Treibgut bereitet weiterhin Sorge Bürger konnten mit Experten über den Hochwasserschutz an der Ahr sprechen
Bad Neuenahr · Ein Experte der Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord steht den Bürgern Rede und Antwort zum aktuellen Stand im Hochwasserschutz: So plädiert er dafür, die Landwirtschaft stärker in die Verantwortung zu nehmen und kündigt die Absenkung von Parkflächen im Stadtgebiet an.
Rund anderthalb Jahre nach der zerstörerischen Flutkatastrophe scheint die Sensibilität in Sachen Gewässerpflege schon wieder nachzulassen. Joachim Gerke, Abteilungsleiter bei der Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord (SGDN) berichtete im Bad Neuenahrer Rathaus, dass eine zunehmende Menge an Treibgut – beispielsweise Totholz – in der Ahr Sorgen bereite. Gemeinsam mit Regierungsdirektorin Anja Toenneßen, die bei der Kreisverwaltung Ahrweiler unter anderem für die Bereiche Bauen und Umwelt zuständig ist, war der Hochwasserexperte in die Kreisstadt gekommen, um den Dialog mit den Bürgern zu suchen, um Rede und Antwort zu stehen, nicht zuletzt aber auch, um über den Stand des Hochwasserschutzes zu informieren. Land und Stadt hatten diesmal die interessierten Bürger aus den Stadtteilen Bad Neuenahr, Heppingen, Heimersheim, Lohrsdorf, Green und Ehlingen eingeladen. Der Andrang allerdings blieb überschaubar.
Joachim Gerke hat sich vorgenommen, in den kommenden Wochen in den Gemeinden an der Ahr, also direkt „vor Ort“, die konkreten Herausforderungen des örtlichen Hochwasserschutzes zu erläutern und die Fragen der Bürger zu beantworten. So gab es bereits eine Informationsveranstaltung in Sinzig, die auf große Resonanz gestoßen war (der GA berichtete). Im Bad Neuenahrer Ratssaal indes blieb so mancher Stuhl frei. Dabei hätte gleich zu Beginn insbesondere die gute Nachricht, dass die Antragsfrist für die Wiederaufbauhilfe nun um drei Jahre verlängert wurde, mehr Zuhörer verdient gehabt. Die Fristverlängerung wurde zumindest von den Akteuren der SGDN, des Kreises oder auch der Stadt mit großer Erleichterung aufgenommen. Alfred Bach, Leiter des Planungsstabes Aufbau im Bad Neuenahrer Rathaus: „Das hilft uns sehr weiter.“
Am Gewässerentwicklungskonzept arbeiten zwei Bundesländer, vier Landkreise und zahlreiche Städte und Gemeinden
Im Mittelpunkt des Bürgerdialoges standen die vielen Facetten des angestrebten verbesserten Hochwasserschutzes, der derzeit in Arbeit ist. An diesem überregionalen „Gewässerentwicklungskonzept“ arbeiten mit Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz gleich zwei Bundesländer, vier Landkreise und zahlreiche Städte und Gemeinden sind beteiligt. Immerhin gehe es auch um die Zuläufe aus entfernteren Regionen, die für die Ahr-Wassermassen in der Katastrophennacht gesorgt hatten. „Ein solches Konzept ist nicht kurzfristig darstellbar, das geht nicht auf die Schnelle“, sagte Regierungsdirektorin Toenneßen. Immerhin müssen die Zuläufe durch unzählige kleine Bäche rechts und links der Ahr oder auch die von den Hängen ins Tal drückenden Niederschlagswasser beachtet und berechnet werden. Wie berichtet, arbeiten vier Ingenieurbüros an dem Gewässerentwicklungskonzept, das geografisch in vier Teilabschnitte gegliedert ist. Erste Ergebnisse erhofft Toenneßen sich im kommenden Jahr, in Gänze werde das Konzept jedoch wohl erst später vorliegen.
Dass die Brücken und ihre Stützen einen hohen Anteil an der Katastrophe in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 hatten, unterstrich Hochwasserexperte Gerke. Über Stunden sei ein regelrechter Wasserberg entstanden, der mit aller Macht gegen die Bauwerke gedrückt habe und dann ins Tal in Richtung Rhein geschossen sei, berichtete Gerke. Nach der Flutwelle habe man Treibgut zwei Meter hoch in den Uferbäumen gefunden, so der Experte. Zudem sei es zu den sogenannten Verklausungen gekommen: Darunter versteht man die Verschlüsse des Gewässerquerschnitts durch das angeschwemmte Treibgut, das sich an den Brückenpfeilern ansammelt, verkantet und so zur Sperre für das drückende Wasser wird. Das Durchflusshindernis sorgt für einen stark ansteigenden Wasserstand, der sich dann mit Brachialgewalt seinen Weg sucht.
Landwirtschaft soll stärker als bisher in die Pflicht genommen werden
Dass auch die Landwirtschaft stärker als bisher in die Pflicht genommen werden müsse, daran ließen auch die im Ratssaal versammelten Bürger keinen Zweifel aufkommen. Zuviel Wasser ströme von den Äckern in den Fluss und seine Zuläufe, meinten die Diskutanten. Für Gerke scheint das nicht neu: „Wir haben kein Erkennungsproblem, sondern ein Umsetzungsproblem.“ Das Wasser müsse in den „Feldern und Auen“ zurückgehalten werden.
Eine deutliche Wasserspiegelabsenkung und ungestörte Durchflussmöglichkeiten mit geordneten Fließgeschwindigkeiten und Treibgutrückhaltungen seien das Ziel, führte Gerke aus. Rechts und links des Flusses wolle man mehr Raum für das Gewässer schaffen. In Bad Neuenahr beispielsweise möchte man die Parks in Ufernähe leicht absenken, um zusätzliche Retentionsflächen zu gewinnen. Denn: „Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass es wieder Hochwässer geben wird“, so Gerke.