Flut-Bilanz in Bad Neuenahr-Ahrweiler Der Wiederaufbau könnte noch zehn Jahre dauern
Bad Neuenahr · Allein in Bad Neuenahr-Ahrweiler waren von der Flut vor einem Jahr 18.000 Menschen in 10.000 Haushalten betroffen, Tausende Gebäude wurden beschädigt. Was ist seitdem geschehen und wie ist der aktuelle Stand?
Ein Jahr nach der Flutkatastrophe zog man auch im Rathaus der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler Bilanz. Was ist geschehen, wie ist der aktuelle Stand und was muss sich kurzfristig ändern oder verbessern? Bürgermeister Guido Orthen, der Erste Beigeordnete Peter Diewald sowie Alfred Bach und Jörn Kampmann aus der Stadtverwaltung erläuterten den aktuellen Stand der Dinge nach der Katastrophe, die 69 Bürgern aus der Kreisstadt das Leben kostete, Hunderte Verletzte forderte und eine immense Zerstörung anrichtete.
Allein in Bad Neuenahr-Ahrweiler und seinen Stadtteilen an der Ahr waren und sind 18.000 Menschen in 10.000 Haushalten betroffen, 5.000 Gebäude erlitten Beschädigungen, darunter auch mehr als 100 städtische Bauwerke, von denen 20 komplett zerstört wurden. „Der Wiederaufbau wird fünf bis zehn Jahre in Anspruch nehmen“, machte der Bürgermeister deutlich, was der Bevölkerung noch bevorsteht. Gefühlt habe man aktuell deutlich weniger geschafft als im Herbst 2021 gehofft.
Peter Diewald erläuterte noch einmal die große Betroffenheit bei Schulen, Kindergärten, Sportinfrastruktur oder Spielplätzen. Insbesondere aber unterirdische Infrastruktur befindet sich immer noch in der Erkundung. „Ein Drittel aller Kanal-Fernsehwagen der Republik sind bei uns im Einsatz“, machte Diewald die Dimensionen klar. 130 Kilometer Abwasserkanäle müssen auf Schäden untersucht werden. Wie lange alleine das dauern wird, ist unklar. Und danach beginnen erst die Planungen der Wiederherstellung, dann die Ausführungen.
Klare Forderungen
Priorität haben dabei die Innenstadtbereiche von Bad Neuenahr und Ahrweiler sowie die Ahr nahen Straßen und Wege, wo die größte Betroffenheit herrscht. Viele von ihnen sind zumindest in Teilen gar nicht mehr da, es bedarf komplett neuer Planungen, betonte Alfred Bach. Hinzu kommt, dass man nicht überall alleiniger Herr des Verfahrens ist. So liegt in der Lindenstraße ein Hauptsammler des Abwasserzweckverbandes (AZV). Und der AZV hat dann ein Wörtchen mitzureden. Ähnlich ist es auch anderswo. Kein Wunder, dass sich die Verwaltung laut Orthen in einer „Bürokratie- und Zuständigkeitsfalle“ sieht.
Der Bürgermeister und sein Erster Beigeordneter haben daher einige klare Forderungen aufgestellt. So müssten als eine der Lehren aus der Katastrophe die Warnstrukturen verbessert werden. „Wir benötigen klare Frühwarnsysteme mit Pegelprognosen und Modellierungen“, so Diewald. Auch einer klaren Meldekette bedürfe es. Orthen forderte Bund und Länder auf, die Kurzarbeitergeldregelung zu ändern, sonst drohe bei 1.300 Menschen aus dem Tal Ende des Monats der Jobverlust. „Das können wir uns gerade in Zeiten des Fachkräftemangels gar nicht leisten“, so der Bürgermeister unabhängig von der persönlichen Belastung der Betroffenen. Sie dürften dem Tal nicht verloren gehen.
Sicherung der Finanzierung nötig
Beim Wiederaufbau müsse nicht nur eine Modellregion gefordert werden, auch deren Finanzierung müsse gesichert sein. Denn ein Modellaufbau, wie ihn auch Politik immer wieder fordert, werde teurer als ein Wiederaufbau in der Form, wie es mal war. Noch sieht das Wiederaufbaugesetz das nicht vor, Neuerungen lässt es höchstens kleinteilig zu, etwa bei der Installation von LED-Leuchten für Sportplatzbeleuchtung. „Das ist auch schön, hilft uns aber nicht weiter“, so der Bürgermeister.
Als ganz wichtig erachtet die Stadtspitze auch vereinfachtere Verfahren bei der Antragsstellung von Aufbaugeld. Das gelte sowohl für Kommunen als auch für den Privatsektor. „Hier muss ein Katastrophen-Verwaltungsrecht her“, sagte der Bürgermeister und führte das Beispiel eines Winzers auf. Der muss für seine Flächen Geld beim Kreis beantragen, für seine Maschinen beim Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum (DLR) und für seine privaten Gebäude bei der Investitions- und Strukturbank (ISB).
Bisher kein einziger Antrag bewilligt
Nicht nur das: Für Maschinen, die teilweise fortgespült wurden, sollen dem DLR Gutachten vorgelegt werden. „Wie soll das gehen“, fragte der Bürgermeister und machte klar, dass auch die Stadt mittlerweile drei Ansprechpartner für Fördergeld habe, derzeit droht sogar noch ein vierter Förderstrang. „Das wollen wir unbedingt verhindern“, sagt Jörn Kampmann. Dass es mit den Antragsfristen ebenfalls nicht funktionieren wird und diese über den 30. Juni 2023 hinaus verlängert werden müssen, ist eine weitere Forderung.
Gerade einmal 22 Anträge auf Förderungen habe die Verwaltung bislang stellen können, bewilligt ist noch kein einziger. Erst ab einer Entwurfsplanung, der dritten von neun Leistungsphasen der Objektplanung, kann ein Förderantrag gestellt werden. Bei 1.400 Maßnahmen könnten aber ebenso viele Anträge notwendig werden. Allerdings ist Jörn Kampmann optimistisch, dass man Schäden der Wasser- und Abwasserwerke, die etwa die Hälfte der Maßnahmen ausmachen, auf 50 oder 60 Anträge bündeln könne. In dem Zusammenhang lobte die Stadtspitze die konstruktive Zusammenarbeit mit dem Klimaschutzministerium.