Flutkatastrophe im Ahrtal Untersuchungsausschuss zur Ahr-Flut beendet Beweisaufnahme

Update | Mainz · Nach mehr als eineinhalb Jahren sind die öffentlichen Sitzungen des Untersuchungsausschuss Flutkatastrophe abgeschlossen. Nun wird der Bericht erstellt – und könnte mehr als 1000 Seiten umfassen.

 Bad Neuenahr-Ahrweiler kurz nach der Flutkatastrophe im Juli 2021.

Bad Neuenahr-Ahrweiler kurz nach der Flutkatastrophe im Juli 2021.

Foto: dpa/Thomas Frey

Zwei Minister traten zurück und der Katastrophenschutz in Rheinland-Pfalz wird neu aufgestellt. Das sind die wesentlichen Ergebnisse der rund anderthalb Jahre dauernden öffentlichen Aufarbeitung der Flutkatastrophe mit mindestens 135 Toten im Sommer 2021 im Untersuchungsausschuss des Landtages. Rund 285 Stunden lang wurde getagt, es gab 22 Sachverständige, 227 Zeugen wurden vernommen, teils mehrfach. Zum Abschluss am Donnerstag war zum vierten Mal der Chef der für den Katastrophenschutz zuständigen Behörde ADD, Thomas Linnertz, geladen. Anschließend beschlossen die Ausschussmitglieder einstimmig das Ende der Beweisaufnahme.

Der Trierer Politikwissenschaftler Uwe Jun stellt dem Ausschuss des Landtags ein gutes Zeugnis aus. „Er hat viel bewirkt und zwei wesentliche Ergebnisse. Auf personeller Seite, indem zwei Minister zurücktreten mussten. Er hat aber auch die Mängel des Katastrophen- und Hochwasserschutzes deutlich aufgedeckt“, sagte Jun der Deutschen Presse-Agentur in Mainz. „Die politischen Ursachen und Folgen der Katastrophe sind angemessen bearbeitet worden.“

Untersuchungsausschuss zur Flut: Dreyer und Spiegel im Zeugenstand

Eine ganze Reihe von Zeugen wie Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) mussten zweimal in den Zeugenstand. Gehört wurden auch die später im Zusammenhang mit der Katastrophe zurückgetretenen Minister Roger Lewentz (SPD/Innen) und Anne Spiegel (Umwelt/Grüne). Am häufigsten wurden Umweltstaatssekretär Erwin Manz (Grüne) und ADD-Chef Linnertz (SPD) befragt. Prominenteste Sachverständige waren die Meteorologen Sven Plöger, Jörg Kachelmann und Karsten Schwanke.

Auf Antrag der CDU hatte der Landtag in seiner Sitzung am 22. September 2021 die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses „zur Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz, deren Folgen und zur rechtlichen und politischen Verantwortung der Landesregierung, ihrer nachgeordneten Behörden sowie aller sonstigen öffentlichen Stellen hierfür“ beschlossen. Am 1. Oktober 2021 konstituierte sich der Ausschuss. Beginn der öffentlichen Beweisaufnahme war eine ganztägige auswärtige Sitzung am 20. Dezember 2021 im Ahrtal. Dabei ging es um die Frage, welchen Einfluss die topographische und geologische Beschaffenheit des Ahrtals auf die Flutkatastrophe am 14./15. Juli 2021 hatten.

Elf Abgeordnete aller sechs Fraktionen sind in dem Gremium vertreten sowie elf ständige Ersatzmitglieder. In den vergangenen rund anderthalb Jahren entstanden etwa 6700 Seiten an Protokollen, zudem liegen dem Ausschuss elektronische Akten in Form von mehr als einer Million Dateien mit einem Gesamtumfang von rund 560 Gigabyte vor. Hinzu kommen 260 Aktenbände in Papierform, die aber auch in den elektronischen Akten enthalten sind.

„Kein Untersuchungsausschuss wie jeder andere“

„Das war kein Untersuchungsausschuss wie jeder andere“, sagte der Ausschussvorsitzende Martin Haller (SPD) am Donnerstag. Er bedankte sich bei den Ausschussmitgliedern für eine „konstruktive, sehr kollegiale und intensive“ Aufklärungsarbeit. „Die Gespräche waren häufig von Sachlichkeit geprägt und sind den Dingen auf den Grund gegangen“, sagte auch der Politikwissenschaftler Jun. „Es war vergleichsweise wenig parteipolitische Polemik erkennbar.“ Auch die Regierungsfraktionen hätten „mitgearbeitet und nicht erkennbar versucht, die Arbeit zu behindern“. „Es gibt auch Beispiele aus anderen Bundesländern, wo das nicht unbedingt so war.“

Die Obleute der Oppositionsfraktionen meldeten sich deutlich häufiger zu Wort als die der Regierungsfraktionen. Allerdings hatte Haller (SPD) als Vorsitzender auch stets das Recht der Erstbefragung und machte davon ausgiebig Gebrauch. „Der Untersuchungsausschuss hat den beiden kleinen Oppositions-Fraktionen Freie Wähler und AfD ein für sie passendes Betätigungsfeld geboten, das sie gut zur Profilierung genutzt haben“, stellte Jun fest. „Die CDU hat auch ihren Teil zur Arbeit beigetragen.“

Der SPD-Abgeordnete Jens Guth sagte am Donnerstag, es sei einer der schwierigsten U-Ausschüsse gewesen. Was von Betroffenen berichtet worden sei, bleibe in den Kleidern stecken. SPD-Obmann Nico Steinbach sagte, „die Versäumnisse im Kreis Ahrweiler – insbesondere das offenkundige Versagen des Landrats – vor und während der Flutkatastrophe ziehen sich wie ein roter Faden durch diesen Untersuchungsausschuss“.

Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Pföhler und Linnertz

Der Obmann der Freien Wähler, Stephan Wefelscheid, meinte nach der letzten öffentlichen Ausschusssitzung, die Aufklärung habe im Vordergrund gestanden. Mittlerweile wisse man, dass auch menschliches Versagen für die Folgen der Flut verantwortlich gewesen sei. AfD-Obmann Michael Frisch meinte, die Arbeit des Ausschusses habe etwa mit den Rücktritten der zwei Minister den Menschen im Ahrtal ein Stück weit Gerechtigkeit gebracht. „Allein das stimmt mich zufrieden.“

Auf Frischs Antrag hin war am Donnerstag Linnertz ein erneutes Mal als Zeuge geladen. Bei dieser Befragung ging es vor allem um seine frühere Vizepräsidentin, die kurz nach der Flut eine Reise in die USA angetreten hatte und deswegen stark in der Kritik steht. Linnertz berichtete, dass die mittlerweile pensionierte politische Beamtin seinerzeit keine feste Funktion im Katastrophenstab gehabt habe, in ihrer Abwesenheit sei sie vertreten worden. Grundsätzlich sei damals über eine Urlaubssperre in der ADD diskutiert worden. Eine solche habe er aber nicht für verhältnismäßig und auch nicht für dienlich gehalten, so dass auf dieses Instrument verzichtet worden sei.

Disziplinarverfahren gegen frühere Vizepräsidentin

Gegen die frühere Vizepräsidentin läuft ein Disziplinarverfahren. Sie wird verdächtigt, während ihrer Dienstzeit kurz nach der Ahrflut einen dienstlichen Anlass vorgetäuscht zu haben, um für die selbst gezahlte Privatreise in die USA gelangen zu können. Reisen dorthin waren damals aufgrund von Corona-Beschränkungen weitgehend untersagt. Er habe von dem Vorgang Anfang des Jahres erfahren, sagte Linnertz nach der Ausschusssitzung. Weitere Disziplinarverfahren liefen nicht.

Außerdem ermittelt die Staatsanwaltschaft Mainz gegen die frühere ADD-Vizepräsidentin wegen des Anfangsverdachts einer uneidlichen Falschaussage. Dabei geht es um die Frage, wie viele Tage sie nach der Flut in der Einsatzleitung im Ahrtal war.

Linnertz sagte nach der 42. Ausschusssitzung, seit Wochen werde über den Urlaub seiner früheren Vizepräsidentin diskutiert. „Ich hatte ganz andere Entscheidungen zu treffen, das können sie mir glauben.“ Es sei ihm damals vor allem um die Versorgung der Menschen im Ahrtal gegangen, weniger um den Urlaub einer einzigen Kollegin in der ADD. Mit Blick auf eine möglicherweise negative Außenwirkung eines Urlaubes einer politischen Spitzenbeamtin kurz nach der Katastrophe sagte Linnertz, das sei damals keine Überlegung bei ihm gewesen. „Das war vielleicht auch mein Fehler in der Situation.“ Aber es habe private Gründe gegeben, zu denen er nichts sagen könne.

Ausschussmitglieder fordern Rücktritte

Zu den von Ausschussmitgliedern erhobenen Rücktrittsforderungen gegen ihn sagte Linnertz, das sei für ihn persönlich nicht ganz einfach. Er und seine Kollegen hätten alles gegeben. Dass nun viel rund um den Einsatz nach der Flut aufgeklärt werde, sei richtig. „Ich wundere mich nur manchmal über die Schwerpunktsetzung“, sagte Linnertz. „Wir haben, und davon bin ich immer noch überzeugt, sehr viel geleistet in kurzer Zeit - mit unglaublichem Einsatz.“ Natürlich gelinge nicht alles, aber: „Im Großen und Ganzen haben wir unser Ziel erreicht.“

Vorbei ist die Arbeit des Ausschusses mit dem Ende der Beweisaufnahme noch nicht. Das Sekretariat des Gremiums wird bis zur Sommerpause den Bericht des Vorsitzenden erstellen, der dann an die Fraktionen geht, wie Haller erklärte. Er rechne mit 1200 Seiten. Daran schließe sich die Beweiswürdigung des Fraktionen und der Ausschussmitglieder an. Er geht davon aus, dass der Abschlussbericht bis Ende des Jahres vorliegen wird. Bis dieser Bericht im Parlament ist, könne theoretisch die Beweisaufnahme jederzeit wieder aufgenommen werden.

Jun erwartet von dem Bericht, „dass die Ergebnisse inhaltlich prägnant zusammengefasst werden und die Mängel und Fehler, die im Hochwasser- und Katastrophenschutz aufgetaucht sind, deutlich aufgearbeitet werden“. „In der Beschreibung sind keine so großen Differenzen zu erwarten. In der Bewertung sicherlich schon“, sagte Jun. Er erwartet auch „eine Auflistung von Zukunftsvorschlägen“ in dem Bericht. „Dazu haben auch die Experten viel beigetragen.“

(dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Kummerkasten im Quartier
Awo-Beratung in Bad Neuenahr-Ahrweiler Kummerkasten im Quartier
Aus dem Ressort