Ehemaliger Regierungsbunker im Ahrtal Bund erwog für Kriegsfall einst Rückzug in Züge statt in Bunker

Marienthal · Der Ukraine-Krieg hat die Bedeutung von Schutzräumen wie dem längst aufgegebenen Bunker im Ahrtal wieder in den Fokus gerückt. Vor über 50 Jahren machte sich der Bund aus heutiger Sicht kuriose Gedanken darüber, wo die Bundesregierung im Kriegsfall Schutz finden könnte.

 Vitrinen schützen im einstigen Regierungsbunker im Ahrtal die Sitzmöbel für den Bundespräsidenten. Die Bundesregierung hat vor einem halben Jahrhundert für den Kriegsfall auch einen Rückzug in Züge auf Gleisen erwogen.

Vitrinen schützen im einstigen Regierungsbunker im Ahrtal die Sitzmöbel für den Bundespräsidenten. Die Bundesregierung hat vor einem halben Jahrhundert für den Kriegsfall auch einen Rückzug in Züge auf Gleisen erwogen.

Foto: dpa/Thomas Frey

Die Bundesregierung hat vor einem halben Jahrhundert für den Kriegsfall auch einen Rückzug in Züge auf Gleisen statt in ihren Bunker im Ahrtal erwogen. Hintergrund war die Angst vor einem Blackout der Elektronik im Regierungsbunker bei Marienthal. Das geht aus Akten der Bundesregierung im Bundesarchiv hervor, die der Deutschen Presse-Agentur in Kopie vorliegen.

Demnach gab 1971 der damalige Kanzler Willy Brandt (SPD) eine Untersuchung mit dem Namen „Gewitter“ in Auftrag, in der es um „Neuerkenntnisse der Auswirkungen des bei Kernwaffenexplosionen auftretenden elektromagnetischen Impulses (EMP)“ ging.

Jörg Diester, Autor mehrerer Bücher über den inzwischen aufgegebenen und teilweise in ein Museum verwandelten Regierungsbunker, erläuterte, „Gewitter“ habe für einen Wendepunkt in der Verteidigungsstrategie Deutschlands gestanden. In der Ära Brandt sei eine deutliche Distanzierung zum Regierungsbunker zu beobachten gewesen. „Nie wieder gewann die Anlage die Bedeutung, die ihr ursprünglich zugedacht war.“

Studie: Flucht in Züge nicht praktikabel

Das Bundesinnenministerium schrieb 1971 in einem Entwurf zu „Gewitter“, der Bau „einer neuen Befehlsstelle“ statt des Ahr-Bunkers südlich von Bonn sei anzustreben. Bis dahin sollte es Zwischenlösungen geben: „Beweglichmachen der BReg (Bundesregierung) in vier Zügen und Ausbau der geschützten Teile der Kasernenanlage Kusel als zusätzliche feste Unterkunft der beweglich gemachten BReg.“ Daraufhin in Auftrag gegebene Studien hielten indessen eine Flucht in Züge und in die damalige Kaserne Kusel im südwestlichen Rheinland-Pfalz für nicht praktikabel.

Von einem neuen Regierungsbunker war laut Diester in den Akten später nicht mehr die Rede. Aber auch die bestehende Schutzraumanlage in zwei einstigen Eisenbahntunneln unter Weinbergen sei bei ihrer endgültigen Fertigstellung 1971 schon technisch überholt gewesen: Bereits 1962 hätten Experten mit weitaus stärkeren Atomwaffen als der Hiroshima-Bombe gerechnet - viel zu viel für den Bunker.

Unterlagen liegen im Bundesarchiv

Das Bundesinnenministerium teilt der dpa mit Blick auf Fragen zu diesen Themen mit, damalige Unterlagen der Bundesverwaltung mit bleibendem Wert befänden sich inzwischen im Bundesarchiv. Dort seien sie einsehbar, solange sie nicht weiter der Geheimhaltung unterlägen. Die Fluchterwägungen des Bundes in den siebziger Jahren werden somit von dem Ministerium weder bestätigt noch dementiert.

Laut Diester gab es einst sogar Medienberichte, „dass die Bundesregierung im Krisenfall auch mit der Lufthansa zu einem Ausweichsitz nach Orlando in Florida ausgeflogen werden sollte“. Dafür habe er aber bisher keine Belege im Bundesarchiv entdeckt. Das Bundesinnenministerium äußert sich dazu auf dpa-Anfrage nicht.

Nach Angaben des Ministeriums kann ein heutiger Kriegsfall bedeuten, Bundesbehörden „an einen anderen, geschützteren Platz zu verlagern und die Amtsgeschäfte auch kurzfristig in besonders geschützten Räumen wahrzunehmen“. Das Bundesinnenministerium etwa betreibe wegen seiner „herausgehobenen Koordinierungsaufgaben“ neben einem „Lagezentrum im 24/7-Betrieb auch eigene, hinsichtlich Verfügbarkeit besonders abgesicherte IT-Infrastrukturen und hat eine Liegenschaft als Ausweichsitz ertüchtigt.“ Nähere Angaben dazu machte das Bundesinnenministerium nicht.

(dpa)
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