16 kostbare Knochen reisen im Alu-Koffer

Wissenschaftler untersuchen erneut das Skelett des Neandertalers aus dem Rheinischen Landesmuseum in Bonn

  Millimeterarbeit:  Professor Christoph P. E. Zollikofer prüft, ob die Oberschenkelknochen des Neandertalers richtig platziert sind. Der Schlitten fährt anschließend in den Computertomographen und wird dort Kubikmillimeter für Kubikmillimeter durchleuchtet.

Millimeterarbeit: Professor Christoph P. E. Zollikofer prüft, ob die Oberschenkelknochen des Neandertalers richtig platziert sind. Der Schlitten fährt anschließend in den Computertomographen und wird dort Kubikmillimeter für Kubikmillimeter durchleuchtet.

Foto: Vollrath

Bonn. Auf die Titelseite eines Beauty-Magazins würde es der Altmensch aufgrund markanter Überaugenwülste, einer leicht gedrungenen und robusten Gestalt sowie seiner fliehenden Stirn wohl kaum schaffen: zu unattraktiv, zu primitiv. Vorurteile, mit denen sich der rund 40 000 Jahre alte Neandertaler seit seiner Entdeckung 1856 herumschlagen muss - auch, wenn er längst ausgestorben ist.

Schützenhilfe bekommt der verkannte Mensch nun von dem Ur- und Frühgeschichtler Ralf W. Schmitz von der Universität Tübingen, der seit 1991 das berühmte Neandertaler-Skelett des Rheinischen Landesmuseums Bonn innerhalb eines Forschungsprojektes mit modernen Verfahren neu untersucht. Erster Höhepunkt der Untersuchungen an dem ungewöhnlichen Patienten war am Mittwoch eine Computertomographie im RheinAhrCampus in Remagen.

Sie soll klären, ob der "Ur-Rheinländer", auf den einst italienische Kalksteinarbeiter im Neandertal bei Düsseldorf stießen, in Wahrheit ein "einfühlsames, intelligentes, soziales Individuum" war. Das glaubt zumindest Schmitz, der sich optimistisch gibt, seine These innerhalb des nächsten halben Jahres zu beweisen.

Schmitz` Hoffnungen lassen sich dabei äußerst genau lokalisieren. Sie gründen auf einer Bruchverletzung im Bereich des linken Ellbogengelenks, die vermutlich eine lebenslange starke Behinderung des "Homo sapiens neanderthalensis" nach sich zog, der nur durch die Fürsorge seines Clans überleben konnte.

Schmitz: "Das ist eines der spannendsten und aktuellsten Themen in der Neandertaler-Forschung." Schließlich muss sein Forschungsobjekt nicht nur direkt nach der Verletzung gepflegt, sondern auch später durch die Mitglieder der Gruppe versorgt worden sein. Und zwar über Jahre hinweg: "Es kristallisiert sich immer mehr heraus, dass er sich den Arm in seiner Jugend gebrochen hat und damit noch mindestens 20 Jahre bei einem geschätzten Alter von 45 lebte."

Zudem wurde zur damaligen Zeit mit zweieinhalb Meter langen, hölzernen Stoßlanzen gejagt. "Da brauchte man schon eine gute, intakte Physis." Von einem Primitiven könne nicht die Rede sein. Dagegen sprechen auch ähnliche Funde von schwer verletzten Neandertalern in Frankreich und im Irak - weltweit gibt es rund 300 Fundstellen. "Das ist eine der wenigen Lichtblicke, die wir für diese Zeit haben. Es gibt kaum Hinweise und auch keine schriftlichen Quellen", unterstreicht Schmitz die Bedeutung der Untersuchung.

Ein Werttransporter chauffierte die 16 kostbaren Knochen von Bonn nach Remagen - inklusive Schädelkalotte und Rippenfragmente. Umwickelt mit säurefreiem Papier und stoßfrei in Schaumstoffpaletten gebettet, finden die Überreste des Neandertalers in einem Alu-Koffer Platz. Nur mit Handschuhen berühren die Fachleute, angeführt von Schmitz, die Einzelteile und drapieren sie auf dem so genannten Schlitten für die Computertomographie.

Ein Vorteil der speziellen Röntgenuntersuchung ist neben detaillierteren Bildern auch eine lückenlose dreidimensionale Rekonstruktion. "Mit der Computertomographie erzeugen wir Kubikmillimeter für Kubikmillimeter eine virtuelle Eins-zu-Eins-Kopie des Neandertalers", sagt der beteiligte Zürcher Anthropologe Christoph P. E. Zollikofer. Zur Schonung des Originals könnten die weiteren Untersuchungen am Bildschirm erfolgen und "diese Sicherungskopie in einem Tresor aufbewahrt werden".

Gefordert ist in diesem Zusammenhang auch die Arbeitsgruppe "Holografie und Lasertechnologie" um Leiter Peter Hering am Bonner Forschungszentrum Caesar. Sie sollen vom Neandertaler-Skelett dreidimensionale Computermodelle und Tageslichthologramme für den Museumsbetrieb entwickeln. Erster Termin dafür ist am Donnerstag.

Alle Ergebnisse sollen 2006 zum 150. Jubiläum des Erstfundes in die Urmenschen-Ausstellung "Roots - Wurzeln der Menschheit" im Rheinischen Landesmuseum einfließen.

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