24-Stunden-Rennen Mit dem Abschlepper auf der Nordschleife
Exklusiv | Nürburg · Während der Abschleppwagen mit Tempo 60 über die Nordschleife fährt, fliegen die Rennwagen mit drei- oder vierfacher Geschwindigkeit vorbei. Wie es sich anfühlt, ein „stehendes Hindernis“ zu sein, erzählen Michael Krupp und Kollegen. Der General-Anzeiger war exklusiv mit ihnen beim 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring unterwegs.
Krächzend meldet sich der Funk: „Schlepper 1 für Race Control.“ Aus der lockeren Atmosphäre vor Tribüne 13 wird schnell konzentrierte Anspannung. Jan lauscht noch dem Funk, während er schon die Tür seines gelben Abschlepp-Lkws öffnet. Mit einem Satz springt er hinter das Steuer und startet das schwere Fahrzeug. Dann fährt der 53-Jährige vor, hält am Ende der Leitplanke und wartet. Fertig zum Einsatz auf der Nordschleife.
Jan ist einer von 15 Männern und Frauen, die für den Abschleppdienst von Michael Krupp an diesem Wochenende beim 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring im Einsatz sind. „Ich bin seit zwölf Jahren als Abschlepper am Nürburgring dabei. Und es macht mir extrem viel Spaß. Die Nordschleife mit ihrer Faszination ist einfach aus jeder Perspektive ein richtiges Erlebnis“, sagt er. Dabei war es reiner Zufall, dass er an den Job kam, den er in seiner Freizeit nebenbei ausübt. „Ich hatte einen Lkw-Führerschein gemacht und brauchte Fahrpraxis“, erklärt er. Also habe er beim Abschleppunternehmen angefragt, ob er aushelfen könne. „Kurze Zeit später stand ich dann an der Nordschleife. Als ich gefragt hatte, hatte ich noch keine Ahnung, dass die Firma hier am Ring bei Rennen arbeitet.“ Zuerst arbeitete Jan als zweiter Mann auf dem Wagen, später war er soweit, dass er neben einem erfahrenen Kollegen das Steuer übernehmen und sich langsam an die Strecke und die Gegebenheiten gewöhnen konnte. Heute gibt er seine Erfahrung an die jungen Kollegen weiter.
Derweil ist ein Begleitfahrzeug, ein sogenanntes Intervention Car, vorgefahren, das Jan bei seiner Tour über die Strecke begleiten wird. Und während der Lkw langsam auf die Nordschleife einbiegt, um dann während des laufenden Rennens auf Tempo 60 zu beschleunigen, fädelt der weiße Audi unter gelbem Warnlicht hinter dem Abschlepper ein. „Wir achten darauf, dass wir tunlichst rechts fahren. Das Wichtigste ist die Sicherheit für einen selbst und die anderen Teilnehmer. Dafür gibt es Flaggensignale durch die Streckenposten und natürlich den Funk. Es darf einfach nichts passieren“, erklärt Jan. Ständig sieht er mit einem Auge in den Rückspiegel. „Denn alles, was von hinten kommt, ist deutlich schneller. Und bei den Geschwindigkeitsunterschieden und den vielen Kurven bin ich für die Rennfahrer im Prinzip ein stehendes Hindernis.“ Man müsse sich bei jeder Runde extrem konzentrieren. „Das ist nicht wie Autobahn fahren, wo man mal einen Moment durchatmen und eine Hand vom Lenker nehmen kann. Das ist hier nicht möglich.“
An der Unfallstelle angekommen, ist diese in der Regel schon soweit vorbereitet und gesichert, dass die Abschlepper sich auf die Bergung konzentrieren können. Und die ist bei den modernen Fahrzeugen meist relativ unkompliziert. Denn viele Rennwagen haben sogenannte Verladebuchsen am Auto. In diese können Steckbolzen geschoben und Seile daran befestigt werden.
Dann läuft alles ziemlich routiniert. Jan fährt eine der Stützen zur Standsicherung am Abschlepp-Lkw aus. Dann manövriert er den Kran, an dem eine silberne Bergetraverse hängt, über den Rennwagen. Zwei Helfer aus der sogenannten DMSB-Staffel (Deutscher Motor Sport Bund), einer schnellen Eingreiftruppe für die Sicherheit an der Rennstrecke, befestigen die Seile an der Stange, und schon lässt Jan das Fahrzeug in Richtung Abschlepper schweben und setzt es sanft auf der Ladefläche ab.
Aber: „Es gibt keine Standardsituationen, jeder Einsatz ist anders“, sagt er. Als weitere Varianten können die Seile für den Kran auch an den Rädern beziehungsweise am Käfig des Autos, sprich der Fahrerkabine, angebracht werden. Zudem kann der Rennwagen alternativ auch per Seilwinde auf den Lkw gezogen werden. „Das dauert aber meist länger und ist deswegen nicht die bevorzugte Variante. Wichtig ist auf jeden Fall, dass das Fahrzeug nicht beschädigt wird“, erläutert der 53-jährige Abschlepper. Und sein Chef Michael Krupp fügt an: „Wir können in der Regel alles verladen. Auch wenn es manchmal länger dauert, aber irgendwie bekommen wir die Autos immer weg. Geht nicht, gibt es nicht.“
Die havarierten Autos werden dann ins Fahrerlager gebracht, wo die technischen Kommissare entscheiden, ob ein Auto weiter am Rennen teilnehmen darf oder ob es ausscheiden muss. Dorthin ist nun auch Jan mit seiner Fracht unterwegs, als es plötzlich vor Tribüne 13 bei den Abschleppern unruhig wird. Krupp läuft zum Fernseher, wo der heftige Einschlag des Grello-Porsches aus dem Team Manthey mit Laurens Vanthoor am Steuer zu sehen ist. Das Auto mit der Nummer 1, der Vorjahressieger. Und das direkt um die Ecke, am Tiergarten. Sofort hören alle aufmerksam den Funk, es herrscht ansonsten Stille. Auch Jan hört unterwegs den Funk. Dann das Signal: Der 53-jährige Abschlepper fährt nach dem Abladen im Fahrerlager sofort weiter, soll den Porsche dann am Tiergarten aufladen. In wenigen Minuten ist der Wagen auf der Bühne, schnell sammeln sich am Streckenrand die Schaulustigen um den gelben Lkw. Eine Plane schützt den Porsche vor aufmerksamen Blicken.

Unterwegs mit dem Abschleppdienst auf der Nordschleife
Wie oft Michael Krupp und sein Team an einem Rennwochenende im Einsatz sind, ist sehr unterschiedlich. Mal passiert viel, mal wenig. Aber eigentlich nie nichts. Auch gebe es gefühlt ein paar Unfallschwerpunkte, „die sich über die Jahre aber verlagern“, sagt Jan. „Ich kann aber nicht sagen, warum. Es gab Phasen, da war viel in der Aremberg-Kurve und am Brünnchen, aktuell passiert aus meiner Wahrnehmung immer viel unten im Bereich Kesselchen und Klostertal, weniger dagegen am Flugplatz.“
Während des Rennens sind die Abschleppwagen immer mit einem Fahrer und einem Beifahrer unterwegs. „Das ist auch vom Veranstalter gefordert, damit es möglichst schnell geht und die Strecke wieder frei ist“, so Krupp weiter.
Eindrücke vom 24-Stunden-Rennen am Nürburgring
Für Jan geht es nun, mit dem berühmten Porsche auf der Ladefläche, zurück ins Fahrerlager. Und auch wenn die volle Konzentration weiter der Strecke und dem Rückspiegel gilt – ein wenig von der Atmosphäre bekommt der 53-Jährige dennoch mit. Dass die Fans jetzt wieder dabei sein dürfen, sei einfach schön, findet Jan. „Ich muss jedes Mal grinsen, wenn ich hier mit dem Abschlepper über die Nordschleife fahre. Die Aussicht ist perfekt, man sitzt einen Meter höher als alle anderen, kann über die Leitplanke drüber schauen, die Fans sehen. Die Streckenposten und die Zuschauer winken einem zu. Das tut einfach gut. Ich hoffe, dass ich noch lange die Möglichkeit habe, hier den Abschleppwagen zu fahren.“