Kloster Heisterbach Achthundert Jahre in zwei Stunden

Ob ein Ort heilig ist oder profan, hängt nur daran, in welchem Geiste man sich ihm naht. Das wussten die Zisterziensermönche, als sie aus einem sumpfigen Tal eine Heimstatt des Glaubens und der Gelehrsamkeit machten. Auch der Ausflügler darf dran denken, wenn er neben der Landstraße aus dem Auto steigt.

 Drei von 143: Grabsteine auf dem Friedhof der "Cellitinnen", die von 1919 bis 2009 auf dem Gelände der früheren Zisterzienserabtei Heisterbach lebten und beteten.

Drei von 143: Grabsteine auf dem Friedhof der "Cellitinnen", die von 1919 bis 2009 auf dem Gelände der früheren Zisterzienserabtei Heisterbach lebten und beteten.

Foto: Frank Homann

Egal, dass auf den Parkplatz hundert Gefährte passen. Egal, dass hinter den alten Mauern die Gegenwart fröhliche Urständ feiert, im "Haus Heisterbach" eine Schlandfahne hängt und das nahe Ausflugslokal durchweg Alltagskost bietet. Schnitzel klassisch, 8,50 Euro. König-Ludwig-Weißbier alkoholfrei, 3,50 Euro. Alles lecker, aber egal.

"Mystik" kommt vom griechischen "myein" - das bedeutet: nach innen blicken. Die Fantasie reißt sich von der Leine und galoppiert los. Warum führt nahe der Madonna mit Glühbirnenkranz eine Treppe unter die Erde? Und die drei kniehohen Steine daneben - sind das nicht keltische Runensteine? Und erst dort vorne, die winzige Tür in der Mauer!

Sie soll an die Legende des "Mönchs von Heisterbach" erinnern, der im Wald darüber nachsann, dass vor Gott "tausend Jahre wie ein Tag" sind, nach durchträumten Stunden zurückkehrte - und feststellte, dass 300 Jahre vergangen waren. Wem diese Lieblingssage des Siebengebirges nicht sofort einfällt, der darf auch an die Narnia-Romane des christlichen Fantasyautors Clive Staples Lewis denken: Der stammte aus Irland und wusste, dass die Andere Welt immer nur wenige Zentimeter entfernt ist.

Hinter dem Türchen wartet diese verwunschene Welt. Sumpf statt Parklandschaft, Trampelpfad statt Kiesweg; tief unten in einem Brunnenschacht plätschert das Wasser, das nebenan die Klostergartenteiche füllt. Wasser, mit dem alle Kultur beginnt - wie vor 822 Jahren, als die Mönche des heiligen Bernhard ins Heister-Tal herabstiegen, ins "Tal der Buchen".

Wieder durchs Türchen zurück in den Park: Nur ein paar Schritte weiter liegt der Friedhof der "Genossenschaft der Cellitinnen". Als die frommen Männer schon lange Geschichte waren, versuchten es diese frommen Frauen noch einmal, im Tal der Buchen ein Kloster zu gründen; auch von ihnen sind nur Gräber zurückgeblieben.

143 Gräber in acht Reihen, beginnend mit Schwester Gemma (geboren 1893), endend mit Schwester Corneliana (gestorben 1997). Namen wie aus dem Märchenbuch, als sei das Klosterleben eine exotische, fremde Kultur: Paskalina, Tharasia, Totnana, Celedonia. Vor ihren bürgerlichen Familiennamen steht ein "geb." - weil eine Klosterfrau "mit dem Herrn verheiratet" ist.

Der Kontrast zwischen altem und neuem Leben der Schwestern könnte größer nicht sein. Maria Honofria, geborene Hüwel. Maria Salesiana, geborene Fischedick. Maria Eobana, geborene Schneider. Schriftsteller fänden hier Stoff für ganze Bibliotheken voller Klosterromane. Schwester Maria Willigis, geborene Wiedenhöfer (1900-1988) - warum liegt ihr Grab ein wenig abseits von den anderen? Wer hat für die schon lange tote Schwester Maria Euphemia (1903-1980) eine Kerze aufgestellt? Warum sind die im Herrn Verstorbenen nach dem Tode nicht alle gleich - warum gibt es für die Oberinnen des Ordens eine prunkvolle Vierfach-Grabplatte?

Und, ja, dann ist da auch noch die monumentale Chorruine. Oft, vielleicht zu oft fotografiert - sogar die Wartehäuschen an der Bushaltestelle zeigen die drei Etagen mit ihren Säulen und Fenstern und Rundbögen und Seitenkapellen. Der letzte Rest der alten Zisterzienserabtei ist eigentlich eine Schöpfung der Neuzeit, mit modernen Ziegelsteinen aufgemauert, mit modernem Blechdach gedeckt, gesichert nach allen Vorschriften der Baugesetzgebung.

Und trotzdem: Dieses Denkmal ist immer noch schön. Und dahinter wartet sogar noch ein weiteres Feldchen Geschichte: Elf teils in der Erde versunkene Grabkreuze der "Lohnpächter" der Mönche. "Obiit" ("ist verstorben") lässt sich auf einem noch gerade so lesen. Zwei andere sind in unbeholfenem Rheinisch beschriftet. "Anno 1700 starp der ehrsamr Meister Peter Schlösser", und "Anno 1731 starb der ehrsame Iacobus Mertzbach, alt 39, Fasbentr zu Heisterbag".

Ob Mönch, ob Nonne, ob Handwerksmeister - die Jahre haben fast alle Erinnerung verschlungen. Die Pfeilersockel der Klosterruine lassen sich trefflich als Sitzbank nutzen, um es dem Mönch aus der Legende gleichzutun und über den Lauf der Zeit nachzudenken. Über die Bäume etwa, die zwischen den nachgezeichneten Resten der alten Mauern wachsen. Eiben und Ahorn, Eschen und Kastanien - hübsche Natur und Symbol zugleich.

Begann nicht die Geschichte des Christentums in Deutschland mit der tollkühn-wütenden Tat des heiligen Bonifatius, der einen dem Germanengott Donar geweihten Baum abhackte? Heute ist es andersherum: Die Klöster schließen, der Glaube welkt dahin, und hinter dem Türchen des träumenden Mönchs macht sich wieder die Wildnis breit. Wenn die Menschheit einfach verschwände - dann würde sich (wenn man der Wissenschaft glauben darf) ganz Deutschland binnen kurzer Zeit wieder in einen einzigen, riesigen Buchenwald zurückverwandeln.

Im Tal der Heister-Bäume macht demütig, wie die Zeit des Ewigen über das menschliche Rühmen und Trachten hinweggeht. Auf dem Friedhof der Cellitinnen bleibt die oberste Reihe leer. Längst verwittert ist das Wappen am Mausoleum der Grafen zu Lippe, denen der Klostergarten rund 100 Jahre lang gehörte.

Kaum noch lesbar auch die Grabplatte des Generalleutnants Curt von Hobe von der fünfzehnten Division: Ruhm und Zeitgeschmack des Königreichs Preußen sind verweht, und was von Hobes Kameraden ihm "als Zeichen treuer Achtung" im Jahre 1825 errichteten, wirkt mit seinem Strauß aus Schiefersäulen auf den heutigen Betrachter nur mehr wie eine übergroße Ananas.

Wenn man nach zwei Stunden durchfantasierter Zeit die schwere grüne Holzpforte mit dem winzigen Kreuz auf der Klinke hinter sich zuzieht, ist die Geräuschkulisse der vorbeirauschenden Autos nicht lauter als zuvor. Und doch ist man wieder zurück in einer anderen Welt.

Diese andere Welt ist die unsrige. Wir, die wir die Erlebnisse ganzer Jahre in einen Urlaub von drei Wochen zu zwängen suchen, oder ein ganzes ekstatisches Leben in einen einzigen Samstagabend - wir alle sind wie der namenlose Mönch von Heisterbach, der das Wirken der Zeit nicht hätte vergessen sollen. Das zu erkennen: Auch das ist Mystik.

Kloster Heisterbach

Kloster Heisterbach, Heisterbacher Straße, Königswinter. ÖPNV: Mit der Bahn nach Niederdollendorf oder mit Stadtbahn 66 nach Oberkassel. Dort in den Bus 520 nach Oberpleis (wochentags alle 20 Minuten, samstags alle 30, sonntags alle 60).

Zehntscheune mit Ausstellung zur Geschichte von Kloster und Orden: Mai bis Oktober sonntags 14.30-16.30 Uhr geöffnet, Eintritt frei. Führung wochentags 10-11.30, 14-15.30 Uhr oder nach Vereinbarung (Tel. 02223/700737), fünf Euro pro Person, Kinder/Schulklassen frei.

  • Messfeiern in der Kirche der Cellitinnen: sonntags um 9.45 Uhr, montags/donnerstags um 18 Uhr, dienstags/freitags um 7.30 Uhr und samstags um 8.15 Uhr.
  • Klosterstube: geöffnet täglich 11.30-18 Uhr, Tel. 02223/702174.
  • Internetseite: www.abtei-heisterbach.de
  • Zisterzienser heute: Einen Eindruck, wie das Kloster Heisterbach ausgesehen haben mag, gibt die noch existierende Abtei Marienstatt bei Hachenburg im Westerwald - sie wurde 1215 von Heisterbach aus gegründet. Mehr unter www.abtei-marienstatt.de
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