Hochwasser im Kreis Ahrweiler So nutzen Querdenker und Rechtsextreme die Flutkatastrophe aus

Kreis Ahrweiler · Die Not an der Ahr ist nach der Flutkatastrophe groß und die Opfer sind für die große Hilfsbereitschaft dankbar. Vermehrt mischen sich aber auch fragwürdige Helfer unter die Freiwilligen und nutzen die Not für eigene Zwecke.

  Ein Transporter mit der Aufschrift "Friedensfahrzeug" fährt am Rand des Katastrophengebiets in den Weinbergen entlang.

 Ein Transporter mit der Aufschrift "Friedensfahrzeug" fährt am Rand des Katastrophengebiets in den Weinbergen entlang.

Foto: dpa/Thomas Frey

Querdenker, Verschwörungsideologen und Neonazis versuchen offenbar, die Flutkatastrophe an der Ahr für ihre politischen Zwecke zu instrumentalisieren. Das beschäftigt die Einsatzkräfte vor Ort zusätzlich. Sie warnen vor Falschmeldungen und Rechtsextremisten, die sich in der Situation als „Kümmerer“ ausgeben. In mehreren Ortschaften sind Anhänger der Querdenker-Szene bereits aktiv geworden. So hatte der Verein „Eltern stehen auf“ angekündigt, in Bad Neuenahr-Ahrweiler ein Familienzentrum zu gründen, um Opfer der Flutkatastrophe zu entlasten. Rund 50 Therapeuten und Seelsorger sollten sich demnach um die Betreuung von Kindern kümmern. Dem Verein werden Verbindungen zur Szene der Querdenker nachgesagt. Er hatte zuletzt gegen Masken und Corona-Tests an Schulen mobil gemacht und sich zudem gegen Impfungen ausgesprochen.

Der Kreis Ahrweiler hat das Vorhaben inzwischen unterbunden, sich davon distanziert und öffentlich gewarnt. „Die Kreisverwaltung stellt klar, dass weder dieser Verein noch andere eine offizielle Beauftragung zur Betreuung von Kindern erhalten haben“, gab der Kreis bekannt. Auf Social-Media-Kanälen sei zuvor verbreitet worden, dass der Verein „Eltern stehen auf“ offziell die Betreuung von Kindern in der Region übernommen hätte. Ein Dementi gab es auch aus dem Familienministerium des Landes Rheinland-Pfalz. Es habe sich um kein mit der Einsatzleitung des Landes abgestimmtes Angebot gehandelt.

Am Mittwochabend wurde das sogenannte Familienzentrum dann vom Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung geschlossen. Detlef Placzek, der Präsident des Landesamtes zeigte sich besorgt über die schlechten Bedingungen, unter denen dort Kinder mit Alter ab drei Jahren betreut worden seien. Es gebe in dem Gebäude keinen Strom, kein Wasser, in den Fluren sei öliger Schlamm. „Zur Vermeidung einer im Raum stehenden Kindeswohlgefährdung ist daher das Angebot durch den Verein Initiative Eltern stehen auf e. V. ab sofort zu unterbinden“, sagte er. „Grund ist neben der Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Tatsache, dass Kinder ohne Erlaubnis in der Grundschule in Ahrweiler betreut werden.“

Auch Anwohner im Kreis Ahrweiler berichten davon, dass fragwürdige Helfer vor Ort auftauchen. Im Ortsbezirk Lantershofen in der Grafschaft sind nach GA-Informationen etwa am Dienstag 15 Personen der Querdenker-Szene bei einem Helferabend aufgeschlagen und haben sich auch als solche zu erkennen gegeben. Die Teilnehmer hätten die Gruppe fort geschickt und die Polizei informiert, wie ein Augenzeuge berichtete. Zusätzlich war zu beobachten, dass offensichtliche Anhänger der Szene in den sozialen Netzwerken versuchten, Stimmung gegen die Behörden zu machen. Kritisiert wurde auf der Facebook-Seite der Kreisverwaltung Ahrweiler etwa der Einsatz von Impfbussen. Diese sollen helfen, die Ausbreitung des Coronavirus im Katastrophengebiet einzudämmen. Viele Arztpraxen und Impfzentren können aufgrund der massiven Zerstörungen in der Region keine Impfungen mehr vornehmen.

Am Dienstag sah sich die Polizei Koblenz genötigt, vor Fahrzeugen mit Lautsprechern zu warnen, die polizeilichen Einsatzfahrzeugen zum Verwechseln ähnlich sehen. In dem von den Überflutungen besonders stark betroffenen Ahrweiler sei ein polizeiähnlicher Wagen mit der Aufschrift „Friedensfahrzeug“ unterwegs. „Eine solche Lackierung ist nicht verboten, solange nicht Polizei draufsteht, es kein Blaulicht trägt oder ein hoheitliches Polizeiwappen“, sagte ein Sprecher der Polizei. Über die Lautsprecher wurde die Falschmeldung verbreitet, dass Polizei- und Rettungskräfte die Anzahl der Einsatzkräfte reduziert. „Wir sind ununterbrochen da!“, teilte die Polizei auf Twitter mit.

Der Politikwissenschaftler Josef Holnburger sagte, es gehe unter anderem darum, mit diesem Fahrzeug Misstrauen gegen den Staat zu säen. Dass Rechte in Ahrweiler unterwegs seien, überrasche ihn nicht. „Sie stellen sich gerne selbst als Anpacker dar.“ Eher neu auf diesem Terrain seien Menschen aus der „Querdenker“-Szene. „Das ist jetzt ein gänzlicher Schulterschluss geworden“, sagte Holnburger.

Dass die Szene der Querdenker und Verschwörungsideologen die Katastrophe thematisch für sich entdeckt hat, zeigt auch der Umstand, dass prominente Köpfe der Szene eigene Initiativen ins Leben rufen. So sammelte der Arzt und Verschwörungsideologe Bodo Schiffmann bereits mehrere Hunderttausend Euro für Opfer des Hochwassers. Inwieweit das Geld tatsächlich an die Flutopfer geht, ist unklar. Das Geld der Sammlung gehe „zu 100 Prozent an die Hochwasseropfer“, hieß es. Zuletzt teilte Schiffmann dann aber mit, das Geld solle für Aufräumarbeiten verwendet werden und etwa der Einsatz von Baggern und anderem schweren Gerät eines Privatunternehmens finanziert werden. Obwohl die Behörden eindringlich baten, von eigenen Initiativen abzusehen, kündigte Schiffmann an, Busfahrten seiner Anhänger ins Krisengebiet zu organisieren.

Im Blickfeld von Behörden ist im Katastrophengebiet auch ein pensionierter Oberst, der sich in Uniform zeigte. Allerdings hat die Bundeswehr selbst keine Handhabe gegen Zivilisten, die Uniform tragen.

Auch Neonazis versuchen offenbar, in der Notsituation Präsenz zu zeigen. “Uns ist bekannt, dass sich aktuell Rechtsextremisten als "Kümmerer vor Ort" ausgeben“, teilte die Polizei Koblenz mit. Das bestätigte der Kreis Ahrweiler am Mittwoch. Der rechtsextreme Videoblogger und Holocaustleugner Nikolai Nerling, der in seinen Videos als „Volkslehrer“ auftritt, meldete sich per Video und rief Helfer dazu auf, am besten nachts oder abends nach Ahrweiler zu kommen, um nicht von Sicherheitskräften zurückgeschickt zu werden. Die Präsenz von Rechtsextremen sei der Polizei bekannt. Gesicherte Informationen dazu gebe es noch nicht. Die Polizei kündigte an, die Situation zu beobachten. Sie werde mit Entschiedenheit gegen Menschen einschreiten, „die unter dem Anschein von Hilfeleistung die Katastrophenlage für politische Zwecke missbrauchen“.

(ga/dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort