Marc Ulrich betreibt einen Shuttle-Service für Helfer „Diese Hilfsbereitschaft ist unbeschreiblich“

Interview · Marc Ulrich aus Bad Neuenahr-Ahrweiler hat einen Shuttle-Service eingerichtet, der freiwillige Helferinnen und Helfer in die Katastrophengebiete fährt. Im Interview erklärt er, wie es funktioniert, welche Rückmeldungen er bekommt und wie lange das Angebot noch bestehen soll.

 Marc Ulrich (rechts) organisiert einen Shuttle-Service, mit dem freiwillige Helferinnen und Helfer in die betroffenen Gebiete der Flutkatastrophe gebracht werden. Mit im Bild: Helfer Adrian Waschow aus Linz und Busfahrer Manfred Kuth.

Marc Ulrich (rechts) organisiert einen Shuttle-Service, mit dem freiwillige Helferinnen und Helfer in die betroffenen Gebiete der Flutkatastrophe gebracht werden. Mit im Bild: Helfer Adrian Waschow aus Linz und Busfahrer Manfred Kuth.

Foto: Benjamin Westhoff

Herr Ulrich, was ist das für ein Projekt, das Sie hier aus dem Boden gestampft haben?

Marc Ulrich: Ich bin Unternehmer aus Bad Neuenahr-Ahrweiler und wir sind selbst betroffen. Unsere Firma steht unter Wasser, viele Mitarbeiter haben ihre Wohnungen oder Häuser verloren. Wir haben direkt am Anfang gemerkt, was das Problem ist: Es gibt unheimlich viele Menschen, die anpacken wollen. Aber wenn alle selbst mit ihren Autos ins Flutgebiet hinein fahren, wie das in den ersten Tagen passiert ist, entsteht komplettes Verkehrschaos, sodass auch Rettungs- und Räumfahrzeuge nicht richtig durchkommen. Wir haben dann überlegt, was wir machen können, damit die Leute vor Ort trotzdem Hilfe bekommen. Von offizieller Seite hieß es ja immer: „Kommt nicht hier rein“, was ja auch richtig ist – aber die Leute vor Ort brauchen auch einfach Hände, die mit anpacken. Dann haben wir eben kurzerhand ein Helfershuttle organisiert.

Wie funktioniert das Shuttle?

Ulrich: Die Helfer können sich hier im Innovationspark Rheinland, einem Gewerbegebiet in Grafschaft, einen Parkplatz suchen und wir fahren sie von dort sowohl mit Linienbussen, also großen Bussen, direkt nach Bad Neuenahr-Ahrweiler, als auch mit kleinen Bussen direkt in die kleineren Ortschaften, die mit großen Bussen nicht erreichbar sind.

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Wie behalten Sie den Überblick, wo in den kleineren Ortschaften Hilfe gebraucht wird?

Ulrich: Wir haben in den kleineren Orten Kontaktpersonen, die die Helfer dort im Empfang nehmen und sie verteilen. Am Nachmittag bringen sie die Helfer wieder zurück, damit wir sie wieder hier hoch in den Gewerbepark fahren können.

Seit wann läuft das Projekt und wie viele Helferinnen und Helfer haben Sie schon verfrachtet?

Ulrich: Das Projekt läuft seit Sonntag, wir haben das am Samstag einfach aus dem Boden gestampft und dann über Social Media verbreitet. Am Sonntag haben wir direkt 300 Leute runtershuttlen können – also 600 Hände, die da direkt mit anpacken und aufräumen konnten. Das war wirklich sehr, sehr bewegend. Als der erste volle Bus darunter fuhr, das war Wahnsinn. Die Leute kommen dann abends schlammverschmiert von oben bis unten zurück und sind einfach nur glücklich, weil sie wirklich mit anpacken konnten.

Uns erreicht teilweise die Rückmeldung aus den betroffenen Orten, dass die privaten Helfer die ersten seien, die überhaupt kämen. Sie haben viele Kontakte vor Ort: Was sagen die Menschen dort zum Thema Katastrophenschutz?

Ulrich: Man ist schnell dabei zu sagen, das ist alles total chaotisch und hat keine Struktur. Aber auf der anderen Seite muss man auch einfach sehen, was für ein Ausmaß diese Katastrophe hat. Hinzu kommt, dass Verantwortungen ja beinahe täglich verschoben werden – erst war die Stadt zuständig, dann der Kreis, jetzt das Land, dann kommt der Bund noch mit dazu. Das heißt, man hat auch jeden Tag geänderte Organisationsstrukturen. Es ist einfach sehr komplex. Es ist ja alles kaputt. Alleine nur die Infrastruktur – Gas, Strom, Wasser, Telekommunikation. Das sind einfach wahnsinnig viele Baustellen, die wir koordinieren müssen. Die Menschen sind zum Teil schon enttäuscht, dass da momentan so wenig ankommt. Aber ich finde, man muss immer auch die andere Perspektive sehen und sich klarmachen, was da jetzt alles geregelt und organisiert werden muss. Deswegen: Einfach mit anpacken.

Was ja auch schon geschieht.

Ulrich: Ich finde großartig, wenn irgendwelche Bauunternehmer von außerhalb einfach ihre Maschinen einpacken und ohne irgendeinen Auftrag hier runter kommen – kein Mensch weiß, ob die je dafür bezahlt werden oder das Geld für ihren Sprit bekommen. Aber die sagen einfach: Scheißegal! Da ist Not, wir packen da jetzt an und fahren bis nachts Schutt weg. Bei der ganzen Katastrophe - diese Hilfsbereitschaft, die da ist, ist unbeschreiblich.

Wie lange wollen Sie das Shuttle noch laufen lassen? Glauben Sie, dass die Bereitschaft jetzt abnimmt?

Ulrich: Aufgrund des Ausmaßes wird das ganze wahrscheinlich noch ein paar Tage in den Medien sein, aber machen wir uns nichts vor: Nächste Woche gibt es wieder irgendein anderes Thema. Deswegen müssen wir das jetzt einfach auch nutzen. Deswegen ist es auch so wichtig, dass wir jetzt nicht warten, bis es irgendeine offizielle Anweisung gibt. Jetzt gerade ist das Thema in den Medien präsent, jetzt gerade sagen die Leute „Ich will da was tun“. Wir haben jetzt einen Kanal geschaffen, wie die Menschen etwas tun können und wir werden das jetzt auch die ganze Woche weiterführen, mit besonderem Fokus nochmal auf nächstem Wochenende. Wir fahren jetzt jeden Tag von morgens bis abends. Wir haben die Zeiten extra so gelegt, dass man auch nach Arbeitsschluss noch kommen kann, Parkmöglichkeiten gibt es auch reichlich. Es wird noch ein paar Wochen Hilfe benötigt werden, alleine für die Aufräumarbeiten.

Wer zahlt das alles?

Ulrich: Bis jetzt ist das eine komplette Eigeninitiative, also es gibt da keinen öffentlichen Auftrag. Und auch niemanden, der mir sagt, dass ich danach eine Rechnung schreiben kann. Das läuft komplett auf Eigenengagement. Zum Teil haben wir Direktspenden von Leuten, die wissen, dass wir vor Ort sind und uns ein Budget geben, mit dem wir etwas Sinnvolles tun sollen. Wir schauen auch, was wir jetzt im Rahmen von Sponsoring bekommen. Aber ein Bus und ein Busfahrer müssen natürlich auch irgendwann bezahlt werden.

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