Thema Reichspogromnacht Gästeführer schreibt Geschichte über die Rettung der Synagoge in Ahrweiler

Ahrweiler · Als Gästeführer wurde er immer wieder zur Geschichte der Synagoge in Ahrweiler befragt. Das, was er in den Jahren an harten Fakten recherchieren konnte, hat er nun in einer Kurzgeschichte zusammengeschrieben. Was offen bleibt: Wie groß war der Anteil der Feuerwehr bei der Rettung der jüdischen Einrichtung?

Ahrweiler: Gästeführer schreibt Geschichte über die Synagoge
Foto: Anton Simons

Im Auftrag des Ahrtal-Tourismus führt Franz Scholles seit 2016 regelmäßig Gäste durch die Straßen der Innenstadt von Ahrweiler. Dabei legt der Berufsschullehrer im Ruhestand immer auch einen Zwischenstopp an der ehemaligen Synagoge ein. „Dort habe ich mich stets gefragt, warum diese Synagoge in der Reichspogromnacht als eine der wenigen in der Region nicht zerstört wurde“, sagt er. Aus seiner Sicht klafft an dieser Stelle eine empfindliche Lücke in der lokalen Geschichtsschreibung.

Diese Lücke hat Scholles nun mit einer Kurzgeschichte gefüllt, die beschreibt, wie der Morgen des 10. Novembers 1938 in Ahrweiler hätte abgelaufen sein können. Dann reichte er seine kleine Erzählung bei einem literarischen Wettbewerb mit dem Titel „Bild sucht Text“ ein, an dem sich 150 Autoren aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden beteiligten. Scholles Text, in dessen Mittelpunkt ein mutiger Feuerwehrmann steht, kam bei den Juroren so gut an, dass sie ihn in die jetzt veröffentlichte Anthologie „Zeitwellen“ aufnahmen.

So viel ist klar: SA-Männer zerschmetterten am Morgen des 10. Novembers 1938 die Fenster der an der Altenbaustraße in Ahrweiler stehenden Synagoge, drangen in das Gebäude ein, warfen die Bänke um, packten sich Kultgegenstände, Bücher und Schriftstücke und trugen sie nach draußen, um sie dort auf einen Haufen zu werfen und anzuzünden. In der Volksschule gegenüber hat der Unterricht gerade begonnen; wegen der Unruhe draußen wird er aber unterbrochen. Und ein Lehrer soll angesichts der brennenden Synagoge gerufen haben: „Das ist der schönste Tag in meinem Leben!“

Scholles recherchierte auch in Berliner Archiven

Recherchen vor Ort in Ahrweiler, in der Dienststelle Berlin-Lichterfelde des Bundesarchivs und bei Rolf Schamberger, dem Leiter des Deutschen Feuerwehrmuseums in Fulda, brachten Scholles keine Antwort auf die Fragen, warum die Synagoge nicht niederbrannte und wie sich die örtliche Feuerwehr verhielt, deren Gerätehaus und Unterkunft sich damals im Rodderhof befanden, nur 150 Meter entfernt von der Synagoge. Von Schamberger erfuhr Franz Scholles immerhin: Das Spektrum des Verhaltens der örtlichen Feuerwehren reichte in der Pogromnacht und am folgenden Vormittag „von der aktiven Beteiligung an der verbrecherischen Brandstiftung von jüdischen Gotteshäusern, über das passive, lediglich auf den Schutz der umgebenden Bebauung beschränkten Verhalten bis hin zu Einzelfällen des Hinwegsetzens über das polizeilich angeordnete Löschverbot.“

Scholles schließt nicht aus, dass die Ahrweiler Feuerwehr „zu den Einzelfällen des Hinwegsetzens über das polizeilich angeordnete Löschverbot gehört.“ Er habe dazu, wie er sagt, „einige Indizien und Zeugenaussagen zusammengetragen.“ Nach Angaben eines inzwischen verstorbenen Feuerwehrmanns, der damals bei dem Einsatz an der Ahrweiler Synagoge mit dabei war, sollen beim Anrücken der SA-Leute bereits Schläuche vor der Synagoge gelegen haben. Ein inzwischen ebenfalls verstorbener weiterer Zeitzeuge sagte einmal, die Feuerwehr sei bereits an der Synagoge gewesen, als der Lastwagen mit den SA-Männern hielt. In dieses Bild passe die Aussage eines Besuchers, der einer Gästeführer-Kollegin von Scholles einmal sagte, die Feuerwehr von Ahrweiler habe die Synagoge „gegen den Befehl des Führers gelöscht.“

SA, SS und NSDAP hatten nämlich angeordnet, dass Synagogenbrände nicht zu löschen, aber Schäden an deutschem Volkseigentum in der Nachbarschaft zu verhindern seien. Weil die Synagoge von Ahrweiler keinen unmittelbaren Kontakt zu Nachbargebäuden hat, sondern ringsum frei steht, wäre es in Ahrweiler kein Problem gewesen, die Nachbarhäuser zu schützen. Dass die Synagoge trotzdem nicht abbrannte, wertet Scholles als weiteres Indiz dafür, dass die Feuerwehr den Brand in einem frühen Stadium löschte.

„Aus der Sicht von NSDAP-Leitung, SA und SS muss es damals eine Blamage gewesen sein, dass es in Ahrweiler nicht gelang, die Synagoge einzuäschern", vermutet Scholles weiter; denn 98 Prozent der Synagogen im Deutschen Reich seien damals zerstört worden. Deshalb sei „zu erwarten gewesen, dass die Feuerwehrkameraden aus Ahrweiler Sanktionen der unterschiedlichsten Art erleiden mussten“, so Scholles. Die Rettung der Synagoge sei deshalb aus heutiger Sicht „eine Heldentat“.

Franz Scholles will weiter an dem Thema forschen. Deshalb bittet er alle Bürger, die nähere Informationen zum Brand und den Löscharbeiten am Morgen des 10. Novembers 1938 haben, sich an ihn zu wenden. Seine Kontaktdaten sind ☏ 02 64 1 / 90 77 71 7, oder E-Mail: franzscholles@aol.com.

Zum Buch: Franz Scholles: „Gesichtslos“, in: Annette Kipnowski/Burkhard Schwering (Hrsg.): „Zeitwellen - Anthologie Bild und Text“, 2022, Books on Demand, 248 Seiten, S. 227-231, ISBN: 9783756814749, 23,99/9,49 Euro.

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