Ein Anwohner berichtet aus Bad Neuenahr-Ahrweiler Das Leben nach der Katastrophe

Bad Neuenahr-Ahrweiler · Der ehemalige GA-Redakteur Victor Francke lebt seit einigen Jahren an der Unterstraße in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Dort ist am zwölften Tag nach der Sturzflut nichts wie es einmal war. Ein Situationsbericht.

 An Fenstern in Bad Neuenahr-Ahrweiler hängen Betttücher, auf denen die Flutopfer den Helfern „Danke“ sagen.

An Fenstern in Bad Neuenahr-Ahrweiler hängen Betttücher, auf denen die Flutopfer den Helfern „Danke“ sagen.

Foto: Victor Francke

Nach wie vor ist die Versorgungslage im südlich der Ahr gelegenen Bereich der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler großen Schwankungen ausgesetzt: Es gibt Höhen und Tiefen. Seit Montag, Tag zwölf nach der Flutkatastrophe, zeigt die Organisation im Versorgungsstützpunkt an der südlichen Kurgartenstraße etwas professionellere Züge auf. Nicht zuletzt auch dank der eingetroffenen Notfallseelsorger aus dem Kreis Neuwied, die neben tröstenden Worten auch einen Kühlwagen mit Speisen und Getränken mitgebracht haben und gezielt Menschen auf die damit verbundene Versorgungsmöglichkeit ansprechen.

Besser ist es auch beim DRK-Stand am Steigenberger Hotel geworden: Endlich gibt es dort Kaffee in augenscheinlich ausreichenden Mengen.

Sehr provisorisch bleibt indes die Ladestation für Handys und kleinere akkubetriebene Stromgeräte. Der Versorgungsbereich hat sich längst zum Info- und Kommunikationstreff entwickelt. Durch die täglichen Begegnungen und Plaudereien weiß man inzwischen, wer wo wohnt, was einem geblieben ist, wer die Stadt verlassen oder wer allen Widrigkeiten zum Trotz bleiben und den Neuaufbau der Stadt verfolgen wird.

Viele werden zumindest vorübergehend Bad Neuenahr-Ahrweiler verlassen. Grund: Die Träger der Elementarversicherungen bezahlen über mehrere Monate ihren Versicherten einen Hotelaufenthalt – beispielsweise in Bonn – mit einem Tagessatz von 80 Euro pro Person, erklärt ein Bewohner der Unterstraße. Er will von dieser Lösung Gebrauch machen. Wie es mit seiner Eigentumswohnung weitergehen wird, ob er sie je wieder beziehen wird, wisse er noch nicht, fügt der Pensionär hinzu.

Dank der vom Technischen Hilfswerk eingerichteten Mini-Fähre ist nun auch ein Übersetzen auf die andere, die nördliche Ahrseite möglich. Ein Rundgang durch die Innenstadt zeigt die verheerende Zerstörung zwischen Ahrufer, Poststraße, Platz an der Linde, Telegrafen- und Kreuzstraße bis hin zur Hauptstraße auf. Am Wochenende wurde dort mit Hilfe der Bundeswehr und schwerem Gerät geräumt. Das Gros der rechts und links der Straßen aufgetürmten Trümmer und Sperrmüllhalden wurde beseitigt. Gott sei Dank blieb der angekündigte starke Regen aus.

Schnell wird deutlich, wie viel besser die Versorgungslage im nördlichen Teil der Stadt ist: Am Alter Markt gibt es eine gut organisierte Versorgungsstation, ebenso auf dem Parkplatz gegenüber des Kaufhauses Moses.

Nutzbare Waschmaschinen sind aufgebaut, mobile Duschkabinen stehen der Bevölkerung zur Verfügung. Überall werden Gummistiefel, Eimer und Handschuhe ausgeteilt.

Auch wenn die Polizeidirektion in Koblenz offiziell erklärt hat, ihr sei nichts von Plünderungen bekannt, so wissen es die Einheimischen besser. Möglicherweise auch die Polizisten vor Ort: Sie fahren nachts verstärkt Streife, leuchten in kleine Seitenstraßen, zeigen Präsenz. Nicht grundlos.

Wieder auf der „Südseite“: Schon fast ungläubig registrieren die Menschen an Unter- oder Mittelstraße, dass es seit Sonntagabend wieder Wasser aus den Leitungen gibt. Mit kleinem Druck und dünnem Strahl war dies an wenigen Tagen zuvor bereits schon einmal, zumindest kurz der Fall. Diesmal scheint die Wasserversorgung stabiler zu werden. Eindringlicher Appell der Stadt: Dieses Wasser nicht trinken, nicht zum Zähneputzen verwenden und nur als Brauchwasser nutzen.

Bleiben die Wasserleitungen stabil, dann fehlt „nur“ noch Strom, um zu einem halbwegs normalen Leben zurückkehren zu können. An manchen Fenstern hängt ein Tuch mit der Aufschrift „Danke“.

Den Mitarbeitern der Ahrtal-Werke sieht man die Strapazen und psychischen Belastungen der vergangenen zwölf Tage an. Ein Angestellter des Bad Neuenahrer Energieversorgers hält seinen Transporter an, stellt ihn kurz am Straßenrand ab – und weint. Dann fährt er weiter.

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