Kreative Aktion in Altenahr Kunstausstellung zeigt Schönes in Ruinen

Altenahr · In Altenahr ist ein ganzes Dorf zum Museum geworden. Hier soll in den Ruinen der Flut des vergangenen Jahres trotzdem noch Schönes gezeigt werden.

 Ein Mutspender für Betroffene und eine Inspiration für Besucher: Künstlerin Margarete Gebauer (2.v.l.) aus Bad Bodendorf präsentiert ihre Kunst-Installationen in Altenahr.

Ein Mutspender für Betroffene und eine Inspiration für Besucher: Künstlerin Margarete Gebauer (2.v.l.) aus Bad Bodendorf präsentiert ihre Kunst-Installationen in Altenahr.

Foto: ahr-foto

Mit „Ein Dorf wird zum Museum“ ist ein Projekt für Altenahr überschrieben. Soweit darf es nicht kommen, weder dort noch sonst wo im Ahrtal. So mühsam auch der Aufbau in der Flutregion gerät, regt sich doch in allen Orten Leben, das keiner gegen eine museale Wirklichkeit eintauschen möchte. Aber Entwarnung – niemand hat die Absicht, von der Mündung an ahraufwärts ein Freilichtmuseum zu errichten und damit Fluss und Siedlungen rein zur Anschauung eines „Trauma-Tals“ zu degradieren. Ermöglicht durch die Stiftung Kultur Rheinland-Pfalz und den Helfer-Stab, will die Freiluftausstellung „werk&tal“ vielmehr bis Ende Oktober auf Hauswänden und in den Flutruinen Kunst zeigen, die Vorstellungen der Tal-Bewohner spiegeln. Berliner Künstler schufen bereits „ein Fantasiegerüst“, in dem Besucher ihre Zukunftswünsche formulierten.

Künstlerisch entsteht aus der Sehnsucht neuer Mut

Zurzeit ist Margarete Gebauer aus Bad Bodendorf mit ihrer Installation im ehemaligen Gastraum des Cafés Caspari eingezogen. Andrea Babic, mit ihrer Schwester Inhaberin von Café- und Restaurant-Hotel Caspari, sagt: „Das Projektziel, etwas Schönes in Ruinen zu bringen, ist im Grunde das, was wir selbst sagen, fühlen, empfinden. Nach der ersten Schockphase sehen wir die Flut als Chance, etwas Neues entstehen zu lassen.“ Völlig anders und nachhaltig soll der Gastronomiebetrieb der dritten Generation aus der Katastrophe hervorgehen.

Gebauer bespielt einstweilen den entkernten Raum. Wo einst die Kuchentheke, Tische und Stühle standen, kontrastieren inmitten nackter Wände nun „Mut“ und „Sehnsucht“ als neonfarbene Schriftzüge mit Liegestühlen, heimeligen alten Stehlampen und einem Bergsteigerseil zwischen geöffneten Koffern. Die Koffer markieren den Aufbruch. „Aus der Sehnsucht entsteht der Mut dazu“, so die Künstlerin. Vom Neffen hat sie sich das Kletterseil geliehen, „weil der Aufbruch auch anstrengend ist“.

Touristen spenden Betroffenen Zuversicht

Seit über einem Jahr zieht sich die Anstrengung durch den veränderten Alltag der Menschen im Flutgebiet. Da ist jede Unterstützung willkommen. Gebauer, die durch Wasser und Schlamm selbst viele ihrer Werke einbüßte, versammelt Beistand in Form positiver Gedanken. Sie weiß von den Gästen im Tal, „dass sie den Bewohnern etwas sagen wollen“. Deshalb appelliert sie an die Touristen: „Schenke den Menschen im Ahrtal dein Wort.“ Und als Künstlerin wünscht sie sich: „Sei kreativ dabei.“

Viele lassen sich das nicht zweimal sagen. Stift und Papier liegen bereit. Am Boden sieht man liebevoll gestaltete Postkartenformate. Farbig und zeichnerisch sorgsam eingebettet steht „Glück“ darauf, auch „Freude“, „Zuversicht“, „Lebensfreude“. Jemand mahnt, die Zögerlichen nicht zu vergessen: „Ungewissheit schärft manchmal auch den Blick.“ Ein Kind schrieb, „das Ahrtal soll wieder schön werden“ und fügte eine Sonne und 65 Ausrufezeichen hinzu.

Besucher halten dem Ahrtal die Treue

Ob auch an diesem regnerischen Tag Gäste auf die bewirtschaftete Terrasse finden, wo Babics feine Torten, Kaffee, Wein und Bier sie erwarten? Andrea und Carsten Hensch aus Köln und Dortmund sind sogar Wiederholungstäter. Vor zwei Wochen waren sie bereits zum Weinfest im Ort, wohin es sie erneut zog, „um das Ahrtal weiter zu unterstützen“. Mehr als irritiert trifft mit dem Kommentar „Oh la la la la“ dann ein Mann ein, der offenbar als Stammgast die neue bauliche Situation nicht mit dem gewohnten Bild zusammenbringt. Kurz darauf springt Babics Sohn Paul im Fußballdress aus dem Auto, um Mama stolz das Sechs-zu-drei-Spielergebnis und seinen eigenen Torerfolg zu verkünden. Sie umarmt ihn und erlaubt, dass er bei seinem Kumpel vom gerade eröffneten Bed-and- Breakfast-Haus „Enjoy“ übernachten darf.

Zwei Paare treffen ein, Wilfried und Gerda aus Heinsberg mit Helga und Thomas aus Norddeutschland. „Wir besuchen uns seit 42 Jahren“, sagt Wilfried. Solange hält die Freundschaft, seit sich die Männer, beide Elektromeister, in Oldenburg kennenlernten. Vor Jahren schon zu Gast im Tal, kehren sie nun gemeinsam wieder und finden Gefallen an der Kunstaktion. Martin und Bärbel Schwarz aus dem Landkreis Stade geht es genauso. „Die Eltern sind schon in den 70er Jahren nach Altenahr gekommen und wir haben das fortgeführt“, ist von ihnen zu hören.

Weitere Gäste stärken sich auf der Terrasse und begeben sich gerne in Gebauers Kunstraum, wo sie auch das Gespräch über die immer noch unglaubliche Flut suchen. Ihnen ist wichtig, nicht als Eindringlinge wahrgenommen zu werden. Und die Einheimischen versichern, wie wichtig ihr Besuch für das Tal ist. Plötzlich zieht ein Autokorso mit Brautpaar hupend am Café vorbei. „Das ist die Hochzeit unseres Kochs und unserer Küchenhilfe“, erklärt Babic. „Die 14. Hochzeit aus dem Haus Caspari, von Menschen, die zum Arbeiten kamen und sich lieben lernten.“ Allein dieser Nachmittag zeigt, Altenahr ist kein Museum, sondern eine Gemeinde mit Zukunft.

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