Versicherer aus Bad Neuenahr-Ahrweiler Nur 40 Prozent der Bewohner im Ahrtal sind elementarversichert

Bad Neuenahr-Ahrweiler · Ein Versicherungsexperte schätzt die Lage im Ahrtal ein. Pro Haushalt bewege man sich im Schnitt im hohen sechsstelligen Schadensbereich. Alleine die Aufnahme der Schäden werde noch mindestens vier Wochen dauern.

 Etwa ein Drittel der Schadensfälle im Ahrtal ist in Bad Neuenahr-Ahrweiler zu verzeichnen.

Etwa ein Drittel der Schadensfälle im Ahrtal ist in Bad Neuenahr-Ahrweiler zu verzeichnen.

Foto: Benjamin Westhoff

Thomas Müller (Name von der Redaktion geändert) ist Mitarbeiter eines großen Versicherungsunternehmens, das auch in Bad Neuenahr-Ahrweiler ansässig ist. Müller heißt eigentlich anders, er möchte jedoch nicht mit Namen oder Bild in der Zeitung auftauchen. Zu groß sei bereits jetzt die psychische Belastung, der er durch den Kundenkontakt momentan ausgesetzt sei.

„Meine Kundschaft reicht von Menschen, die ich persönlich nicht kenne, bis zu meinen besten Kumpels. Einigen von denen musste ich in den letzten Tagen sagen: ‚Jetzt hast du ein Problem‘.“ Denn längst nicht alle, die von der Jahrhundertflut getroffen wurden, sind elementarversichert. Oft sind es klassische Gebäudeversicherungen, die Grundgefahren wie Hagel- und Feuerschäden, nicht aber Hochwasser miteinschließen. Letztere gehören zu den Elementarschäden.

Ebendiese sind es aber, die Müller und sein dreiköpfiges Team täglich zuhauf in ihr System aufnehmen. Bis zu 25 Besichtigungen schafft ein Gutachter am Tag, wenn er schnell ist. Hunderte von Schäden verzeichnen Müllers Kollegen täglich im Ahrtal. Das Tempo erklärt sich durch die Einfachheit der Schadensaufnahme: In den allermeisten Fällen ist einfach jegliches Eigentum unbrauchbar geworden. Elektrik, Heizungsanlagen und Türen müssen erneuert werden. Die Frage sei nur, wie viele Stockwerke betroffen sind.

Schadensaufnahme dauert noch mindestens vier Wochen

Seit dem 14. Juli, dem Tag der Katastrophe, arbeitet Müllers Team 14 bis 16 Stunden täglich. Nicht zuletzt ist der Versicherungsfachmann selbst von der Flutkatastrophe betroffen. Er schätzt die Quote elementarversicherter Betroffener im Ahrtal auf etwa 40 Prozent. In Bad Neuenahr-Ahrweiler liege etwa ein Drittel der gesamten Schadensfälle. Die Gegend um Dernau und Rech bezeichnet Müller als „Kriegsgebiet“. In Walporzheim sei jedes einzelne Haus betroffen, sagt der Versicherungsmitarbeiter.

Pro Haushalt bewege man sich im Schnitt im hohen sechsstelligen Schadensbereich. Wenn ein Einfamilienhaus betroffen sei, könne man mit einem Schaden ab 250.000 Euro aufwärts rechnen. Bei Besitzern mehrerer Häuser gehe es in den siebenstelligen Bereich. Versicherer seien momentan sehr beliebt bei Menschen, die sich elementarversichert haben und sehr unbeliebt bei Unversicherten. Letztere würden dann mitunter wütend und versuchten, auf Kulanz zu spekulieren, weil man „schon ewig Kunde“ sei.

Alle nötigen Beträge würden ausgezahlt, versichert Müller, sofern die Betroffenen denn „gewissenhaft und vernünftig“ versichert seien. Das sei bei Gebäuden häufig der Fall. Bei bestimmtem Hausrat nicht, etwa bei teuren E-Bikes, die auch mal schnell 7000 Euro kosteten. Die Aufnahme aller Schäden im Ahrtal werde noch mindestens vier Wochen laufen. Bis dann die Mängel beispielsweise durch diverse Handwerksunternehmen beseitigt werden, werde es bestimmt drei bis fünf Jahre dauern.

Fünf bis zehn Minuten im Jahr den Versicherungsbrief ansehen

Auch das Unternehmen, bei dem Müller angestellt ist, sei wirtschaftlich immens durch die Zigtausenden von Schadensfällen betroffen. Der Versicherer, der zu einem der zehn größten in Deutschland zählt, sei aber rückversichert bei anderen Versicherungen. Das sei bei Großschadensereignissen normal. Ein „großes Loch in die Bilanz“ werfe das Katastrophenereignis selbstverständlich trotzdem.

Die ersten Zahlungen werden derweil getätigt, teilweise auch im Vorschuss. Müller richtet zum Schluss einen Appell an alle Versicherten: Jeder sollte sich wenigstens fünf bis zehn Minuten im Jahr seinen Versicherungsbrief ansehen. Wenn man den nicht verstehe, sollte man sich bei seinem Bearbeiter melden und nachfragen. Das könne einem großen wirtschaftlichen Schaden vorbeugen. Nichtsdestotrotz täten ihm alle Betroffenen sehr leid.

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