Flutkatastrophe Deshalb ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Landrat Pföhler

Update | Koblenz · Die Staatsanwaltschaft Koblenz ermittelt gegen den Landrat von Ahrweiler, Jürgen Pföhler, wegen des Anfangsverdacht der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen am Abend des Hochwassers. Einsatzleiter war er in der Nacht aber nicht.

 Die Staatsanwaltschaft Koblenz ermittelt gegen Landrat Jürgen Pföhler.

Die Staatsanwaltschaft Koblenz ermittelt gegen Landrat Jürgen Pföhler.

Foto: dpa/Thomas Frey

Die Staatsanwaltschaft Koblenz hat Ermittlungen wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung durch Unterlassen im Zusammenhang mit der Unwetterkatastrophe am 14./15. Juli im Ahrtal aufgenommen. Die polizeilichen Ermittlungen hat das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz übernommen. Im Fokus stehen der Landrat des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler, sowie ein weiteres Mitglied des Krisenstabes, dessen Namen und Funktion die Staatsanwaltschaft nicht mitteilen wollte. Es handele sich jedoch nicht um einen Politiker. Am Freitagmorgen hatte die Staatsanwaltschaft Räume in der Kreisverwaltung durchsucht, Akten und die persönlichen Kommunikationsmittel von Pföhler und dem weiteren Krisenstabsmitglied beschlagnahmt. Oberstaatsanwalt Harald Kruse: „Pföhler war gefasst und ruhig. Er hat sich sehr kooperativ gezeigt.“

Der Landrat des Kreises Ahrweiler habe der Staatsanwaltschaft mitgeteilt, dass er nicht für den Katastrophenschutz verantwortlich sei, da er diese – ihm von Amts wegen vorgegebene – Aufgabe schon vor Jahren an einen Fachmann delegiert habe. Zudem sei er über weite Strecken in der verhängnisvollen Nacht gar nicht im Kreishaus gewesen. „Wo er war, hat er uns nicht gesagt“, erklärte Kruse. Grundsätzlich sei es Pföhler als Behördenchef möglich, die Aufgabe des Katastrophenschutzes zu delegieren.

Die Unwetterkatastrophe im Ahrtal hat nach dem derzeitigen Stand 141 Menschenleben gekostet, über 700 Menschen wurden verletzt. Wie die Staatsanwaltschaft mitteilte, habe sie aus den ihr zugänglichen Quellen versucht, die Ereignisse in der Katastrophennacht vorläufig nachzuvollziehen. „Auch wenn dies naturgemäß nicht vollständig möglich war, haben sich hieraus Anhaltspunkte dafür ergeben, dass am 14. Juli spätestens ab etwa 20.30 Uhr Gefahrenwarnungen und möglicherweise auch die Evakuierung von Bewohnern des Ahrtals, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht von der Flutwelle betroffen waren, geboten gewesen wären“, so Kruse. „Wir bekamen Zweifel am Eindruck, dass die hohe Zahl der Todesfälle unabwendbar waren“, begründete der Oberstaatsanwalt die Ermittlungsaufnahme.

Pföhler könnte mitschuldig an den Todesfällen sein

Der Anfangsverdacht erstrecke sich auch darauf, dass ein entsprechendes Unterlassen jedenfalls für einen Teil der Todesfälle und der entstandenen Personenverletzungen (mit)ursächlich geworden sei. Eine Auswertung der bei der Staatsanwaltschaft geführten Todesermittlungsverfahren habe ergeben, dass sich die Todesfälle überwiegend ahrabwärts von Ahrbrück aus mit einem großen Schwerpunkt in der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler ereignet hatten. Zwischen der Alarmmeldung aus Schuld um 17 Uhr und dem Erreichen der Flutwelle in Sinzig hätten neun Stunden gelegen – möglicherweise ausreichend Zeit, um zu warnen und zu evakuieren. Es sei nicht zutreffend, dass es sich um eine rasend schnelle Flutwelle gehandelt habe. Warum es erst um 23.09 Uhr den Katastrophenalarm gegeben habe, müsse sehr sorgfältig geprüft werden.

In der rechtlichen Gesamtschau habe die Staatsanwaltschaft daher den Anfangsverdacht der fahrlässigen Tötung und fahrlässigen Körperverletzung im Amt – jeweils begangen durch Unterlassen – bejaht und ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, zumal es aus verschiedenen Quellen widersprüchliche Aussagen und Hinweise zu Alarmierungen und Warnungen gegeben habe. Das Verfahren richte sich derzeit gegen Pföhler, weil er als Landrat nach den Regelungen des Landesbrand- und Katastrophenschutzgesetzes möglicherweise die Einsatzleitung und alleinige Entscheidungsgewalt hatte. Das Verfahren richte sich außerdem gegen das weitere Mitglied des Krisenstabes, das nach den derzeitigen Erkenntnissen die Einsatzleitung zumindest zeitweise übernommen hatte.

Die Chronik des Hochwasser soll detailliert geklärt werden

Kruse führte aus, dass es nun darum gehe, sehr detailliert die Abläufe der Flutwelle nachzuzeichnen. „Noch fehlen uns sehr viele Informationen“, sagte Kruse in einer Pressekonferenz, der auch der Leiter des Landeskriminalamtes, Johannes Kunz, und die Dezernatsleiterin bei der Koblenzer Staatsanwaltschaft, Ute Adam-Backes, beiwohnte. „Wir wissen noch nicht, welche Bewertungen der Krisenstab zu welchem Zeitpunkt vorgenommen hat“, sagte Kruse. Auch sei unklar, welche tatsächlichen Möglichkeiten es im Kreishaus gab, zu agieren. Außerdem wolle man ermitteln, welche Hilferufe den Krisenstab zu welchem Zeitpunkt erreichten, und wie er darauf reagierte.

„Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass derzeit lediglich ein Anfangsverdacht besteht, der naturgemäß auf einer mit Unsicherheiten und Lücken behafteten Erkenntnislage beruht“, sagte Kruse. Gerade deshalb und wegen der Dramatik der Ereignisse und der schrecklichen Folgen, die diese gehabt haben, betonte die Staatsanwaltschaft die hinsichtlich der Beschuldigten bestehende Unschuldsvermutung in besonderer Weise.

Die zu führenden Ermittlungen würden vermutlich einige Zeit in Anspruch nehmen, sodass mit schnellen Ergebnissen nicht zu rechnen sei. Kruse: „Die zu untersuchenden Ereignisse sind sehr vielschichtig. Wir wollen aber schnell und gut arbeiten.“

Für Hinweise aus der Bevölkerung bleibt auch künftig die folgende Mailanschrift freigeschaltet: unwetter.stako@genstako.jm.rlp.de

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