplatte ist längst kein Nischenmarkt mehr, sondern erzielt wieder beeindruckende Verkaufserlöse. Der korrekte Umgang mit ihr setzt aber gewisse Expertise voraus. Was Musikfreunde beim Kauf (und Abspielen) von Vinyl berücksichtigen sollten, verrät der Experte Frank Schröder im Gespräch mit Moritz Rosenkranz.

Kultobjekt:  Vinyl ist so präsent wie lange nicht, in der Werbung, in den Medien und vor allem auf Plattentellern.

Kultobjekt: Vinyl ist so präsent wie lange nicht, in der Werbung, in den Medien und vor allem auf Plattentellern.

Foto: nikkytok - stock.adobe.com/Photographer: Nikita Sobolkov

Herr Schröder, warum werden seit circa 2010 von Jahr zu Jahr mehr Schallplatten verkauft?

Frank Schröder: Zunächst haben Downloads, mittlerweile dann das Streaming die CD verdrängt. Einen Teil des neu zu verteilenden Kuchens hat die Schallplatte bekommen. Anfänglich waren es ältere Semester, die mitunter in den 80ern ihre Plattensammlung weggegeben hatten und auf CD umgestiegen sind. Die sind zur Platte zurückgekehrt. Wer eine sehr große Plattensammlung besaß, ist ohnehin eher beim vertrauten Medium geblieben. Zudem gab es neben der DJ-Kultur immer auch Menschen, die sich nie von der Platte verabschiedet haben, vor allem im Metal- und Hardrock-Bereich, und so zum Überleben des Mediums beigetragen haben. Seit ein paar Jahren kaufen auch verstärkt jüngere Schichten wieder LPs. Vielleicht aber zunächst eher aus Imagegründen, weil die LP als hip gilt und von der Werbung entsprechend instrumentalisiert wird. Das kann dazu führen, dass die Leidenschaft wieder abklingt. Mit zunehmenden finanziellen Möglichkeiten wird ein Teil dieser Gruppe aber die Möglichkeiten des Formats entdecken, in höherwertige Plattenspieler investieren und somit Musik als Genussmittel einen höheren Wert beimessen als dem MP3-basierten musikalischen Fastfood.

Digitaler Klang gilt oft als kühl, der von LPs als warm. Gibt es so etwas wie Vinyl-Sound?

Schröder: Nein. Warm ist ohnehin ein schwammiger Begriff. Ich kann Ihnen einen Plattenspieler zusammenstellen, der klingt knallhart und wie aus Eiskristall gemeißelt. Und ein zweiter dann weich und im Hochtonfrequenzgang eingeschränkt. Die Variationsbreite ist viel höher als bei 20 verschiedenen CD-Playern.

Aber was macht die Vinyl-Wiedergabe dann besonders?

Schröder: Es gibt eine Vielzahl von messtechnischen und hörpsychologischen Untersuchungen, verbunden mit entsprechenden Erklärungsversuchen. Als plausibel gilt, dass einige der Abtastverzerrungen, die beim Abspielen einer LP generiert werden, überwiegend gradzahlige Harmonische aufweisen. Diese werden vom Menschen als weniger störend empfunden, sondern verleihen dem Klangbild einen oft als „warm“ beschriebenen Charakter. Im Gegensatz dazu werden die messtechnisch deutlich geringeren Wiedergabefehler bei niedrig-auflösenden digitalen Quellen für das menschliche Gehör langfristig als unangenehmer, lästiger empfunden. Eine scheinbar marginale Klangveränderung, die man bewusst oft nicht wahrnimmt, die jedoch dazu führen kann, dass Sie nach 15 Minuten Streaming Kopfschmerzen bekommen, aber 4 LPs am Stück durchhören können. Insofern klingt Vinyl statt warm eher angenehmer für unsere Ohren – wenn die Wiedergabe von hoher Qualität ist. Wahr ist aber auch: Eine miese Aufnahme bleibt auch auf dem besten Plattenspieler der Welt eine miese Aufnahme. Das muss man immer berücksichtigen.

Das, was heutzutage auf Vinyl gepresst wird, beruht ja zu mehr als 90 Prozent auf einer digitalen Quelle. Rein analoge Produktionen sind sehr rar. Beeinträchtigt das die Qualität?

Schröder: Konsequente, rein analoge Produktionen sind vier- bis fünfmal so teuer heutzutage, deswegen sind sie so selten. Trotz digitaler Zwischenschritte können dennoch hervorragende Resultate auf Vinyl erzielt werden. Ein hochwertiges digitales Master beinhaltet mehr Informationen, als eine Schallplatte abbilden kann. Ungeachtet dessen, ist die maximale Informationsdichte, welche auf einer Schallplatte unterzubringen ist, extrem hoch. Die schon erwähnten harmonischen Verzerrungen sind zudem eher Bonus als Malus.

Worauf muss ich beim Kauf von Schallplatten achten, damit es zu einem Hörerlebnis kommt?

Schröder: Ich würde immer erst online schauen, ob ich in die Musik reinhören kann. So kann man herausfinden, wieviel Wert Künstler und Produzenten auf eine gute Aufnahmequalität ihrer Musik gelegt haben, ob es total komprimiert oder offen und natürlich klingt. Nur davon auszugehen, dass es toll klingt, weil es eine Vinyl-Schallplatte ist, die ich kaufe, birgt hohes Enttäuschungspotenzial. Zu empfehlen, ausschliesslich bei Label XY oder nur „audiophile“ Platten zu kaufen, die mehr als 50 Euro kosten, wäre totaler Quatsch. Wozu ich rate: Wenn es um ein Album aus Ihrer Jugend geht, Bowie, Beatles oder Bon Jovi, dann suchen Sie online nach einer gut erhaltenen Erstpressung, etwa auf einer Plattform wie Discogs. Die kostet dann vielleicht auch 30 Euro, ist aber in fast allen Fällen einer Nachpressung vorzuziehen. Und zudem hat ein Original nicht nur einen Sammlerwert, sondern dieser steigt oft noch.

Nun habe ich vielleicht noch ein paar alte Platten, eine gute Anlage, aber keinen Plattenspieler. Worauf muss ich beim Kauf achten, um wirklich etwas davon zu haben?

Schröder: Sie brauchen einen kompetenten Fachhändler, der Sie ehrlich berät. Die sind leider rar geworden. Wenn irgend möglich, sollten Sie bei sich zu Hause Probe hören. Ist das gewählte Gerät kostspielig, sollten Sie sich ein Rückgaberecht einräumen lassen. Bei der Vinyl-Wiedergabe spielen viele Parameter eine Rolle. Das hat nicht nur damit zu tun, dass die Anlage in den Räumen des Händlers vielleicht viel besser, auf jeden Fall aber anders klingt, sondern auch damit, dass etwa das Tonabnehmersystem mechanisch zu ihrem Tonarm und elektrisch zu Ihrem Verstärker passen muss.

Das heißt, technische Aspekte spielen eine Rolle, die bei der CD oder bei Streaming irrelevant sind?

Schröder: Exakt. Da müssen Sie im Grunde nur „Play“ drücken. Bei der Kaufentscheidung für einen Plattenspieler spielen nicht nur scheinbar banale Kriterien wie etwa das Design eine Rolle, sondern auch der richtige Umgang mit technischen Parametern und Anforderungen, bis hin zur Justage des Tonabnehmersystems. Der Umstand, dass es nicht jedem sofort möglich ist, damit perfekt umzugehen, stellt gleichzeitig eine Herausforderung dar, die für viele hochattraktiv ist. Das Beherrschen der Technik ist ein Wert an sich. Wenn in anderen digitalen Bereichen etwas nicht funktioniert, sind sie der Technik ausgeliefert. Beim Plattenspieler können Sie in der Regel selbst etwas ändern. Das ist sehr befriedigend.

Wo steht der Plattenspieler ideal?

Schröder: Absolut horizontal an einen unerschütterlichen Ort. Wenn das nicht möglich ist, sollte er elastisch dämpfend entkoppelt werden. Denn der Einfluss externer Schwingungen wie durch Trittschall muss auf ein Minimum reduziert werden, um eine saubere Abtastung zu gewährleisten. Wenn Sie am Plattenspieler vorbeilaufen und die Nadel springt, gibt es Handlungsbedarf.

Ihr Spezialgebiet sind Tonarme. Warum? Was kann ein Tonarm leisten?

Schröder: Er ist zunächst Teil des Plattenspielers, der selbst ein komplexes mechanisches System darstellt. Der Tonarm soll dafür sorgen, dass die Nadel, die sich durch die Rille bewegt, keine zusätzlichen Informationen durch äußere Einflüsse erfährt, denn damit würde das Signal verfälscht werden. Er darf sich nicht zu Resonanzen anregen lassen – und muss dabei das Tonabnehmersystem praktisch reibungsfrei über die gesamte Seite einer LP führen. Dabei erzeugt auch das Tonabnehmersystem durch die Abtastung mechanische Energie. Wie ein Bogen, der über eine Saite streicht. Diese Schwingungen laufen in den Arm wie auch in den Plattenteller. Wenn sie reflektiert und somit wieder gen Tonabnehmer geschickt würden, nähme dieser die Schwingungen zeitverzögert auf und der Klang würde verfälscht. Ein guter Tonarm lässt das nicht zu. Die verschiedenen, teils widersprüchlichen Anforderungen unter einen Hut zu bekommen, ist eine faszinierende Herausforderung.

Abschließend: Was liegt Ihnen persönlich am Herzen, wenn Sie an den Zustand der Musik-Industrie und -Produktion denken?

Schröder: Ich möchte daran appellieren, junge oder kleine Bands dadurch zu unterstützen, dass man

die Schallplatten bei ihnen direkt kauft, ob auf Konzerten oder online. Die großen Künstler leben gut von Streams. Die kleinen nicht. Auch für ungewöhnliche Klassik- oder Jazzprojekte ist Vinyl – neben Konzerten – eine der wenigen Möglichkeiten, überhaupt noch Geld zu verdienen.

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